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Den gesamten Samstagmorgen vermied es meine Schwester mir zu begegnen. Kam sogar nicht mit zur Tafel.
"Cindy!", schrie ich quer durchs Haus als ich endlich genug hatte. Zögernd kam sie dann auch herunter und sah mich mit ihren kleinen Mädchenaugen an. "Guck gar nicht erst so." Leise seufzte ich vor mir her. "Wir haben oben ein freies Zimmer. Ich helfe dir es zu entmüllen."
Ich blickte in ein ratloses Gesicht und wusste direkt dass sie keine Ahnung hatte was ich von ihr wollte. "Herr Gott noch mal. Mit 15 solltest du klüger sein, aber wärst du's wärst du nicht schwanger. Ich meine damit, dass wenigstens ein Kind wenigstens ein vernünftiges Zimmer haben sollte." Jetzt begriff sie das ich ihr helfen wollte das eine leere Zimmer für sich und das Kind fertig zu machen und ich hatte die leiseste Hoffnung wenigstens ein einziges Mal etwas zu gestalten, was nicht zerstört wird. Die Hoffnung das meine Eltern vom Amt ein Haus bezahlt bekämen hatte ich dabei weniger. "Wir machen es fertig, sauber und am besten schließt du es immer ab." Sie war begeistert über den Vorschlag, aber diese Begeisterung legte sich schnell als wir damit anfingen das kleine Zimmer zu entrümpeln.

"Ihr könntet ruhig mithelfen Jungs!", kaum gesagt halfen meine Brüder tatsächlich mit und so leerte sich das Zimmer schneller als erwartet. Das der Müll sich im Garten stapelt war mir keine weitere Sorge wert. Selbst Connie packte mit an und fing an zu putzen und zu wischen. "Wow, wenn ihr wollt könnt ihr ja richtig anpacken und vor allem sauber machen." Ich lobte meine Brüder und Schwestern, während ich auf die Uhr sah. "Wir hätten noch genug Zeit um im Baumarkt etwas Farbe und so zu holen."
Während sich meine Eltern nicht dazu motivieren ließen waren meine Geschwister erstaunlicherweise eher dazu bereit, wenn auch mit etwas Genörgel und Unsinn auf dem Weg und auch im Baumarkt selbst.

Dennoch fanden wir ein gewisses Maß an Benehmen und auch das was wir wollten. Tapete, Farbe, Farbrollen, Plane und vor allem jede Menge Spachtelmasse für die Löcher. Für den ersten Eindruck ware es schon okay - zumindest für ihre Verhältnisse. An der Kasse selbst stutzten gerade meine beiden Schwestern. "182€ wow. Woher hast du das Geld dafür?", Connie starrte mich nur an als ich locker meine Karte auflegte. "Mhm? Ich habe einen Nebenjob. Also geht das schon. Nehmt das Zeug. Kommt, dann schaffen wir es heute noch ein paar Löcher zu stopfen."

Der Weg zurück dauerte länger, meine Brüder schon am Ende ihrer Motivation und so brach das gewohnte Chaos wieder aus. "Kommt schon. Das ist keine Anstrengung. Ihr tragt nur ein bisschen Kleinkram. Könnt ihr wenigstens hier in der Stadt normal sein?"
Konnten sie nicht. Sie schubsten sich oder beleidigten sich. Sie waren im allgemeinen sehr laut und zogen direkt die Blicke auf sich. Ich beruhigte mich indem ich tief durchatmen musste.

Gerade hatte ich mich beruhigt, als sie völlig aufgeregt auf etwas starrten. "Können wir dahin?", fragten sie zwar rannten aber ohne Antwort direktlos. "Hey wartet.", mit den schweren Eimern voll Farbe und Tapeten unter den Armen lief ich langsam hinter her und betrachtete erst mal was ihre Aufmerksamkeit so anzog. In der Stadt fand eine kleine Veranstaltung statt. Vereine beworben mit Ständen, Flyern oder give-aways für sich. Kinderclubs boten kleine Spiele an und auch die Kirchenjugend hatte einen Stand. Ich bereute es augenblicklich auf dem Heimweg einen anderen Weg genommen zu haben.

