Verfolger

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- Ellen -

Ruckartig wachte ich auf. Mein Atem ging schwer und ich hatte das Gefühl, wie aus einem tiefen Traum erwacht zu sein, ein Traum voller Sterne. War ich ohnmächtig gewesen? Offensichtlich ja, aber wieso ...?

Da dämmerte es mir wieder. Man hatte meine Heimatstadt angegriffen! Und ich war allem Anschein nach entführt worden.
Sofort sprang ich auf und wollte nach meinem Bogen greifen, doch dort war er nicht.
Klar, sie hatten mir die Waffe abgenommen. Gefesselt war ich auch, was die Sache nicht einfacher machte.

Die Entführer schienen nicht da zu sein. Das war ein großes Glück, aber wenn ich unbemerkt fliehen wollte, musste ich mich beeilen.

Wachsam glitt mein Blick durch die Umgebung. Wo war ich?
In einem recht dichten Laubwald, so viel konnte ich erkennen, aber Wald gab es viel. So würde ich mir meinen Standort nicht erschließen können. Ich lauschte auf einen Fluss, vielleicht sogar die Geräusche einer Stadt, aber ich hörte ausschließlich Wald. Blätterrauschen, Geraschel von Tieren, die durch das Unterholz huschten. So käme ich nicht weiter.

Ich ruckte an den straffen Bändern, die sie mir um Hände und Beine gewickelt hatten, hoffte auf einen losen Faden, den ich irgendwie aufraffen könnte, aber ohne Ergebnis. Hilfesuchend sah ich mich nach einem Gegenstand um, mit dem ich die Bänder irgendwie hätte lösen können, aber vergebens. Ich rüttelte an ihnen, versuchte, sie mit den Zähnen lösen, aber nichts davon funktionierte. Schließlich sah ich wieder auf - und erstarrte.

Wenige Meter von mir entfernt stand ein junger Mann, um die neunzehn Jahre alt, und sah mich unverwandt an. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gesagt, er würde neugierig schauen. Aber der subtile Abscheu in seiner Haltung verriet ihn.
Einige Sekunden starrte ich ihm trotzig in die Augen, und er starrte zurück. Dann tat er einen Schritt vom Baum weg, auf mich zu, und wirkte dadurch noch größer.

„Was willst du von mir?", zischte ich. Er lachte gehässig. Dann kam er näher, ging in die Knie und beugte sich ganz nah zu mir heran.
„Nur ein bisschen plaudern."
Sein Grinsen verzog sein Gesicht zu einer Fratze. Dann erhob er sich wieder und stapfte einige Meter vor mir hin und her.
„Bist du allein hier?", fragte ich ihn. Besser war es, wenn ich ihn zum Reden brachte, als er mich. Er blieb stehen und sah mich nachdenklich an. „Netter Versuch."

Kurz herrschte Stille, und schließlich ging er wieder weiter. Ich wollte die Taktik gerade schon aufgeben, als er tief Luft holte und seufzte. Dann sah er mich an.
„Weißt du was? Ich tue dir den Gefallen." Stille.
„Ob ich allein hier bin? Nein."
Das war nicht besonders überraschend, immerhin waren es viele Krieger gewesen, die Ephredon beschossen hatten, aber ich bekam ihn anscheinend zum Reden.
„Wie viele sind bei dir?"
„Bei mir nur zwei."
„Bei dir?"
„Nichts da, mehr sag' ich dazu nicht." Ich seufzte innerlich.
„Was habt ihr mit Ephredon gemacht?"
„Eingenommen." Er grinste süffisant. Ich überlegte. Dass er nicht mehr lange antworten würde, sah man ihm an. Eine letzte Frage also.
„Was wollt ihr mit mir machen?" Ich reckte das Kinn vor. Er dagegen lachte laut aus.
„Ist das nicht offensichtlich? Du bist Informantin und Geisel."

Die Tatsache, dass er mich vorerst nicht töten wollte, beruhigte mich ein bisschen.
Dann fiel mir noch etwas ein, dass ich gerne gewusst hätte.
„Wie ist dein Name?" Er zögerte kurz, kam dann aber wieder auf mich zu. Mein Atem stockte kurz.
„Mein Name lautet Khay", sagte er. Da schien er etwas hinter mir zu bemerken, aber ich traute mich nicht, mich umzudrehen und ihn aus den Augen zu lassen.
„Und wo wir gerade schon dabei sind: Das sind Igris und Asalvador." Zwei Männer traten von irgendwo hinter mir neben ihn.

