9. Therapie (1)

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Nachdem ich mein Zimmer aufgesucht hatte, mir Jeans und ein schwarzes Shirt anzog und Jake mitteilte, dass Keeva und Rian gleich Golf spielen gingen und er dann raus könnte, suchte ich die Einfahrt auf und stieg frustriert zu Odran in seinen gelben Porsche.

"Wir meinen es nur gut", murmelte er, doch ich setzte meine Kopfhörer auf und wollte kein Wort von ihm hören.

Durch die Rock Musik in meine Ohren, den Fahrtwind in meinem Gesicht und die Sonne, die warm auf mich herunterfiel, fand ich nach letzter Nacht solch eine Entspannung, dass ich sogar kurz wegnickte, bis Odran mich unsaft anstieß.

"Schon gut", beruhigte ich ihn, damit er endlich meinen Arm losließ und entfernte dabei die Kopfhörer aus meinen Ohren. "Du kannst auch Mal etwas zärtlicher sein."

Er verdrehte genervt die Augen und ohne ihn weiter zu beachten, sah ich mir das Gebäude neben uns genauer an.

Es sah sogar schon von draußen wie eine Klapsmühle aus. Eine bröckelige, gelbe Fassade. Überall standen Leute die rauchten und es hätte nur noch ein Kerl in einer Zwangsjacke gefehlt der durchdreht, um das Bild perfekt abzurunden.

"Früher haben wir stundenlang am Strand gelegen. Nur du und ich. Weißt du das noch", hauchte ich enttäuscht und warf Odran einen letzten Blick zu, als ich mich abschnallte und meine Kopfhörer auf den Boden vor mir legte. "Und heute lässt du mich alleine. Alles was du noch tust, ist Befehle ausführen."

Er sah mich an, als könnte er nicht ganz verstehen, was ich damit sagen wollte, doch ich wusste es. Ich fühlte mich einfach nur noch von jedem missverstanden und im Stich gelassen.

"Senan", wollte er noch etwas sagen, doch ich stieg eilig aus und knallte die Tür, um dann an den Rauchern vorbei die wenigen Stufen zu der Glastür zu laufen.

Nachdem ich eintrat befand ich mich in einem engen Flur, der voll mit Bildern und Pflanzen war. Anscheinend wollten sie, dass man sich sofort wohlfühlte. Doch mir machte diese Harmonie der Farben gelb und grün noch mehr Unbehagen, als ich sowieso schon empfand.

"Guten Tag?", begrüßte mich eine Frau mittleren Alters, die hinter der hohen Rezeption saß. Ich sah ihr genau durch ihre Brille hindurch in ihre Augen, wodurch ich förmlich mit ansehen konnte, wie sie leicht rot wurde und tief Luft zog.

"Hallo", versuchte ich freundlich herüberzukommen und lehnte mich mit den Armen auf den Tresen, um auf meinem Lippenpiercing herumzuspielen, was sie anscheinend fasziniert beobachtete.

"W- Wer sind ..."

Die arme !

"Gallagher", erklärte ich schnell, um ihr keinen Herzinfarkt zu bereiten und lächelnd rückte sie ihre Brille zurecht, um anschließend etwas auf ihrem Laptop einzutippen.

"Gallagher", flüsterte sie und schien konzentriert, bis sie freudig wieder zu mir schaute. "Sie können direkt durch in das hinterste Zimmer. Dr. Herrera wird sofort bei ihnen sein."

"Herrera?", fragte ich nochmals nach, da mir keiner vorher gesagt hatte, dass mein Therapeut kein Ire war.

"Ja, Mr. Gallagher ", kam es noch freundlich von der Brillenschlange, dann lief ich wie sie gesagt hatte in das hinterste Zimmer, dass für einen Behandlungsraum fast schon zu gemütlich eingerichtet schien.

Direkt vor mir gab es ein großes Fenster mit weißen Vorhängen. Davor stand eine schwarze Leder-Couch, auf der dann wohl die Bekloppten Platz nahmen.

Mit Blick auf ein Bücherregal links von mir lief ich einige Schritte über den hellen Holzboden, um direkt an dem großen dunklen Schreibtisch halt zu machen. Ohne über die Privatsphäre nachzudenken, nahm ich mir eines der Bilder von dem Tisch.

