6. Roman - 12 Jahre zuvor - das Küken vom Land

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12 Jahre zuvor – das Küken vom Land

Oh Gott ... Das Feuer in meinem Inneren schien mich schier verbrennen zu wollen. Alles in mir schrie nach ihm. Nach seinen Berührungen auf meiner Haut, seinem Geruch in meiner Nase und seinem Geschmack in meinem Mund. Irgendetwas in meinem Kopf explodierte, rieselte hinab in meinen Bauch und breitete sich als wild umherflatterndes Ungeziefer aus. Grundgütiger! Mein armes Herz, welches gerade dabei war, durch meine Brust hindurch zu brechen, machte die Sache auch nicht leichter. Die Möglichkeit zu denken stand völlig außer Frage.

Seine Hand in meinem Nacken zog mich noch näher an ihn heran, während sein Kuss immer fordernder wurde. Ich konnte gar nicht anders, ich brannte lichterloh und bat innerlich, dass dieser Augenblick nie enden wolle, dass dieser Mann nie aufhörte, mich zu küssen. So zu küssen, dass ich bereitwillig und ohne jeden Zweifel den Verstand verlor, mich geradezu nach dieser Verrücktheit sehnte und sie in allen Zügen genoss.

Langsam, dabei extrem nervös, hob ich meine zitternden Hände, tastete mich blind, vertieft in das Spiel seiner Zunge, vor und traute mich, zum ersten Mal, endlich einen anderen Mann außer mich selbst anzufassen.

Hart trafen meine Finger auf Muskeln, streiften über die fließende Seide seines Hemdes, fühlten die Wärme, die von diesem Mann an meiner Seite ausging, und ließ meine Fingerkuppen kribbeln. Gott, fühlte sich das gut an. Aber das allein war es nicht, es fühlte sich verdammt nochmal richtig an. Hier bei ihm, in seinen Armen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Was fand dieser unverschämt gutaussehende Kerl nur an mir?

„Du bleibst doch noch ein klein wenig?", raunte Hannes gegen meine Lippen, kaum, dass ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, und ich konnte nur zustimmend seufzen. Ich wäre doch bekloppt gewesen, mich auch nur einen Schritt von ihm zu entfernen? Wo dies doch der einzige Ort war, an dem ich gerade wahrhaftig sein wollte.
„Was für ein braver Junge ...", bekam ich lobend zur Antwort und noch bevor ich auch nur einen Mucks darauf erwidern konnte, wurde mein Mund erneut verschlossen.

Heiß und feucht bahnte sich seine Zunge ihren Weg in meinen Mund und ließ mich stöhnen. Das ungute Gefühl darüber, dass er mich einen braven Jungen genannt hatte, fast so, als wäre ich sonst ein unartiges Kind, wurde verdrängt und in die hinterste Schublade meines Hirns verbannt. Es war egal. So lange er nicht aufhörte, mich zu küssen, konnte er mich nennen, wie er wollte.

Ich weiß nicht, ob Minuten, oder Stunden vergangen waren, für mich existierte keinerlei Zeitgefühl mehr. Doch irgendwann im Hier und Jetzt lösten sich seine Lippen von den meinen und er trat einen Schritt zurück. Augenblicklich vermisste ich seine Wärme, seine Nähe und das Gefühl gehalten zu werden. Hätten wir nicht einfach hier weiter stehen können?

Mit dem Ellbogen an den Bartresen gelehnt, floss sein Augenpaar musternd über mein Gesicht. Sein Blick loderte und er leckte sich, wohl eher unterbewusst, über die Lippen. Heiß schoss mir das Blut in die Wangen und glühte, wie mir schien noch einmal einen Ticken heißer als zuvor. Auch wenn ich ein absoluter Neuling in diesem Bereich des Zwischenmenschlichen war, diesen Ausdruck konnte selbst ich erkennen. Er war scharf auf mich!

Auf mich!?! Nervös, und nicht wissend, was ich mit meinen feuchten Händen anstellen sollte, wischte ich sie mir an meiner Jeans ab. Seine Augen klebten immer noch an mir. Machten mich verrückt. Ich fühlte mich wie ein wehrloser, zappelnder Käfer, gefangen in seinem Netz. Nur machte es mir keine Angst, zumindest keine allzu höllische von ihm verspeist zu werden. Tatsächlich sehnte ich mich danach, endlich diesen Druck, diese Nervosität loszuwerden.

