Viel Besser

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„Papa? Hast du Aua?" hörte er die leise Stimme seiner Tochter.
Ben lag ausgestreckt auf dem Sofa, seine Prothese stand neben ihm auf dem Boden und er hatte seine Jeans gegen eine kurze Jogginghose getauscht, um seinen Stumpf etwas massieren und hoch legen zu können.

Als er nun aber Rayas Stimme hörte, hob er den Kopf und blickte in Richtung der Tür, von welcher aus seine kleine Maus entlang getapst kam, ihren lieb gewonnen einbeinigen Vogel - das Geschenk ihrer Großmutter - fest unter ihrem Arm.

Normalerweise versuchte er, solche Momente, in denen er seinem Bein mehr Ruhe gönnen musste, nicht unbedingt seiner Tochter zu zeigen, denn auch wenn Raya überhaupt kein Problem damit hatte - so war ihm nicht unbedingt immer wohl damit.
Es war ihm einfach lieber, ihr eine möglichst normale Kindheit zu schenken, und sie sollte sich nicht darüber Gedanken machen, ob es ihrem Papa gut ging oder ob er etwas konnte oder nicht. Er wollte einfach nur bei allem für seine Kleine da sein.
Heute aber hatte er sich auf die Couch verzogen, nachdem Leyla seinen leidenden Gesichtsausdruck gesehen hatte und ihm vogeschlagen hatte, sich doch bis zum Abendessen einfach etwas hinzulegen.
Die vergangene Schicht war doch sehr kräftezehrend gewesen und daher klang dieser Vorschlag mehr als gut.

Seine Frau hatte eher Schichtende gehabt und war mit Raya noch auf dem Spielplatz gewesen und so war das Mädchen auf dem Rückweg eingeschlafen, und schlief noch tief und fest als Ben nach Hause gekommen war.

Nun hatte sie allerdings offensichtlich genug geschlafen und guckte noch etwas verschlafen drein, kam aber mit entschlossenen Schritten auf ihren Vater zu, der sich etwas aufsetzte und die Arme ausstreckte.

„Ist schon okay, Schatz. Ich wollte mich nur etwas ausruhen." versicherte er ihr beruhigend und zog sie in seine Arme.

„Du kannst ihn haben, wenn du willst," sagte seine Tochter ohne lange zu überlegen und streckte Ben ihr Kuscheltier entgegen. „Dann fühlst du dich bestimmt besser!"

„Das ist wirklich sehr lieb von dir, aber dass du da bist, das reicht mir schon," erklärte Ben ihr und strich ihr zärtlich die feinen Haare aus dem Gesicht.

„Ok!" kam es fröhlich von Raya, die den Vogel nun auf den Tisch vor der Couch ablegte und versuchte, mit ihren kurzen Beinen aufs Sofa zu klettern. Ben hielt sie dabei etwas fest, aber in Windeseile saß seine Tochter auf den Polstern direkt neben ihn und sah ihn nachdenklich an.

„Vielleicht hilft ein bisschen Pusten!" begann sie. „Als ich hingefallen bin hat Mama auch gepustet und dann ging es gleich besser!" Schlussfolgerte sie und blickte ihn dabei so siegessicher an, dass er ihrer Argumentation nur mit einem Nicken zustimmen konnte.
„Ja, vielleicht."

Das das Strahlen seiner Tochter schon ausreichte, dass er sich wesentlich besser fühlte, ließ er außen vor, denn Raya war neben ihm nach unten gerutscht, bis sie an seinen Beinen lag und legte nun vorsichtig ihre kleinen Hände an beide Seiten seines Stumpfs, was ein seltsames Gefühl war, denn natürlich kannte sie ihn - so wie er eben war - aber so nahe war seine kleine Bohne normalerweise nicht an seinem Bein. Zumindest nicht, wenn er keine Prothese trug.

Ihr schien das ganze recht wenig auszumachen, denn sie beugte sich langsam nach vorne und pustete kühle Luft an die Haut unterhalb des Knies.

Tatsächlich tat es wirklich gut, das Kühle ihres weichen Lufthauchs und ihr zufriedenes Gesicht zwsichen zweimal Pusten hatten einen seltsam positiven Effekt.

„Und?" Fragte sie schließlich nach mehreren Minuten, in denen sie immer wieder Luft auf seinen Stumpf gepustet hatte.

„Du hast Recht," gab er zu und lächelte sie an. „Es ist wirklich schon viel besser!"

Raya strahlte übers ganze Gesicht und wenn sie das tat, sah es Leylas bezaubernden Lächeln wirklich verdammt ähnlich.

„Sag ich doch! Als Mama das gemacht hat, hat das auch geklappt!"
Aus der Küche hörte er das leise Lachen seiner Frau und blickte kurz über die Schulter und sah eine grinsende Leyla, die das Geschehene offensichtlich beobachtet hatte.

„Ja, die Mama hat meistens Recht mit dem, was sie sagt." Stimmte Ben lächelnd zu.

„Und wenn es schlimmer wird, dann können Mama und ich ja nochmal zusammen pusten!" Erklärte Raya. „Sollen wir es mal versuchen?" fragte sie aber bevor er die Chance hatte, etwas zu erwidern war sie schon vom Sofa gerutscht und in Richtung ihrer Mutter gelaufen, die sie nun an der Hand fasste.
„Mama! Du musst auch mitmachen! Ich glaube, dann geht es Papa wieder richtig gut!"

„Wirklich?" Fragte Leyla während ihre Tochter heftig nickte. „Na wenn das so ist, dann helfe ich dir natürlich."

Lächelnd lies sie sich von Raya zu ihrem Mann ziehen, der sich nun richtig aufgesetzt hatte.
Mit sicherem Griff hob Leyla das Mädchen zurück aufs Sofa, wo sie sich rechts platzierte, sodass die Schwarzhaarige auf der anderen Seite Platz hatte und auf Rayas Kommando selbst behutsam Luft auf seinen Stumpft pustete.
Wie merkwürdig das wohl aussehen musste, überlegte Ben, aber das glückliche Lachen seiner Tochter, lies das völlig in den Hintergrund rücken.

„Danke meine Süße, das hat wirklich geholfen." Versicherte er ihr nach einigen Momenten.

„Okay!" kam es fröhlich von ihr. „Ich hole mal mein Buch, das können wir auch im sitzen anschauen!"

Und schon war sie wieder Richtung ihres Zimmer marschiert und Leyla neben ihm musste lachen bevor sie ihren Blick wieder ihm zuwand. Auch wenn ein amüsiertes Grinsen seine Lippen zierte, wusste Ben das seine glasigen Augen verrieten, wie gerührt er war. Wie sehr er dieses kleine Mädchen doch liebte!

Sanft strich Leyla ihm über die Wange und lächelte wissend.

„Du bist eben der beste Papa, den sie sich wünschen kann. Daran ändert rein gar nichts etwas. Schon gar nicht ein fehlender Unterschenkel!"

Beyla One-ShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt