Jedes Risiko Wert

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Der Vorschautext zu Folge 282 hat mich irgendwie inspiriert (so geschiedene Frau geht auf Date mit jüngeren Mann und hat ihre Zweifel) und was soll ich sagen ... auf einmal ist das dazu entstanden. Ich freu mich, es jetzt mit euch teilen zu können!

"Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei gedacht habe!" Plapperte ihre Patientin in einem verzweifelten Tonfall nun schon mehrere Minuten und Leyla hatte mittlerweile aufgegeben, eine ordentliche Anamnese zu machen, nachdem Frau Puck scheinbar sie auserkoren hatte um sich sämtliche Gedanken und Ängste von der Seele zu sprechen.

"Ich hab mich grade erst scheiden lassen, wissen Sie! Und dann lasse ich mich auch noch auf diesen Abend ein, aber ich dachte ein Abendessen kann nicht schaden! Und er sieht auch noch so gut aus und fragt ausgerechnet mich! Dabei ist er so viel jünger als ich, ich meine 13 Jahre, stellen Sie sich das mal vor!"

Viel Zeit gab die Frau in ihrem Alter Leyla dafür aber nicht, denn wieder setzte sie an und berichtete, wie sie hin und her überlegt hatte, ob dieser Mann es wohl ernst meinte und sie sich auf ihn einlassen sollte. Wobei - es war ja erstmal nur ein gemeinsames Essen.

Doch Leyla hatte mittlerweile ihre weiteren Ausführungen ausgeblendet, und Frau Pucks Erzählungen wurden zu seinem unverständlichen Hintergrundgeräusch als sie in ihre eigenen Erinnerungen hinab driftete.
Daran, wie Ben sie zum ersten Mal zum Essen eingeladen hatte, und sie so überrumpelt gewesen war, dass sie nur ein ungläubiges 'Nein, ich glaube nicht!' herausbekommen hatte.
Sie konnte sich noch ziemlich genau daran erinnern, wie überrascht sie gewesen war das der attraktive, selbstbewusste Ben Ahlbeck ausgerechnet an ihr interessiert war - ja sogar irgendwie nervös hatte er gewirkt und das obwohl er, soweit sie das wusste, nicht gerade schüchtern war wenn es um Frauen ging.
Sie musste grinsen.

Irgendwie konnte sie Frau Puck ja verstehen. Sie selbst hatte dieselben Zweifel. Sie hatte ihre Ehe mit Navid beendet und aufeinmal schien der deutlich jüngere Assistenzarzt ausgerechnet sie attraktiv zu finden und Zeit mit ihr verbringen zu wollen.

Nur - es war lange her, dass sie jemanden auf diese Weise getroffen hatte. Konnte sie das überhaupt, sich nochmal neu auf jemanden einlassen und sich vielleicht sogar neu verlieben? Und wenn ja ... konnte ein so junger, begehrenswerter Mann es wirklich ernst mit ihr meinen? Und noch schlimmer, schließlich war sie auch noch seine Vorgesetzte! Wie sollten sie sich privat treffen und trotzdem den nötigen professionellen Abstand beibehalten, den ihre Stelle als Oberärztin von ihr verlangte?
Was, wenn es ein totales Desaster werden würde und sie gezwungen waren, Tag für Tag miteinander zu arbeiten, sich aufeinander zu verlassen?

Sie hatte etwas gebraucht, hatte erst erkennen müssen, dass es manchmal nötig war, etwas zu riskieren. Die Zeit zu nutzen, die man hatte und es wenigstens zu versuchen.
Und so hatte sie trotz allem, was ihr Kopf an Argumenten dagegen setzte und trotz aller Nervosität Ben's Nummer gewählt. Sie hatte ihrem Instinkt vertraut, diesem Gefühl ganz tief in ihr drin, das ihr leise zuflüsterte, dass es ja genauso gut auch klappen könnte.

Sie hatte auf ihn gewartet und mit klopfenden Herzen zugesehen, wie er auf sie zu fuhr, vom Motorrad stieg und seinen Blick schließlich ihr zuwand.

Und sie hatte auf ihr Gefühl vertraut und ihn einfach erneut geküsst, als seine Lippen, die nur einen kurzen Moment auf ihren lagen, sie kurz sprachlos gemacht hatten ....

"Dr. Sherbaz!" Drang die Stimme der Patientin wieder in ihr Bewusstsein - sie hatte sich wohl doch etwas zu sehr in ihren Gedanken verloren.
"Ich mein, dass ich jetzt hier bin, das ist doch ein Zeichen! Das war eine total bescheuerte Idee!"

"Frau Puck!" Sagte die Ärztin nun energisch. "Sie müssen sich wirklich beruhigen! Wir werden Sie jetzt erstmal stationär aufnehmen und ihren Beschwerden auf den Grund gehen. Solange sollten Sie wirklich versuchen, sich nicht so sehr in das alles hineinzusteigern."

"Ich sage doch, es ist ein Zeichen, dass ich es einfach lassen sollte! Was habe ich mir nur dabei gedacht?" Wiederholte sie ihre eigenen Worte und Leyla unterdrückte ein Seufzen.

