𝖈𝖍𝖆𝖕𝖙𝖊𝖗 𝖘𝖎𝖝

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„Hey, mein Engel!"

Die 45-jährige Frau drückte Allison fest an sich, was diese sofort erwiderte. „Hi, Mum! Ich habe dich vermisst!"

Nach kurzer Zeit lösten die beiden sich wieder voneinander. Allisons Mutter, Erica, sah ihre Tochter noch einmal von oben bis unten an, bevor sie ihre Hand auf den Rücken der jungen Frau legte und sie langsam vorwärts schob. „Komm, unser Tisch ist schon reserviert!"

Das Mutter-Tochter-Duo betrat das chinesische Restaurant, das die beiden schon seit Ewigkeiten besuchten, vor allem, wenn sie die Probleme des Alltags vergessen wollten. Es war kein Geheimnis, dass die junge Polizistin chinesisches Essen liebte, vor allem Jiaozi. Es gab einfach nichts Besseres, fand Allison.

Während sich Erica um den reservierten Tisch kümmerte, schweiften Allisons Augen durch das Restaurant. Es fühlte sich an, als hätte jeder Millimeter des Gebäudes eine Erinnerung gespeichert, was der jungen Frau ein gemischtes Gefühl gab. Einerseits waren die Zeiten hier unvergesslich und es gab hier einiges zu feiern, aber manchmal waren die Gründe, warum ihre Mutter sie überhaupt hier her einlud, etwas unschön.

Ihr Blick blieb an einem Tisch in der Ecke des Restaurants hängen und sofort schlich sich ein Lächeln auf die Lippen der jungen Frau. Sie konnte sich noch genau an alles erinnern. Wie aufgeregt sie war, als sie endlich dieses Date mit dem gutaussehenden Fußballer David Evans hatte. Es war ihr wie ein Wunder vorgekommen, dass er sich für sie, aus all den Menschen, die ihn anhimmelten, entschieden hatte. Und noch überraschter war sie, als sie feststellte, dass sie eine perfekte Chemie hatten.

Sie hatten den ganzen Abend gelacht, über Gott und die Welt geredet und sich süße Dinge zugeflüstert. Allison spürte die Wärme ihren Körper durchfluten, als sie weiterhin in ihren Erinnerungen herumstöberte. Woher hätte sie mit ihren naiven 17 Jahren wissen sollen, dass sie kurz darauf diesen attraktiven Mann für sich haben würde und ihn nicht mehr los bekam?

„Allison, du Träumerin, kommst du vielleicht?", vernahm die junge Polizistin die Stimme ihrer Mutter, welche sie sofort unsanft wieder in die Realität riss. „Oh, ja sorry!"

Sie folgte sogleich ihrer Mutter durch das gut besuchte Restaurant, bis hin zu ihrem Platz. Dort ließen sich die beiden nieder und bestellten jeweils einen gespritzten Apfelsaft, bevor sie wieder begannen, miteinander zu reden.

„Hast du schon wieder einen Job gefunden, Mum?", startete Allison die Konversation, woraufhin die Frau mit den Schultern zuckte. „Hab' ein Vorstellungsgespräch bei so einer Putzfirma gehabt, aber bin mir nicht sicher, ob ich das will ..."

Erica nahm ihr Glas in die Hand und trank einen ordentlichen Schluck, woraufhin ihre Lederjacke sich um ein paar Zentimeter verschob und eines der vielen Tattoos entblößte, das auf Ericas Körper prangte. Ein kleines Lächeln schlich sich auf Allisons Lippen, als ihr die Bedeutung dieses speziellen Tattoos wieder einfiel.

Die 45-jährige Mutter hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass ihre Vergangenheit alles andere als unproblematisch war. Es begann mit Vernachlässigung im Kindesalter, was bald dazu führte, dass sie sich mit den falschen Leuten abgab. Drogen und Gewalt gehörten bald zu ihrem Alltag dazu und dies führte zu mehreren Einträgen in verschiedensten Strafregistern. Es war nicht so, als hätte Erica schlimme Straftaten, wie zum Beispiel Mord, begangen, jedoch genug, um jetzt mit der Jobsuche Probleme zu haben. Irgendwo war es doch ironisch, wenn man bedachte, was für einen Pfad Allison gewählt hatte, nachdem ihre Mutter so eine Vergangenheit hatte.