„Schön, euch kennenzulernen", sagte ich, und ich mochte den ironischen Unterton in meiner Stimme. Die beiden sagten nichts.
„Macht mir wenigstens die Fesseln ab", verlangte ich, aber sie schmunzelten nur. Ich seufzte.
„Stellt mich wenigstens hin. Bindet mich an einen Baum, aber lasst mich hier nicht einfach so rumliegen." Igris sah Khay fragend an. Der verdrehte die Augen, nickte dann aber doch. Igris und Asalvador kamen auf mich zu, der eine packte mich und der andere band meine Fesseln los. Dann brachten sie mich in Richtung ihres Lagers und banden mich dort an einem Baum fest.
Jetzt hatte ich die Freiheit, zu stehen oder zu sitzen.

Ich wollte schon wieder den Mund aufmachen, da stoppte Khay mich. „Ah! Nichts da. Wir haben jetzt was zu besprechen, dir ist es erlaubt, zu schweigen." Ich sah ihn böse an, sagte aber weiter nichts. Sie begannen, eifrig in einer fremden Sprache miteinander zu diskutieren, und hörten damit auch nicht wieder auf, bis es bereits dämmerte.

Ich hatte mich vor einiger Zeit hingesetzt und damit misstrauische Blicke von den dreien geerntet, aber nun schien sich ihr Gespräch um mich zu drehen, da sie mich immer wieder nachdenklich, feindselig oder verwundert ansahen. Nach einiger Zeit wurde mir das zu nervig. „Worüber redet ihr?"
Khay sah mich erstaunt an.
„Über dich."
„Warum redet ihr dann nicht mit mir? „Weil du lügen und unsere Pläne herausbekommen könntest."
Ich presste die Lippen zusammen, denn ... naja, ziemlich genau das war mein Plan gewesen.

Sie fingen wieder an, zu reden und ich schloss genervt die Augen. Irgendwann schienen sie sich zu entschließen, auch schlafen zu gehen. Ohne mit mir ein weiteres Wort zu wechseln, löschten sie die Fackeln an den Seiten des kleinen Lagers, gaben mir noch eine Decke für die Nacht und legten sich schlafen. Ich tat auch so, als würde ich bereits schlafen, war aber in Wirklichkeit hellwach.

Denn während ich die ganze Zeit nichts hatte machen können, hatte ich umso mehr über meine Flucht nachdenken können.
Die Rinde des Baumes, an dem ich immer noch festgebunden war, wies einige spitze Stellen auf.
Ich lauschte dem langsamen Atmen der drei, und nachdem ich mich vergewissert hatte, dass sie tief und fest schliefen, begann ich, mit meinen Handfesseln an diesen Stellen zu reiben.
Das sollte die geflochtenen Seile zerschleifen und so öffnen.

Ich versuchte, so wenig Geräusche wie möglich dabei zu machen, was das Ganze deutlich verkomplizierte. Doch schließlich hatte ich es geschafft: Ich war frei!

Die drei schienen noch nicht oft jemanden entführt zu haben, sonst hätten sie besser Acht gegeben. Mein Glück.

Zitternd stand ich auf, ohne die warme Schafsdecke war die Nacht eisig. Auf Zehenspitzen schlich ich mich die ersten Schritte davon, als sich einer der drei bewegte.

Erschrocken schoss mein Blick auf Khay, der es gewesen war.
Fast schien es mir, als starre er mich mit offenen Augen an, aber das konnte nicht sein.
Denn er schlug keinen Alarm. Und nach einer Sekunde war ich mir auch nicht mehr sicher, dass ich sie offen gesehen hatte. Vielleicht hatte ich mich getäuscht? Ich glaubte mir selbst nicht so wirklich, konnte mir diesen Umstand aber sonst auch nicht erklären.

Nach einigen Minuten Nervenkitzel, in denen ich mich in Schneckengeschwindigkeit und auf Zehenspitzen weggeschlichen hatte, konnte ich endlich rennen, ohne dass sie mich wahrnahmen.
Ich rannte davon, so lange ich es schaffte, und machte erst wieder halt, als ich meine Beine kaum noch spürte. Doch ich erlaubte mir keine langen Pausen. Bald stapfte ich schon wieder weiter.

Schließlich gelangte ich auf eine Lichtung, an dessen Ende ich ein gedämpftes Licht erspäht hatte.
Und meine Vermutung erwies sich als richtig: Es war ein kleines Dorf! Erleichtert lief ich darauf zu. Dort würde ich in der Nacht sicher eine Bleibe finden.

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Soooooo ....
Joa, endlich mal wieder ein Kapitel, hm?
Ich entschuldige mich einfach mal damit, dass ich einen ganz schönen Schreibdurchhänger hatte xD.
Ich hoffe auf jeden Fall, dass es euch gefallen hat ^^

Dunkelelfen - Die sieben Kinder des LebensWhere stories live. Discover now