"Wenn sie mich fragen, gibt es eine andere Erklärung für Ihre Symptome. Lassen Sie uns erstmal nichts als "Zeichen" interpretieren, in Ordnung?" Versuchte sie beruhigend auf die Frau einzuwirken, bevor sie einer Schwester bedeutete, Frau Puck auf Station zu verlegen.

Gedankenverloren machte sie sich anschließend auf den Weg in die Cafeteria um wenigstens noch ein Käsebrötchen zu ergattern und da der morgendlich trübe Himmel von sanften Sonnenstrahlen vertrieben worden war, entschied sie sich für eine kurze Pause auf einer der Bänke vor dem JTK.

Wieder musste sie unwillkürlich - und wie so oft - an Ben denken, aber heute dachte sie vorallem an die ersten Treffen, daran, wie sie stundenlang geredet hatten, wie sie mehr als einmal völlig abgehetzt nach Hause geeilt war um rechtzeitig bei Zoe zu sein, weil sie und Ben völlig die Zeit vergessen hatten. Wie sie sich zwischen Gesprächen immer wieder geküsst hatten und sie jedes Mal überrascht war, wie gut sich die Nähe zu ihm anfühlte. Wie sie versucht hatte, ihm in der Klinik nicht verliebt nachzuschauen und sich trotzdem viel zu oft in seinen strahlenden Augen verloren hatte.
Und wie ihre anfänglichen Zweifel einfach verflogen waren - der Altersunterschied, ihre beruflichen Positionen, ihre Unsicherheit und ihre beiden Vergangenheiten spielten keine Rolle mehr.

Auch den folgenden Tag begleiteten Leyla Erinnerungen aus dieser Zeit, vermutlich weil sie sich selbst ein Stück weit in ihrer Patientin wiedererkannte, zumindest zu einem anderen Zeitpunkt in ihrem Leben, in der sie sich in einer sehr änlichen Situation befunden hatte.

"Frau Dr. Sherbaz?" Fragte Frau Puck sie vorsichtig, nachdem Leyla ihr die Entlasspapiere in die Hand gedrückt und ihr alles Gute gewünscht hatte.

"Darf ich Sie etwas fragen? So als Frau, nicht als Ärztin," stellte sie klar, setzte nach einem tiefen Atemzug allerdings schon zu ihrer Frage an.

"Finden Sie, ich sollte es riskieren? Mit Timo, meine ich. Wissen Sie, irgendwie finde ich ihn ja schon toll aber ich weiß nicht, ob ich mich total blamiere. Oder daraus einfach nichts werden kann und ich nur meine Zeit verschwende."

"Wissen Sie, Frau Puck," setzte Leyla mit einem Lächeln an. "Vor etwas mehr als 7 Jahren hat mich ein charmanter, attraktiver, symphatischer und vorallem viel jüngerer Mann zum Essen eingeladen. Davor war ich 14 Jahre verheiratet und ich hatte genau wie sie meine Zweifel..." sie machte eine kurze Pause, ihre Gedanken schweiften diesmal nicht in die Vergangenheit sondern daran, gemeinsam mit Ben nachhause zu kommen.
Daran, den Abend mit ihrer wundervollen gemeinsamen Tochter zu verbringen und anschließend ins Bett und vorallem in Ben's Arme zu kriechen. Ein glückliches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen und sie konnte den überraschten Gesichtsausdruck von Frau Puck ausmachen.

"Heute bin ich mit ihm verheiratet und es gibt keine Entscheidung, über die ich so glücklich bin wie die, ihm eine Chance gegeben zu haben, uns eine Chance gegeben zu haben.
Ja, vielleicht geht's schief. Vielleicht wird es ein furchtbarer Abend und sie gehen nach einem Drink enttäuscht nach Hause. Aber vielleicht wird es die beste Entscheiding ihres Lebens. Also wenn sie mich fragen - riskieren Sie's. Das einzig Wichtige ist doch, was Ihnen ihr Bauch und ihr Herz sagen."

"Sie ... haben Recht," sagte Frau Puck schließlich nickend und zog ihr Handy aus der Tasche.
"Ich werde ihn direkt anrufen und nicht darüber nachdenken!"

"Einfach genießen!" Grinste Leyla zustimmend und verabschiedete sich nun entgültig von der deutlich positiver gestimmten Frau.

Und auch sie marschierte mit einem zufriedenen Lächeln und mit Vorfreude auf den vor ihr liegenden Abend durch die letzte Stunde des Arbeitstages.

Als sie schließlich die Tür zur Umkleide öffnete und Ben erblickte, der auf sie wartete um gemeinsam ihre kleine Raya abzuholen und ihr ein "Na, schöne Frau, da bist du ja!" entgegen warf, war sie so glücklich, dass sie ihren Kittel, den sie auf dem Weg schonmal von ihren Schultern gestreift hatte, achtlos auf die Bank neben sich warf und mit zwei langen Schritten auf ihren Mann zu ging, nur um ihre Arme um seine Mitte zu schlingen und ihn in einen langen Kuss zu ziehen.

Dieser Mann war ohne Zweifel jedes Risiko wert gewesen.

Beyla One-ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt