12. Roman - 12 Jahre zuvor - sich trauen

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12 Jahre zuvor – sich trauen

Natürlich stand ich am nächsten Abend viel zu früh und aufgeregt vor dem Klub. Mit klopfenden Herzen und schwitzenden Händen, aber ich war hier. Das hat vor ein paar Stunden noch nicht danach ausgesehen.

Nachdem ich an diesem sonnigen Sommermorgen aufgewacht war, überfielen mich die Zweifel. Sollte ich wirklich gehen? Sollte ich aufs Ganze gehen? Denn darauf lief es doch hinaus, oder? Aber war ich bereit? Das erste Mal ... Gott, sollte ich mir nicht doch lieber jemanden in meiner Liga suchen? Ja, das wäre wohl wirklich besser gewesen. Stattdessen hatte ich mich in eine Zehn verschossen.

Was sollte ich nur tun? Oh man ... Hannes hatte bestimmt Erwartungen. Konnte ich die erfühlen? Immerhin wusste er genau, was er da tat und was er wollte. Und ich? Wusste ich das auch? Also so rein theoretisch gesehen wusste ich schon, was man da machte. Praktisch gesehen, nun ja, praktisch war bis auf den Abend gestern nichts vorhanden.

Tief sog ich die warme Luft in meine Lungen, schloss noch einmal die Augen, spürte die letzten Sonnenstrahlen auf meiner Haut, bevor ich mich Schritt für Schritt auf das „Big Mouth" zubewegte.

Letzten Endes hatte ich mich entschlossen. War hier. Denn diese bescheuerte Sehnsucht trieb mich in den Wahnsinn und war viel schlimmer, als die Angst zu versagen. Ja, ich war noch eine Jungfrau und ja, ich würde mich wohl heute Abend erneut blamieren.

Zum Teufel, wenn ich unterging dann aber richtig. Mit Krach und Feuerwerk. Außerdem war da immer noch diese leise Hoffnung, dass es Hannes sogar gefallen würde. Er hatte gestern zumindest nicht den Eindruck erweckt, ihm gefiele nicht, was er da sah. Und mal ehrlich, ich war schon peinlich gewesen. Richtig peinlich. Oh Gott ...

Röte schoss mir in die Wangen, kaum, dass ich an letzte Nacht dachte. An seine Hände, seine Lippen, seinen Duft. Benebelt, fast schon schwebend trat ich an die Tür und zog daran. Heute stand kein Türsteher bereit, um mich zu verhöhnen. Das deutete ich als gutes Omen und zog an der Türklinke. Krächzend schwang die schwere Tür auf und ich schlüpfte ins Innere. Stille und schummriges Licht empfing mich, als ich an die nicht besetzte Bar trat. Niemand war hier. Was für einen frühen Sonntagabend wohl nicht ungewöhnlich war und doch überkamen mich augenblicklich Zweifel.

Ich war zu früh. Eindeutig viel zu früh. Und das nur, weil ich es einfach nicht erwarten konnte. Ein, zwei Stunden später hätten sicherlich nicht geschadet. Und gestern, war er da nicht viel später aufgetaucht? Es war schon dunkel gewesen, als ich in ihn gelaufen war.

„Hallo?", rief ich mit belegter Stimme in den leeren Raum und meine eigenen Worte, die an den Wänden abprallten, ließen mich zusammenzucken. Sollte ich hier warten? Oder doch besser nach hinten gehen?

Seufzend ließ ich mich auf einen der Barhocker nieder. Vielleicht wäre es das Beste noch einmal nach Hause zu gehen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu kommen? Besser bestimmt, und doch klebte mein Arsch förmlich auf dem Stuhl.

Niedergeschlagen legte ich mein Kinn auf meine verschränkten Arme und seufzte erneut. Wieso war das alles so kompliziert? Diese Aufregung, diese Zweifel. Sonst war ich doch auch nicht so.

„Hey, Kleiner!", ertönte es hinter mir und vor Schreck wäre ich glatt vom Barhocker gefallen. Da legte sich auch schon eine warme, schwere Hand auf meine Schulter. Presste sich eine harte Brust gegen meinen Rücken und sein heißer Atem ließ mich schaudern. „Schön, dass du da bist!"

„Hey ...", presste ich kleinlaut und heiser hervor. Sämtliche Härchen stellten sich mir auf. Wieder eine totale Reizüberflutung. Wie konnte das möglich sein, dass er mich binnen weniger Sekunden, so außer Gefecht setzte?

„Na, komm Kleiner ...", riss er mich aus meinen Gedanken, bevor er mir mitten auf meinen Nacken einen Kuss hauchte. Eine winzige Berührung, die die Schmetterlinge in meinem Bauch explodieren ließ. Gänsehaut wanderte über meinen Rücken und ließ mich schaudern. Ich hatte ihn vermisst. So sehr vermisst. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre ihm um den Hals gefallen. Hätte ihn geküsst bis zum Morgengrauen. „Wir verschwinden nach hinten. Heute ist kaum Betrieb und ich hab dir ja versprochen, dass uns heute keiner stört." Wieder nur gehauchte Worte an meinem Ohr, die mich regelrecht hibbelig werden ließen.

Trotzdem erhob ich mich vorsichtig, um ja nicht zu stolpern und mich der Länge nach vor ihm niederzulegen. Bei meinem Glück war das kein allzu unwahrscheinliches Szenario und folgte ihm Richtung Büro. Doch statt bis zum Ende des Ganges zu gehen, blieb er eine Tür eher stehen und holte einen Schlüsselbund aus seiner hinteren Hosentasche. Kurz besah er sich die Schlüssel, als er wohl schon den Richtigen erblickte und die Tür damit aufschloss.

„Nach dir!" Wies er mir den Weg durch die geöffnete Tür. Neugierig und aufgeregt zugleich betrat ich das schummrige Zimmer. Nur, um einen Schritt später inne zuhalten.

Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Ehrlich gesagt hatte ich gar nichts erwartet, oder doch, dass wir wieder in seinem Büro verschwanden. Stattdessen stand ich in einem Wohn- und Schlafraum. Es wirkte wie ein Herrenzimmer aus der Kolonialzeit. Schwere dunkle Möbel. In Schwarz und Dunkelrot gehalten. Auf der einen Seite dominierte ein großer Schreibtisch mit Ledersessel und ein deckenhohes Bücherregal. Auf der anderen Seite ein massives Himmelbett mit dunkelroten Vorhängen. Man hatte das Gefühl in die Vergangenheit zu tauchen. Aber wenn ich ehrlich war, passte das viel besser zu dem Mann hinter mir, als das kleine nichtssagende Büro.

„Da ich mit dem Klub verheiratet bin.", beantwortete er meine nicht gestellte Frage. „Schlaf ich die Hälfte der Zeit hier, statt mich in den frühen Morgenstunden nach Hause zu schleppen." Trat an mir vorbei und ging auf einen Abstelltisch zu, auf dem sich eine ausgefallene Flasche an die andere reihte. Alle mit bräunlich bis goldener Flüssigkeit darin. Kurz hielt er inne, schien darüber nachzudenken, welche davor er nehmen sollte, bevor er tatsächlich nach einer der Flaschen griff und zwei Gläser fingerhoch eingoss.

„Hier.", bot er mir eines davon an und hielt es mir entgegen. Da ich immer noch vorne bei der offenen Tür stand, schloss ich sie und ging auf ihn zu. Nahm den mir dargereichten Drink und sah mich weiterhin fasziniert um. Es war schön und einschüchternd zugleich. Ein bisschen so, als hätte ich einen Zeitsprung in eins meiner Bücher gemacht. Und Hannes ein wunderschöner Graf, der allein mir gehörte.

„Setzt dich.", bat er und deutete auf das weinrot bezogene Sofa hinter dem Beistelltisch. Was ich auch tat. Denn meine Knie waren immer noch weich wie Pudding.

Ich war fasziniert und eingeschüchtert zugleich. Er spielte eindeutig nicht in meiner Liga. War eine Zehn. Ach, was sagte ich da. Eine Hundert. Und ich. Gott, ich hatte gar keine Zahl verglichen mit ihm. Ich war ein niemand. Ein unerfahrener kleiner Junge. Ahnungslos und schüchtern.

Gut, dass ich mich gesetzt hatte, sonst wäre ich sicherlich rückwärts wieder raus gelaufen. Stattdessen nippte ich an dem Glas der goldfarbenen Flüssigkeit. Ich hatte keine Ahnung von Whiskey, sollte es sich dabei tatsächlich um einen handeln, und hätte einen Schlechten nicht von einem Guten unterschieden. Er brannte. Auf meinen Lippen, in meiner Kehlen und mir wurde noch heißer. Nervös setzte ich ihn erneut an meinen Lippen und kippte den ganzen Inhalt meine Kehle hinunter. Unterdrückte das Gefühl, mich zu schütteln. Leckte mir anstelle über die Lippen, um auch den letzten Tropfen aufzunehmen, in der Hoffnung, der Alkohol würde mir wenigstens etwas der Aufregung nehmen und blickte hoch. Begegnete seinen dunklen Augen, die mich förmlich anstarrten. Sein Blick schien zu brennen. Meine Kehle, grade noch benässt, wurde trocken. Wie ein Raubtier musterte er mich, schlich auf mich zu. Kam mir Zentimeter für Zentimeter näher. Mein Herz stockte. Setzte aus. Ich konnte nicht mehr atmen.

„Du weißt gar nicht, was du mit mir anstellst, Kleiner!"

Mr. Unvollkommen (Mr. 4)Where stories live. Discover now