„Hier!" Ein Glas schlitterte über den Tresen und ich fing es grade noch rechtzeitig auf. „Trink!", setzte er hinzu und erweckte damit den Anschein, keine Widerrede zu dulden. Doch als ihm auffiel, dass ich ihn wohl etwas überrascht ansah, huschte ein mildes Lächeln über seine Mundwinkel. „Du hast bloß so ausgesehen, als würdest du einen Drink gebrauchen!", erläuterte er sein Handeln lächelnd und griff nach seinem Glas.

„Na, mach schon Kleiner! Weder der Scotch, noch ich beißen.", zog er mich auf und zwinkerte dabei. „Wobei ich das bei mir nicht garantieren kann!"

Erneut rebellierten die Schmetterlinge in meinem Bauch und ich schluckte schwer. Würde er mich mitnehmen? Mit zu sich? Ob er sich wohl ständig irgendwelche Kerle mitnahm? Gewiss! So wie er aussah, konnte er schließlich jeden haben.

„Ein Penny für deine Gedanken, Kleiner!" Dabei setzte er sein Glas an die Lippen. „Prost!", fügte er kurz hinzu, nur um darauffolgend die Flüssigkeit in seinen Hals laufen zu lassen. Ich konnte nicht anders, beobachtete wie er seinen langen schlanken Hals überstreckte, wie bei jedem Schluck der Adamsapfel in seiner Kehle hüpfte und wie er schlussendlich über seine Lippen leckte, um den letzten verbliebenen Rest der brennenden Flüssigkeit aufzusammeln. Genussvoll schloss er die Augen und seufzte. Er schien diesen Augenblick richtig auszukosten und ich wurde tatsächlich eifersüchtig. Wollte selbst derjenige sein, der seine Lippen berührte, darüber leckte, ihn schmeckte.

Da ich mich das aber nicht traute, griff ich, wie mir auferlegt worden war, nach dem Glas und kippte ebenfalls den Inhalt in einem Zug hinunter.

Zur Hölle!!! Das Zeug brannte immer noch wie Feuer und ich begann, ganz unsexy zu husten. Tränen stiegen mir in die Augen und ich betete inständig vom Höllenschlund verschluckt zu werden, weil ich mich schon wieder blamierte.

„Langsam ...", ertönte eine Stimme aus der Ferne und jemand klopfte mir auf den Rücken. „Wir wollen doch, dass du Heile bleibst." Das Klopfen wurde sanfter, ebbte ab in ein Streicheln, sodass sich die Hitze seiner Finger durch den Stoff brannte.
Also atmete ich tief durch, versuchte, meine Contenance wiederzuerlangen und ihm mit festem Blick in die Augen zu sehen. Doch das ging so was von schief.

Kaum, dass ich meinen Kopf gehoben und seinen belustigten Ausdruck erblickt hatte, schoss mein Blick gen Boden. Meine Wangen glühten erneut auf und ich wollte sterben. Hier und jetzt in dieser Bar, wenn sich schon nicht der Boden auftat und mich mit Haut und Haar verschluckte. Wie konnte ich nur so peinlich sein? Das tatsächliche und peinliche Küken vom Land, das sich bei jedem seiner stolpernden Schritte blamierte und das erst recht in der Gegenwart eines Mannes mit seinem Kaliber. Ich sollte die Beine in die Hand nehmen und hier verschwinden, bevor ich mich nur noch lächerlicher machen würde. Also wandte ich mich um und wollte gerade die Tür suchen, als sich Finger fest um mein Handgelenk schlossen. Mit einem Ruck verlor ich das Gleichgewicht und landete hart an seiner Brust. Der mittlerweile vertraute Geruch von Mandarine schoss mir in die Nase und ließ mich genussvoll seufzen.

„Entspann dich, Kleiner!", raunte er leise an mein Ohr, was dafür sorgte, dass es mir heiß und kalt den Rücken hinab rieselte. „Ich finde es sehr, sehr sexy, wenn jemand schüchtern ist!", hauchte er mit heißem Atem gegen meine Ohrmuschel, nur um im nächsten Augenblick in mein Ohrläppchen zu beißen und dran zu saugen.
„Oh Gott ...", entkam es mir stöhnend, bevor ich auch nur einen Augenblick daran denken konnte, was ich hier grade von mir gab.
„Hannes!", erklang es recht amüsiert. „Hannes, reicht völlig aus ..."

Mr. Unvollkommen (Mr. 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt