Orakel

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- Mao -

Ich hockte auf dem steinigen Boden eines Felsplateaus, die Beine hatte ich über einander gekreuzt. Vor mir legte ich aus Steinen und Stöcken ein Muster auf den Boden.
Ich saß bereits mehrere Tage daran, viel mehr gab es hier oben auch nicht zu tun.

Nachdem die Nachricht aus Ephredon bei uns eingetroffen war, hatte man uns nach hier oben gebracht.

Die Stadt, an dessen nördlicher Seite das Schloss auf einer Anhöhe thronte, war nach Süden hin komplett offen und bot einen gigantischen Blick auf weite Landschaften.

Hinter dem Schloss aber begannen die Berge, ein weitläufiges Gewirr aus Stein und weißem Schnee, aus Geröll und Lawinen.
Und wunderbar eingebettet von diesem lag die Stadt, die so vor Angriffen aus dem Rücken sehr gut geschützt war.

Oberhalb des Schlosses war das Bild der Berge zackig und struppig. Dort ragten viele Felsen hervor und bildeten zahlreiche Plateaus.

Und auf einem dieser Plateaus befand ich mich gerade, zum Schutz.
Wenn die schwarzen Krieger wieder da waren, würden sie wahrscheinlich schnellstmöglich einen Angriff auf den König oder dessen Thronfolger verüben.

Unsere Flucht diente also einem Versteckspiel, bei dem die Chancen äußerst schlecht standen, zu gewinnen.

Frustriert schmiss ich einen der Steine zur Seite, mit denen ich mein Muster legte.

Die schwarzen Krieger.

Was wollten sie nur von uns?

Vor ungefähr einhundert Jahren fielen sie das erste Mal über das Königreich nieder. Sie plünderten die Städte, schreckten nie davor zurück, Unschuldige zu töten.

Einzig einem tapferen Schwertkämpfer, der damals lebte, war es zu verdanken, dass sie besiegt wurden.
Man sagt sich, dass er mit einer unglaublich mächtigen Waffe gegen ihren Anführer gekäpft hat, auf Leben und Tod.

Beide starben bei diesem Kampf.

Doch mit ihrem Anführer starben auch die schwarzen Krieger.

So hatte man bis vor wenigen Tagen noch gedacht.
Jetzt schien diese Geschichte eine äußerst drastische Wendung zu nehmen, und ich steckte mittendrin.

Ich seuftzte. Die letzten Tage hier oben waren wirklich anstrengend gewesen. Außer Steine durch die Gegend zu werfen und Schwertkampf zu üben gab es nicht viel zu tun.

Meine Beine waren inzwischen taub, doch trotzdem stand ich auf und suchte mir einen Weg an den Rand des Plateaus. Es war von Büschen übersät, sodass unser Versteck recht gut geschützt war.
Aber ich hatte einen kleinen Pfad gefunden, der von diesen Büschen wegführte, und von wo aus man einen guten Blick auf die Stadt und das Umland bekam. Vater, Onkel und Ledhos wussten nichts darüber.

Ledhos war mein Cousin, also praktisch der Prinz. Aber weil ich der nächste Verwandte nach ihm wäre, der den Thron annehmen könnte, musste ich genauso viel aufpassen wie er, um nicht getötet zu werden.
Meine Schwester Othis war allerdings nicht hier, weil sie als Mädchen keinen Anspruch auf den Thron hatte, und somit in der Dynastie nicht wertvoll war, weshalb sie sich nicht zu verstecken brauchte.
So lautete die Tradition, aber das war dämlich. Othis war eine der besten Kämpferinnnen, die ich kannte -
sie könnte dieses Reich viel eher führen als ich.

Jetzt stand ich an der Kante des Plateaus, wenige Zentimeter vor mir der Abgrund. Unter mir lag ein kleiner Bergsee, weiter draußen das Tal, in dem sich die Stadt befand, in der ein reges Treiben herrschte.
Wie gerne wäre ich jetzt dort unten und könnte ganz normale Dinge tun...

"Mao! Mao, wo bist du?"
Die Stimme gehörte Ledhos. Ich duckte mich schnell und stahl mich durch das Gebüsch hindurch zu einer Stelle hinter ihm, sodass er meinen geheimen Pfad nicht bemerken würde. Eigentlich durfte ich nämlich nicht so nah an die Kante.

Dunkelelfen - Die sieben Kinder des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt