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„Okay, das ist ziemlich cool", sagt sie außer Atem und ich lächele zufrieden.

Wir stehen auf dem Dach eines Hauses, auf dem ich schon öfter war. Der Exfreund meiner Mutter ist ziemlich reich und zu faul, um das Dach besser zu sichern. Er war nur ein halbes Jahr mit meiner Mutter zusammen, aber er musste uns natürlich seinen Reichtum zeigen. Immerhin habe ich jetzt immer einen coolen Ort, an dem ich nachts abhängen kann, wenn ich nachdenken will. An ihrem schnell gehenden Atem erkenne ich, dass meine Begleitung keinen Ausdauersport betreiben kann. Andererseits bin ich diese Leiter vielleicht auch einfach schon zu oft hochgeklettert und merke die Anstrengung deshalb nicht mehr.

„Also du kannst Cocktails mixen und beherrscht Gebärdensprache, bekomme ich einen dritten Fakt über dich?", frage ich und lehne mich neben ihr mit meinen Unterarmen auf das Geländer am Rande des Daches. Sie betrachtet die Aussicht und ihre Augen fliegen von einem Gebäude zum nächsten bis hin zu den vielen Sternen am Himmel. „Es gibt nicht viel besonderes an mir", murmelt sie beiläufig, doch ich runzele die Stirn. „Das glaube ich nicht." Sie sieht zu mir und es wirkt als würde ihr etwas durch den Kopf gehen, doch dann sieht sie wieder weg. Ich möchte sie schon darauf ansprechen, als sie mir jedoch zuvor kommt. „Sag mal, hast du eigentlich auch was drauf oder ist das nur Trug und Schein?", fragt sie und zeigt auf meine Jacke, die sie mittlerweile geschlossen hat. Ich grinse leicht und frage: „Was erwartest du jetzt? Dass ich einen Salto mache?" Sie schmunzelt und zuckt die Achseln, dann leuchten ihre Augen jedoch mit einem Mal auf und sie fragt: „Kannst du einen Spagat?" Ich muss lachen und streiche mir meine Haare aus dem Gesicht: „Das ist so ein Klischee, das beleidigt mich schon fast."

Der Wind verweht die Haare des Mädchens und sie grinst leicht verschmitzt. „Ich glaube du bist nicht so gut, wie du vorgibst zu sein", sagt sie frech und ich zucke die Achseln. „Komm zu meinem nächsten Wettkampf und ich beweise es dir", sage ich und sie erwidert meinen Blick für einen kurzen Moment. Statt einer Antwort sieht sie wieder in die Ferne und zeigt dann auf ein Gebäude am Rand der Stadt. „Dort arbeite ich eigentlich", sagt sie und ich versuche zu erkennen, was sie meint. Es scheint ein größeres Gebäude zu sein, doch von hier könnte es alles mögliche sein. Bevor ich fragen kann als was sie arbeitet, meint sie: „Fragen sich deine Freunde nicht, wo du bist?" Ich merke, dass ich langsam wieder einen Drink bräuchte, um auf meinem Level zu bleiben, doch ich schiebe den Gedanken weg. „Meine Freunde haben alle gerade ziemlich viel zu tun. Ich bezweifle, dass sie mich vermissen." Sie nickt nachdenklich und meint dann: „Schade, einer deiner Freunde sah ziemlich gut aus." Ich verziehe leicht das Gesicht, bitte lass das nicht schon wieder passieren. Erst vor wenigen Wochen habe ich mit einem Mädchen geflirtet, das eigentlich an Olivers Nummer wollte. Sie dreht sich zu mir und ich setze ein Lächeln auf, um zu verstecken, dass mein Ego gekränkt ist. Was ist in letzter Zeit bloß mit meinem Gespür was Frauen angeht los? „Schön zu sehen, dass du doch nicht so von dir überzeugt bist", meint mein Gegenüber und als ich aufsehe, erkenne ich, wie sie grinst. Ich ziehe überrascht meine Augenbrauen zusammen und verstehe nicht ganz, was sie mir sagen will. Sie läuft rüber zur Leiter am Rande des Daches und zwinkert mir zu: „Keine Angst, du gefällst mir besser als dein Freund." Mit diesen Worten steigt sie elegant über die Dachkante und ich brauche einen Moment, um mich aus meiner Verdutzung zu lösen. Ich muss leicht grinsen und laufe ihr schnell nach. Unten am Boden ist sie schon einige Meter in Richtung Hauptstraße gelaufen, doch ich hole sie noch ein und schaffe es, sie am Arm festzuhalten. Sie bleibt zum Glück stehen und ich kann mich vor sie stellen. „Ich weiß noch immer nicht deinen Namen", sage ich und diesmal atme ich etwas schwerer, weil ich die Leiter wirklich schnell runtergeklettert bin. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen die Hauswand und öffnet meine Jacke. „Brauchst du den, um dich an mich zu erinnern?", fragt sie und ich muss leicht lächeln. Vielleicht liegt es an mir, aber dieses Mädchen kann verdammt gut flirten. Ich schüttele langsam den Kopf und sie kommt ein bisschen näher zu mir, während sie meine Jacke von ihren Schultern streift. Sie ist ein Stück kleiner als ich, sodass sie zu mir aufsieht. Im fahlen Licht der Straßenlaterne erkenne ich, dass ihre Lippen leicht geöffnet sind. Ich will mich zu ihr beugen, doch sie legt mir ihren Zeigefinger auf die Lippen und grinst. „Vergiss es", haucht sie, drückt mir meine Jacke gegen die Brust und drückt mich damit gegen die Wand. „Du weißt ja, wo du mich findest", flötet sie noch und verschwindet dann mit schnellen Schritten. Verblüfft schaue ich ihr nach, muss dann jedoch auch grinsen. Ich würde ihr am liebsten nachlaufen, doch ich weiß, dass das eine dumme Idee wäre. Sobald ich wieder in der Stadt bin, werde ich definitiv diese Bar aufsuchen und mir meinen Kuss verdienen.

„Letzte Runde", verkündet Meg und kann dabei kaum mehr gerade gucken. Der Typ von vorhin ist nirgends mehr zu sehen, was mir ganz gelegen kommt. Sie hängt mit mir rum, sodass ich nicht allein trinken muss. Olli ist noch immer verschwunden und Charlie ist vor einer halben Stunde heimgegangen. „Ich freue mich so sehr für dich", säuselt Meg und legt mir ihren Arm um die Schulter. Wir trinken den letzten Shot und ich merke, dass es Zeit für sie wird, nach Hause zu gehen. Also bezahle ich, was noch übrig ist auf der Rechnung und nehme Meg mit mir nach draußen. Wir laufen die Straße herunter in Richtung S-Bahn und Meg labert mich dabei durchgängig voll. Sie erzählt mir von ihrem nervigen Bruder, der eine neue Freundin hat und deren nächtlichen Eskapaden. Sie schwankt dabei bedenklich in Richtung Straße, sodass ich sie zurückziehe und an der Hauswand laufen lasse. Ich schmunzele über ihre Ausführungen über das Sexleben ihres Bruders, als helle Autolichter die Straße erleuchten.

Ich drehe mich um, als ich Reifen quietschen höre und werde sofort von den Lichtern geblendet. Aus Reflex schießt mein Arm hoch, um Meg mehr Richtung Haus zu schieben. Alles passiert so schnell, dass ich es nicht schnell genug mit meinen Augen auffassen kann. Ich rieche verbranntes Gummi und höre Meg schreien, als mich etwas von meinen Beinen zieht. Das nächste was ich spüre ist ein heftiges Brennen in meinem Rücken und etwas Nasses, Warmes an meiner Stirn und meinem Arm. Ich höre irgendwo in der Ferne Autotüren zuschlagen und jemanden, der meinen Namen ruft. Das alles wird jedoch überschallt von dem Pochen meines Herzens und des Blutes in meinem Kopf. Der Schmerz in meinem Körper ist so stark, dass ich nicht mal schreien kann. Ich bin dankbar als die Sterne am Himmel immer unschärfer werden und sich meine Augen schließen und damit die Schmerzen von mir nehmen.


Just one step away from foreverWhere stories live. Discover now