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Los Angeles

Ariel

Zeit war ein seltsames Konzept. Manchmal war sie flüchtig und andere Male schien sie schmerzhaft langsam zu vergehen. Und dann, in seltenen Momenten, schien sie ganz stillzustehen und zwang dich, den Atem anzuhalten und alles um dich herum aufzunehmen. All die Schönheit um dich herum, aber auch manchmal den unerträglichen Schmerz, der sich wie eine scharfe Klinge durch deine Brust bohrte und dich für furchtbar langsam laufende Sekunden den Atem anhalten ließ.

Sie ließ dich den Atem anhalten für Sonnenaufgänge, die den Himmel in leuchtende Orange- und Rottöne tauchten, salzige Meerluft, die sanft durch dein Haar strich, der Takt eines guten Liedes, der sich durch deinen Körper bewegte wie die sanfte Liebkosung eines Liebhabers, der dich daran erinnerte, dass es gut war, am Leben zu sein. Zu atmen. Im Hier und Jetzt zu sein. Aber sie schien auch in Momenten still zu stehen und deinen Atem anzuhalten. Für eisblaue Augen und für seinen Geruch, der immer noch in der Luft lag. Das Phantom seiner Berührung auf deiner Haut. Seine Wärme, dessen Verlust du glaubtest niemals spüren zu müssen. Deine Liebe zu ihm, die immer noch in deinem Herzen verweilte, als ob dein Herz der rechtmäßige Besitzer von ihm wäre.

Seit einigen Wochen scheint die Zeit nun schon stehen geblieben zu sein. Der brennende Schmerz in meinem Herzen ist fast das Einzige, dem ich meine Aufmerksamkeit schenken kann. Das Einzige was mich noch daran erinnert, dass mein Herz noch da ist.

Mein Blick schweift, wie schon in den Stunden zuvor, gedankenlos aus dem Fenster. Schweift über endlose Flecken von trockener Landschaft, während der Bus sich über die gefühlt endlich andauernde Schnellstraße, der Route 66 fortbewegt. Zum millionsten Mal frage ich mich, ob es richtig war. Ob es richtig war, Albuquerque zu verlassen. Mein sehnsüchtiges Herz schrie, ich solle auf ihn warten. Es flehte mich an, noch zu hoffen, dass sich unsere Wege wieder treffen würde. Dass auch sein Herz nicht in der Lage wäre, den Schmerz zu ertragen, den unsere Trennung verursacht hatte. Doch einmal in meinem Leben verlor mein Herz den Kampf gegen meinen Verstand.

Obwohl es mich alles kostete, nicht in diesem Motelzimmer zu bleiben, wo die Laken immer noch nach ihm rochen. Wo er mich immer noch in seinen Träumen berührte und jeder Winkel mich an meinen süßen, starken, blauäugigen Löwen erinnerte. Mein Verstand, der mit meinem Herzen kämpfte und mir immer wieder sagte, dass ich nicht ewig auf ihn warten könnte. Dass das Warten auf ihn schmerzhafter sein würde, als ein sauberer Schnitt. Dass vielleicht, aber nur vielleicht, die Liebe am Ende nicht genug war. Dass die Liebe manchmal vielleicht nicht für die Ewigkeit bestimmt war. Dass eine gewisse Liebe vielleicht nur dafür da ist, uns mit ungefilterten, leidenschaftlichen Momenten im Leben zu beschenken, die uns daran erinnern, dass wir das Leben wirklich in seiner ganzen Intensität gelebt hatten.

Eine Hitze, wie sie nur in den Wüstengebieten vor dem Sunshine State auftreten kann, lässt die Luft draußen flimmern. Ich rolle mich weiter auf meinem Sitz zusammen. Mein Shirt, das jetzt eine Nummer zu groß ist, rutscht von meiner Schulter. Seit er weg war, hatte ich abgenommen. Mein Herz war zu sehr damit beschäftigt ihn zu vermissen. Das war es immer noch. Alles war schwieriger, seit er weg war.

Sogar das Tanzen.

Meine Gedanken schweifen zum letzten Mal, als meine Füße freiwillig der Leidenschaft meines Herzens nachgegeben hatten. Ich wurde von ihm gehalten, während Elvis sanfte Worte der Liebe sang. Kurz bevor er mich betäubte. Und kurz bevor unser Leben auseinanderfiel.

Tränen schießen mir in die Augen. In der letzten Zeit schien alles was ich tat nur noch weinen zu sein. Ich hasste es, denn das war nicht das, was ich war. Ich war es gewohnt, unabhängig zu sein. Niemanden zu brauchen, um glücklich zu sein. Doch jetzt war in mir nicht nur die Leere, die meine Mutter hinterlassen hatte, sondern auch die Leere die er hinterlassen hatte. Dieser verdammt loyale, sture, großherzige Mann, der in mein Leben getreten war und jetzt derjenige war, an den ich mich wenden wollte, wenn meine Welt zusammenbrach.

The one who splits my soulWhere stories live. Discover now