Allison sah erneut auf den Löwen, der wachsam auf dem Handgelenk ihrer Mutter saß. Er symbolisierte Stärke und das war auch eines der ersten Adjektive, das dem jungen Constable einfiel, wenn sie ihre Mutter beschreiben sollte. Immerhin hatte sich in ihrer Kindheit niemand um sie gekümmert. Sie musste dabei zusehen, wie einige ihrer Freunde verstarben, kämpfte ganz allein gegen die Drogensucht an und wurde von Allisons Vater verlassen, sobald sie schwanger war. Allison hatte großen Respekt für diese Frau, auch wenn sie in ihren Leben vielleicht nicht die besten Entscheidungen getroffen hatte, auch, was ihre Tochter betraf.

„Ich würde dir raten, den Job anzunehmen. Ich meine, es ist doch besser als nichts, oder?" „Wenn ich's mir aussuchen könnte, wär' ich ja lieber Drogendealer." „Mum!" „Was? Da macht man wenigstens viel Geld!"

In den Augen ihrer Mutter konnte die junge Polizistin erkennen, dass sie es nicht ernst meinte, aber irgendwo merkte sie auch, dass etwas an der Aussage dran war. Allison schüttelte ihren Kopf und nahm ebenfalls einen Schluck aus ihrem Glas. „Also dafür hast du dich sicher nicht die ganzen Jahre durch den Entzug gekämpft!" „Ich muss ja nichts rauchen, nur verkaufen!"

Erica lachte, als Allison nichts mehr sagte, legte eine Hand auf die linke Schulter ihrer Tochter. „War nur Spaß, aber das weißt du ja. Ich werd' mich dort wieder melden, glaub ich." Allison nickte und so kehrte wieder etwas Stille ein, bis der Kellner ihre Bestellung aufnahm.

„Sag mal, wie läuft's in deinem Job als Bulle denn so?", fragte Erica nach, worauf ein leises Kichern über Allisons Lippen kam. „Ganz gut, ist etwas stressig, aber sonst ... du hast doch sicher schon von Grayson Harvey gehört, oder?" „Gibt ja nichts anderes mehr als den jungen Mann. Was ist denn mit ihm?"

Der Constable räusperte sich, bevor sie fortfuhr. „Naja ... also irgendwie redet er nur, wenn ich in dem Raum bin und jetzt kann es sein, dass ich eventuell die Ermittlungen führe ..."

Sofort zog Allisons Mutter die Augenbrauen zusammen, lehnte sich nach vorne. „Du ermittelst in seinem Fall?" „Jap ..." „Ich dachte, du bist für sowas nicht zuständig!?" „Eigentlich nicht, aber er redet nur, wenn ich dabei bin, wie gesagt ... der Staatsanwaltschaft scheint das echt wichtig zu sein!"

Erica seufzte, nahm das Gesicht ihrer Tochter in beide Hände und sah sie mit einem besorgten Blick an, bevor sie mit leiser Stimme sprach: „Hör zu, ich weiß, du bist schon erwachsen und ein großes Mädchen, aber pass auf dich auf. Ich hab' ihn nur ein paar Minuten im Fernsehen gesehen und glaub mir, er weiß, wie er manipuliert. Der mag zwar unschuldig und nett aussehen, aber der ist ein Wolf im Schafspelz. Lass ihn ja nicht auf eine persönliche Ebene mit dir kommen, ansonsten hast du verloren!" „Mum, ich kenne ihn, er redet nur viel ohne etwas dahinter. Er will einen nur verunsichern." „Und das nutzt er dann gegen dich, Allison. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Halte dich so fern von ihm wie möglich!"

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Was ist deine aktuelle Meinung zu Allisons Mutter?

Vorschläge, Anregungen und konstruktive Kritik - ab damit in die Kommentare. (:

Alles Liebe,
Laura x
[1054 Wörter]

The Whiterose Murderer | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt