Kapitel 6: Schriften - Teil 3

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In den nächsten Tagen und Wochen gewöhnten Rin Verran und Rin Raelin sich allmählich an den Unterricht von Meister Jhe, auch wenn er immer noch genauso streng wie vorher war. Wenigstens schafften sie es mit Bao Jenkos Hilfe rechtzeitig, alle Fälle in ›Schuld und Unschuld‹ durchzuarbeiten – sogar alle korrekt. Sie hatten keine Ahnung, ob Meister Jhe ahnte, dass jemand ihnen geholfen hatte, aber wenn er es tat, so zeigte er es nicht.

Dafür gab Rin Verran sich jetzt ununterbrochen Mühe, alle Hausaufgaben vollständig und richtig zu machen und gab sie seinem Bruder sogar zum Abschreiben, wenn dieser nachmittags auf der Wiese war und mit den anderen Schülern – aber immer gegen Ghan Idos – spielte und keine Lust hatte, die Zeit mit lernen zu verbringen.

»Hast du eigentlich mal nach diesem Buch geschaut, von dem ich dir mal erzählt habe?«, fragte Bao Jenko Rin Verran eines Tages.

»Welches Buch?« Rin Verran war gerade damit beschäftigt, eine komplizierte Schriftrolle zu lesen, die gefühlt über hundert Jahre alt war und dementsprechend aussah.

»Das über die Mehn-Gilde! Du erinnerst dich?«

»Hatte noch keine Zeit dazu«, sagte Rin Verran kurz angebunden. Er schaute ruckartig zu Bao Jenko, der ihm plötzlich den Ellenbogen in die Seite gestoßen hatte. »Was ist?«

Der Junge kicherte. »Irgendwas sagt mir, dass du nicht für dich so viel lernst, sondern für jemand anderen. Warum bist du auf einmal so fleißig? Oder hat meine Motivation doch funktioniert? Aber warum dann nur bei dir?« Er strich sich nachdenklich über das Kinn.

»Deine Motivation hat wunderbar funktioniert«, sagte Rin Verran und grinste ihn von der Seite an. Ich werde ihm ganz bestimmt nicht erzählen, was mein Ziel ist. Wenn ich es ihm sage, weiß es am nächsten Tag die gesamte Gämsen-Pagode.

Wenigstens hatte Bao Jenkos loses Mundwerk das letzte Mal nicht so viel Schaden angerichtet, wie es hätte tun können. Zha Denja war immer noch eine Meisterin der Gämsen-Pagode und Val Erjan ebenfalls. Nur gingen die beiden sich ständig aus dem Weg, nahmen sogar verschiedene Pfade zum Pavillon im Garten oder warteten, bis der andere weg war, bevor sie ihren Unterrichtsraum verließen. Rin Verran kam es so vor, als würden sie alles tun, um keine weiteren Missverständnisse hervorzurufen.

»Verran!«, rief Rin Raelin auf einmal und winkte seinem Bruder zu. »Komm! Nan Fe muss noch ihre Hausaufgaben machen und überlässt dir ihren Platz!«

Rin Verran zögerte kurz. Eigentlich musste er die Schriftrolle zu Ende lesen, aber es war schon eine ganze Weile her, dass er auf der Wiese gespielt hatte. Kurzerhand legte er sein Schreibzeug beiseite, sprang auf die Beine und rannte zu seinem Bruder hinüber, der ihm freundschaftlich auf die Schulter schlug.

»Die machen wir fertig!«, flüsterte Rin Raelin ihm ins Ohr.

Rin Verran grinste. »Garantiert!«

Einige Tage später hatte Meister Jhe ungewöhnlich gute Laune, was in seinem Fall bedeutete, dass er ihnen mehr Zeit gab, um seine Fragen zu beantworten und ihnen Sachen, die sie nicht verstanden, ausführlich erklärte ohne gleich enttäuscht von ihnen zu sein. Trotzdem fürchteten beide, er könnte jeden Moment wieder in seine alten Gewohnheiten zurückfallen, und verhielten sich noch vorsichtiger und bedachter als sonst. Rin Raelin zügelte sein Temperament, bis sie den Unterrichtsraum früher als sonst verlassen hatten.

»Was war das denn?«, platzte er dann heraus und lachte sogleich auf. »Ist ja auch egal! Er hat uns nicht mal Hausaufgaben gegeben, also haben wir mehr Freizeit! Wenn wir uns beeilen, sind wir vielleicht sogar die ersten auf der Wiese! Kommst du mit?«

Rin Verran wollte gerade zustimmen, als sein Blick auf das Mädchen fiel, das gerade die Treppe zur Schriftensammlung hoch ging. Sie hatte blonde Haare, die von einem grünes Band in einem Zopf gehalten wurden. Und sie war alleine. Kein Mahr Xero in Sicht, der mit ihr plauderte und sie zum Lachen brachte. Schnell sah Rin Verran weg und hoffte, dass Rin Raelin nichts mitbekommen hatte.

Grüner Habicht und Roter DracheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt