Kapitel 20

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POV Leo

„Ich muss leider nach Hause", sage ich, als ich zurück zu Kay komme. Mein Vater hat angerufen, weil er Hilfe zuhause braucht. Ich wünschte er hätte nicht diesen Moment zwischen mir und Kay zerstört, doch gleichzeitig war es wohl das Beste. Was hatte ich da gerade vor? Ich habe eine Freundin. Kay nickt nur verständnisvoll und schlingt ihre Arme wieder um meinen Hals, nachdem ich mich vor sie gehockt habe. Beim zweiten Mal fühlt es sich schon etwas weniger seltsam an, sie zu tragen. Sie legt ihr Kinn auf meiner Schulter ab und ich kann nicht leugnen, dass ich ihre Nähe sehr genieße. Ich mag es, wie ich mich fühle, wenn sie bei mir ist. Vielleicht ist es die Art, wie sie mit mir umgeht und dass sie nichts von mir erwartet. Wenn ich bei Nika bin, habe ich oft einen inneren Druck, mich angemessen zu verhalten. Ich bringe Kay noch zu einer Bushaltestelle und mache mich dann auf den Weg zu meinen Eltern.

Es dämmert bereits und die Straßen sind angenehm leer, sodass ich anfange während des Fahrens zu träumen. Ich komme nicht umhin, die erste Begegnung mit Nika mit der mit Kay zu vergleichen. Das Funkeln in Kays Augen habe ich nie in Nikas gesehen. Sie hat auch nie so unverschämt mit mir geflirtet wie Kay, doch möglicherweise sollte ich ihr das auch anrechnen. Kays Art war überheblich als wir uns kennenlernten, allerdings würde ich lügen, wenn ich sagen würde, sie hätte mir nicht gefallen. Wenn ich jetzt zurückdenke, bin ich mir fast sicher, dass ich mich in sie verknallt hätte, wenn sie nochmal in die Bar gekommen wäre. Sie hat etwas von ihrem Charisma verloren nach dem Unfall, doch dafür habe ich sie auf eine Weise kennengelernt, die vorher niemals möglich gewesen wäre. Nika hingegen hat mich bei unserer ersten Begegnung beschützt und das ist einer der Gründe gewesen, warum ich mich immer wohl bei ihr gefühlt habe. Gleichzeitig war es in unserer Beziehung auch von Anfang an so, dass wir nicht wirklich auf Augenhöhe waren. Sie stand immer etwas über mir und das liegt nur teilweise an ihrer höheren sozialen Stellung. Als ein Auto hinter mir hupt, zucke ich zusammen und mir fällt auf, wie sehr ich in Gedanken war. Schnell schüttele ich den Kopf und fahre weiter.

POV Kay

Zoey schlägt grinsend mit mir ein, nachdem sie eine saubere Radwende geturnt hat und ich nicke ihr anerkennend zu. Nachdem die ersten Treffen zwischen uns noch teilweise holprig verlaufen sind, sind wir jetzt ein ziemlich gutes Team. Wir verbinden Turnen und Gebärdensprache einfach miteinander und manchmal gehen wir danach noch einen Milchshake trinken. Ich versuche es stets zu vermeiden, sie irgendetwas über Leo zu fragen, bin allerdings nicht abgeneigt, wenn sie von selbst anfängt von ihr zu erzählen. Sie erzählt mir hin und wieder von der Krankheit ihrer Mutter und ein Mal hat sie auch über ihre eigene Behinderung gesprochen. Es ist auf gewisse Weise schön, mit jemandem reden zu können, der weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Leute einen ansehen. Wie Zoey mit ihrer Behinderung umgeht, inspiriert mich und gibt mir Mut. In die Turnhalle zu gehen, tut noch immer weh, doch es ist schon leichter als am Anfang. Hin und wieder schaue ich danach bei Meg in der Schwimmhalle vorbei und hole sie vom Training ab. Sie trainiert wie eine Irre und verbessert sich stetig, doch es reicht ihr nicht. Ich weiß genau, wie es ihr geht, verstehe jetzt aber auch wie das von außen wirkt. Sie hat mich gefragt, ob wir mal wieder was trinken gehen wollen und schließlich konnte sie mich dazu breitschlagen. Ich ziehe mir seit Ewigkeiten mal wieder ein dunkles Hemd an und lege Parfum auf.

Als ich aus der Haustür komme, rennt meine Mutter fast in mich hinein. „Gott, du willst wohl, dass ich auch im Rollstuhl sitze", sagt sie und hält sich die Brust. Ich verdrehe schmunzelnd die Augen über ihren unangemessenen Witz und will zu Megs Auto, als sie sich vor mich stellt. „Du hast auf dem Schirm, dass du morgen mitkommst, ja?", sagt sie und zeigt mir mit ihrem Blick sofort, dass es darüber keine Diskussionen geben wird. Widerwillig nicke ich und seufze, ich habe so keine Lust darauf, vor Gericht zu gehen. Meine Mutter möchte Schmerzensgeld von den Leuten, die an meinem Unfall schuld sind. Bisher hat sie alles geregelt so weit es ging, doch ich muss leider auch aussagen. Meine Mutter sieht mich mitleidig an, seufzt dann und drückt kurz meine Schulter mit ihrer Hand.

„Viel Spaß und grüß Meg von mir", flötet sie und lässt mich dann gehen.


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