Was meine energischen Brüder aber anzog, war ein Stand mit verschiedenen Fitnessgeräten. Genau genommen blieben sie vor den Boxsäcken und dem Punchingball stehen. Sie sorgten für Chaos, aber nur solange bis man sie am Kragen packte und fest hielt. "Entschuldigung. Meine Brüder sind...", fing ich zwar an, wurde aber unterbrochen. "Unerzogen? Wild?", fragte der Mann zwar, aber wie Fragen klangen sie nicht wirklich. Eher wie Feststellungen. "Ja, kann ich nicht abstreiten."
Er ließ meine Brüder los, aber nur um sie beide am Hinterkopf zu packen und mit zunehmen. "Wenn ihr zu viel Energie hab dann lasst sie raus. Aber richtig!" Er brachte sie zu einigen anderen mit passender Kleidung und in diesem Moment wagte ich es mich besser umzusehen. Hier warb Anatol für neue sein Box - und Fitnessstudio Mitglieder. Von daher überraschte es mich auch nicht Jin unter denen zu entdecken die nun meine Brüder am Hals hatten. Sie hatten sich endlich beruhigt und ließen sich tatsächlich erklären wie man einen Punchingball richtig nutzt und nicht nur dämlich drauf herumballert. Als das lief kam der Mann zurück, kein geringerer als der Profiboxer dem das Anatol gehört. Jins Vater also. "Denen da würde ich dringend empfehlen zu lernen wohin sie mit der Energie sollen und vor allem der gestauten Aggression. Ab 10 können Kinder bei uns Kurse belegen.", er rollte mir einen Flyer zusammen und stopfte ihn in die Mitte er Tapetenrolle, als er sah das ich beide Hände voll hatte. "Wie teuer?", fragte ich nur. "50 im Monat pro Person . Im Grundkurs." Ich atmete tief ein und tief aus. Es würde beiden definitiv gut tun. Sie wären ausgelastet und würden Disziplin lernen. "Ich lass es mir durch den Kopf gehen." Ich überlegte wirklich, ob ich das tatsächlich leisten könnte. Ich hatte nicht jeden Monat einen Puffer. Denn der war abhängig von der Anzahl an Freunden die mir zusahen. Ich überlegte tatsächlich ob ich nicht doch one-on-one Shows machen sollte. Dann könnte ich es ihnen tatsächlich ermöglichen. Ich dachte ernsthaft darüber nach, denn egal wie Assi meinen Familie war. Es war meine Familie und wenn ich die Möglichkeit habe wenigsten bei ihnen diesen Kreis zu durchbrechen kann es mir nicht ganz egal sein. Für die Egal- Einstellung waren meine Eltern schon zuständig.
"Ey hast du gesehen wie hart ich schlagen kann?", polterte mein Bruder mir plötzlich entgegen und der Andere kam schon direkt hinter her. Beide trugen grüne Boxbandagen an den Händen und waren mehr als begeistert. Es war offensichtlich, dass Jin sie ihnen band, denn er trug ebenfalls grün und grinste zu mir herüber. "Ey können wir hier mitmachen? Der Typ da sagte es gibt Kinderkurse.", sie deuteten auf Jin und ich verfluchte ihn innerlich, während er mich nur beobachtete. Ihm schien nicht bewusst zu sein, dass für beide zusammen 100€ pro Monat richtig viel Geld war.

Ich hasste es, wenn man gerade meinen kleinen Brüdern etwas so teures schmackhaft machte. Ich hätte heulen können und ich merkte die Tränen schon aufsteigen. So blieb mir nur den Kopf zu senken und blickte sie kurz darauf an. "Lasst mich sehen was ich tun kann, okay? Das ist kein Versprechen. Ich schau mal." Ich versprach es ihnen nicht, wollte ihnen aber nicht direkt die Hoffnung zerstören. Jetzt waren sie erneut motiviert und packten den Einkauf wieder an, sie eilten fast schon nach Hause.
"Bekommst du das wirklich hin?", fragte Cindy besorgt und schaute mich intensiv an. "Mhm vielleicht sogar ja."
Noch am selben Abend stopfte ich die Löcher in den Wänden und ließ die Masse über Nacht trocken. Am frühen Morgen war ich schon dabei neu zu tapezieren und bekam Hilfe von meiner Schwester.
Solange bis meine Brüder von der Türklingel geweckt wurden und aufgeregt zu mir angerannt kamen.