Es zeigte wohl meinen Therapeuten mit seiner Frau. Er war ziemlich groß, hatte schwarze, lockige Haare und einen Vollbart.

Oh Gott... Was für ein Typ. Als könnte ich dem meine Probleme erzählen.

Die Frau sah interessanter aus. Sie war blond, aber nicht dieses künstliche blond. Es ging leicht ins Dunkle und sie fielen  ihr bis knapp über die Schultern. Beide sahen wirklich glücklich aus. Vor allem sie... Sie strahlte das reinste Glück förmlich aus...

"Da waren wir letztes Jahr in Spanien", ertönte plötzlich eine weibliche Stimme hinter mir und erschrocken stellte ich sofort wieder das Bild auf den Tisch und drehte mich zu der Frau um, die ich eben noch auf dem Foto gemustert hatte.

Sie sah mich lächelnd an, doch mir fiel mit dem Blick in ihre dunkelblauen Augen sofort etwas auf. Der Glanz, den sie auf dem Foto besaß, war volkommen aus ihr heraus gewichen. Sie wirkte nicht mehr so glücklich, eher farblos, was mich flüchtig darüber nachdenken ließ, ob sie dieser Job vielleicht echt kaputt machte auf Dauer.

Immer hin musste sie sich täglich den scheiß anderer Leute anhören...

"Über was denken sie nach?", riss sie mich aus meinen Gedanken und lief dabei an mir vorbei zu ihrem Schreibtisch, um das Bild wieder genau so hinzustellen, wie es vorher dastand.

"Darüber, dass sie verändert wirken", gab ich ihr ehrlich zurück und drehte mich so zu ihr, dass ich sie genau beobachten konnte. Sie schien völlig überrascht von meiner Aussage und ließ ihre Iriden einmal komplett über mich schweifen.

"Entschuldigen sie. Kennen wir uns bereits?"

Ich schüttelte den Kopf und lief anschließend zur Couch herüber, um Platz zu nehmen und durchzuatmen.

"Nein, aber auf dem Bild sehen sie zufriedener aus", warf ich ein und lehnte mich lässig nach hinten.

Sie blickte nochmals auf das Foto und dann wieder nachdenklich zu mir, doch schnell setzte sie ein so gespieltes Lächeln auf, dass es einmal schon Angst machte.

"Ist nicht jeder im Urlaub entspannter?", meinte sie und kam dann mit einem Notizblock und einem Stift zu mir herüber, um vor mir auf einem kleinen, schwarzen Sessel Platz zu nehmen.

"Ich hab keine Ahnung", gab ich offen zu. "Für mich ist irgendwie jeder Tag wie Urlaub."

Sie drückte auf ihrem Stift herum und nickte, um sich dann etwas aufzuschreiben. Mein Gott machte mich das nervös.

Die sollten hier wenigstens Alkohol zur Entspannung anbieten...

"Und wieso?"

"Was?", fragte ich und sie kaute flüchtig auf ihrer Lippe, um sich danach wie ich gemütlich nach hinten zu lehnen.

"Wieso ist jeder Tag wie Urlaub für sie? Wollen sie damit sagen, dass sie immer entspannt und glücklich sind?"

Ich musste kurz schmunzeln, denn irgendwie war genau das Gegenteil der Fall.

"Erstens, ich heiße Senan. Dieses Siezen passt nicht zu mir. Und zweitens, nein, das Gegenteil ist der Fall."

Anstatt weiter gemütlich dazusitzen lehnte sie sich wieder nach vorne und musterte mich nachdenklich.

"Also erlebst du einen langen, unglücklichen Urlaub, der kein Ende zu nehmen scheint?", wiederholte sie meine Worte so, wie sie bei ihr ankamen und nach einem Nicken meinerseits, schrieb sie wieder etwas auf, um anschließend den Block und den Stift neben sich auf den Boden zu legen.

"Dann nehmen wir uns Mal vor, dich wieder entspannt leben zu lassen. Ich heiße Mandy und hoffe wirklich, dass wir das gemeinsam hinbekommen."

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Senan - Bis dass die Liebe uns bindetWhere stories live. Discover now