3 - Thunderstorm

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Der Sturm ist heftiger als erwartet. Zuerst war der Himmel bloss grün. Nicht so ein frisches Grasgrün von aufkeimendem Getreide, nein, eher so ein düsteres Grün, vermischt mit langweiligem Grau. Traurig, irgendwie auch bedrohlich, wie im Film Twister. Schon komisch, amerikanische Gefühle richten sich immer wieder nach Hollywood. Dabei sollte es doch umgekehrt sein. Kein Wunder konnte ein Schauspieler Präsident werden. Na ja, um Präsident zu werden, muss man bestimmt ein guter Schauspieler sein, auch wieder wahr.

Meine heftigen Gedanken werden von noch heftigerem Wind, verbunden mit peitschendem Regen und wummernden Grollen hinweggefegt. Als wären sie zu schnell geflogen, zittert ein Blitz auf, wie eine himmlische Radarfalle. Schon nach wenigen Metern sind meine Kleider durchnässt. Ich schliesse zitternd die Wagentüre auf und stürze mich auf die vordere Bank, froh darüber, dass die alte Lady dicht ist. Wasserdicht, meine ich. Ich verharre einige Sekunden liegend auf der Bank, hebe meinen Kopf und blicke angstvoll in den inzwischen grau-schwarzen Himmel. Gewitter mochte ich noch nie, wie Hunde, Gewitter sind Hundewetter. Der Donner ist das Knurren des fletschenden Reissers und an Stelle seines Sabbers tropft der Regen auf den Boden.

Langsam setze ich mich hinter das Lenkrad, stecke das Schlüsselchen an seinen Platz und drehe es. Brav erwacht Peggy-Sue, als ob nichts wäre. Ich stelle den Wahlhebel auf D und fahre vom Hof. Hinter mir schaut Sue durchs Fenster und winkt mir zu, aber ich sehe es nur im kleinen runden Rückspiegel und vom Wasser verschwommen. Es ist, als ob sie als Geist tausend Tränen weinte. Ein Blitz, ein Donner und der Regen prasselt noch stärker auf uns herab.

Von der Strasse sehe ich wenig. Die kleinen Scheibenwischer geben, was sie können. Aber wie bei den meisten Studenten in den Geschichtsexamen, reicht das bei weitem nicht aus. Die Scheiben beschlagen sich langsam auch von innen, ich kann immer weniger Details wahrnehmen und fahre deshalb langsamer. Dann und wann zieht zischend und mit seinen sonoren Trompeten trötend ein Lastzug vorüber. Wir werden von zusätzlichen Wellen schäumenden Wassers überschüttet. Ich halte mich an den rechten Strassenrand, hoffend, dass da nichts im Wege steht.

Die Autos aus den Fünfzigern waren noch nicht für sicheres Fahren in Jahrhundertstürmen gebaut. Als es damals regnete, blieben die Menschen ganz einfach zuhause. Zudem hatte es bestimmt auch weniger Verkehr. Ich folge den regelmässigen, weissen Reflektoren auf dem Strassenbord. Das Gewitter scheint meine Richtung und Geschwindigkeit übernommen zu haben. Es wird nicht schwächer, der Sturm legt im Gegenteil noch zu. In immer kürzeren Abständen zucken die Blitze und ich beginne mich zu fragen, ob ich nicht besser bei Sue hätte bleiben sollen.

Zum Glück habe ich nicht originale Radialreifen drauf, sondern solche mit modernem Profil, die mit ihren weissen Rändern bloss wie alte Reifen aussehen. Somit schlingert Peggy etwas weniger stark durch die rasch ansteigenden Pfützen und Minibäche auf der Fahrbahn.

Ein gleissend heller, heisser Blitz zischt auf mich herab, gleichzeitig schmettert ein ohrenbetäubender Knall.

***

Kate steht auf der kleinen Anhöhe, inmitten der Prärie. Sie winkt mir und ich schlendere mit den beiden Bieren in der Hand auf sie zu. Hinter uns steht das hölzerne Haus, welches wir "Unsere kleine Farm" nennen, vor uns begleitet uns die rote Abendsonne und taucht die Prärie in ihr warmes, oranges Licht.