"Ey Lucas Besuch.", brüllten sie und verschwanden sofort in der Küche um sich übers Essen zu prügeln. "Besuch? Keiner besucht uns.", stöhnte ich und erschrak beim an Blick von Jin. Dieser Typ schien plötzlich überall in meinem Leben zu sein und die Tatsache, dass er sich nun durch dieses Haus bewegte versetzte mich regelrecht in Panik. "Wie? Woher zum Teufel wusstest du wo ich wohne? Was machst du hier? Cindy hau ab." Ich platzte fast und das merkte auch meine Schwester. Unkommentiert ging sie und schloss die Tür, als ich sie leicht weg schob. "War nicht schwer zu erfahren wo ihr wohnt. Ich musste lediglich irgendwen fragen ob sie wissen wo ihr wohnt. Als Großfamilie seit ihr ja nicht besonders unauffällig.", er fand sich unheimlich amüsant. Ich fand es unheimlich anstrengend das Schamgefühl zu unterdrücken. Ich hätte ihn am liebsten heraus geworfen, aber er war bereits da und sah schon alles. Hören tat er auch alles. Er hörte wie mein jüngster Bruder brüllte, mein Vater aus der Küche meine Brüder an maulte und meine Mutter schimpfend von oben herunter kam. Sie zeigten sich von der besten Seite.

"Wieso bist du gekommen?"
Er sah sich um und ich war froh, dass er das Müllzimmer nicht im Vorher-Zustand sah. "Gestern sahst du ziemlich komisch aus. Deshalb habe ich mir Sorgen gemacht." Ich stöhnte, stieg auf die Leiter und machte mich wieder an die Arbeit. "Was ist los?" fragte er erneut und stand nun direkt hinter mit. "Was los ist? Wieso zum Teufel musstest du ihnen von eurem Kurs erzählen? Ich hatte vor den Flyer einfach weg zu schmeiß und behauptet sie wären noch zu jung."
Er verstand absolut nicht wieso ich sauer wurde. "Wieso? Die beiden wären viel ausgeglichener." Ich schluckte und drehte mich um. "Schön, ja stimmt und jetzt schau dich noch mal um. 100 € kann ich mir nicht aus der Sockenschublade ziehen." Jetzt schien er begriffen zu haben, dass wir nicht mit Geld um uns warfen. "Mhm okay okay. Und was ist wenn ich es bezahle und du mir meinen einen Wunsch erfüllst?" Er kam näher und legte seine Hand auf meinen Bauch. Ich überlegte kurz und mir fiel wieder ein das er, als A. J. Nach einer one-on-one show fragte.

Aus sauer wurde wütend in meinem Inneren und ich rammte ihm den Stiel der Kleisterrolle gegen die Brust. "Sei bloß leise und was glaubst du eigentlich wer ich bin! Sehe ich aus sie deine private Hure? Ich hab dran gedacht, aber du wärst jetzt der letzte den ich annehmen würde. Hau ab... Hau bloß ab." Am Ende zitterte meine Stimme und ich fühlte mich unheimlich verletzt. In seinen Augen war ich nichts weiter als das Objekt auf seinem Bildschirm. Nicht mehr und nicht weniger.

Er hatte verstanden, dass ich ihn definitiv nicht weiter sehen wollte und ging wirklich. Ich hörte die Tür zufallen und sackte auf den Boden nieder. Ich setzte mich auf die letzte Sprosse der Leiter und legte den Kopf auf die Knie. Ich konnte kaum atmen so sehr schmerzte meine Brust. Zum ersten Mal hasste ich einfach alles um mich herum und fragte mich wieso ich eigentlich so unbedingt mehr wollte und diesen Job machte. Ich passte nicht in die Welt für die ich mich so sehr zerrissen habe. Das machte mir Jin gerade schmerzlich klar.

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