Als ich so schwebe, schwankt das hüfthohe Gras und irgendwie erinnert es mich an eine Szene aus dem Film Gladiator, aber halt, das war Getreide in Italien. Das hier ist gutes, saftiges Präriegras irgendwo in Montana. Aber die Szene ist vergleichbar. Kate ist unglaublich. Um sie herum erstrahlt ihre liebevolle Aura, es scheint, als käme das goldene Licht von innen heraus. Sie streckt mir beide Arme entgegen, schlingt diese um meinen Hals und drückt mir einen langen Kuss auf meinen Mund. Ihre warmen Lippen umschliessen die meinen und sie sucht mit ihrer Zunge den Weg zwischen meinen Zähnen hindurch. Wir umkreisen uns einige Sekunden, dann wuschelt sie mein Haar und streicht mit ihrer Hand über meinen Rücken.

Ich sehe, dass sie spricht, aber ich höre nichts. Die Welt ist voller Licht aber gänzlich ohne Töne, als hätte man die Surroundanlage ausgesteckt. Kate lacht und dreht sich im Kreis. Als sie ihr Bier entgegen nimmt, ist sie auf einmal nicht mehr Kate, nein, sie ist Sue. Nicht weniger bezaubernd führt sie die Bierflasche zum Mund, umkreist den Flaschenhals mit ihrer Zunge und zieht dann gierig den Inhalt in ihren roten Mund. Etwas Schaum bleibt an ihrer Oberlippe hängen. Sie leckt ihn von links nach rechts weg und blickt mich gleichzeitig mit ihren leuchtenden Augen an. Ihr Pony schwankt dabei hin und her.

Neben mir taucht ein Schatten auf. Es ist Charly mit seinem Bus.

"Pass auf dich auf, Peter. Das wird heftig."

Vor Schreck, dass ich ihn laut und deutlich hören kann, lasse ich die Bierflasche fallen. Sie fällt ins weiche Gras, dennoch höre ich Glas splittern und das aufschäumende Bier spritzt mir ins Gesicht. Dann ist es auf einmal dunkel.

***

Ich drehe mich, ich schwebe. Das Bier ist kalt und warm zugleich. Es riecht nach Wasser und schmeckt wie Eisen. Ich spüre, es sind zwei verschiedene Flüssigkeiten, eine dritte kommt dazu. Scharf und süss zugleich, betörend. Es ist Benzin. Ich öffne meine Augen, sehe unscharf. Blut rinnt mir über den Hals, es kommt von meinem Kopf. Wasser, Benzin und Blut. Das ist nicht gut. Es brennt. Benzin und Flammen sind auch nicht gut. Ich muss da weg.

Unter gewaltigen Schmerzen krieche ich aus der arg zerdrückten Peggy-Sue, die kopfüber im Strassengraben liegt. Ein Rad dreht sich noch, als möchte sie mir zum Abschied winken, sich entschuldigen, dass sie die Reise nicht mehr wird fortsetzen können. Ich hebe die Hand, grüsse sie zurück.

Erst jetzt spüre ich die Kälte des Windes. Die Regentropfen prasseln immer noch aus den Wolken wie aufgescheuchte Wespen aus dem angestochenen Nest. Messerscharf treffen sie auf meine aufgeschürfte Haut, waschen das Blut in meine Kleider und auf den Boden. Es donnert immer wieder, der Sturm hat nicht nachgelassen.

Ein Blitz hat uns getroffen. Hat das Dach zerfetzt und mich offenbar knapp verfehlt. Aber Peggy ist getroffen. Sie hat sich gewunden vor Schmerz, sich zur Seite gelegt und kam unten am steilen Bord zum erliegen. Dennoch hat sie mich beschützt, ich danke ihr. Ich will mich erheben, doch die Schmerzen sind zu gross.

Dann werde ich von der Druckwelle des explodierenden Benzintanks weggeschleudert und es wird abermals dunkel.


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Hallo zusammen!

Na, was für ein Gewitter.

Peggy-Sue scheint den Sturz nicht überlebt zu haben. Und Peter?

Fortsetzung folgt, versprochen.

Bis irgendwann, dann. Macht's gut, hab euch lieb.

Euer Bruno

Der Bus nach IrgendwannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt