26. Roman - Halt

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Da war die Hand, die Chance, die ich nutzen könnte, und ich griff zu. Wollte ihn nicht länger warten lassen.

Ob es gut gehen würde? Ob wir zusammen passten? Ob das mit der Entfernung funktionieren würde? Ich wusste es nicht. Aber das wusste man doch nie, oder? Was ich aber mit Sicherheit sagen konnte, irgendwie tat er mir gut. Er brachte mich runter, brachte mich zur Ruhe. Er war das, was ich gerade brauchte. Und über die Zukunft wollte ich mir heute keine Gedanken mehr machen. Ich wollte einfach nur seine Hand nehmen und ein Stück mit ihm gehen. Ihn besser kennen lernen und dann, dann könnte man sehen, wohin uns dieser Weg führte.

„Magst du mit zu mir?", fragte Daniel, kaum, dass ich unsere Finger mit einander verschränkt hatten. „Ja, warum nicht.", erwiderte ich und wir schlenderten den zuvor gegangen Weg zum Heaven zurück. Es herrschte kaum Verkehr, so dass ich einfach nur die Ruhe, und das Gefühl seiner Haut auf meiner genoss. Dieses Kribbeln, welches das Ungetier in meinen Eingeweiden rumoren ließ. Etwas, dass ich schon so lange nicht mehr empfunden hatte. Überraschenderweise machte es mir keine Angst mehr. Im Gegenteil, ich freute mich. Genoss es und wollte ihm eine Chance geben zu wachsen.

„Willst du drinnen Bescheid geben?" Riss er mich aus den Gedanken, nach dem wir beim Parkplatz angekommen waren und Daniel dabei war, die Autotür aufzusperren. „Nein." Und zur Untermauerung schüttelte ich den Kopf. Hannes würde für sich, über mein Fortbleiben, wohl die richtigen Schlüsse ziehen. Eigentlich wäre es wohl sogar besser und an der Zeit, Abschied zu nehmen. Dieses Mal wohl für immer, aber das hatte bis morgen Zeit. Heute wäre es wohl leichter, ihm einfach seinen Freiraum zu lassen und zu hoffen, dass er sich besann und doch noch auf Benny zuging, und das, was zwischen ihnen stand aus der Welt räumte. Irgendwas sagte mir, dass aus den beiden was werden könnte.

Hannes hatte sich verändert, war nicht mehr der Lebemann von früher, sondern auf der Suche nach Beständigkeit. Nach einem zu Hause, dass er mit jemanden teilen konnte. So, wie wir alle irgendwie. Und vielleicht, wenn Benny über all die Jahre hinwegsehen könnte, könnte er auch dieser Richtige für Hannes sein.

Wieso nur war es so leicht, in anderen zu lesen, aber so schwer in sich selbst zu sehen? Denn bei Hannes brauchte ich nur einen Tag mit Gesprächen, um zu verstehen, dass er in all den Kerlen, die er sich sonst angelte, die er sich unterwarf, nie das finden konnte, was er suchte. Nämlich Halt. Und auch wenn er meinte, Benny und er wären zu verschieden, konnte ihm dieser genau das geben. Halt.

Für meine Erkenntnis hatte ich viel länger gebraucht. Aber gut. Selbst ein blindes Huhn fand irgendwann einmal ein Korn und so musste auch ich mir eingestehen, dass ich in meiner Vorliebe für Twinks, und der Vorliebe für das Fremdgehen, nur der Gefahr entkommen wollte, nicht am höheren Hebel zu sitzen. Wieder von jemanden abhängig zu werden. Kontrolliert zu werden. Mich in etwas zu verrennen. So wie damals bei Hannes. Auch wenn mir jetzt erst bewusst wurde, dass er mir nie was versprochen hatte. Mir nie mehr gegeben hatte, als sein Schlafzimmer hergab. Und in diesem und für den jeweiligen Augenblick, war ich wohl wirklich der Einzige und der Richtige für ihn.

Und Danny, ich sah zu ihm auf und lächelte. Ja, er gab mir das Gefühl, das ich alles selbst entscheiden könnte. Er verführte mich nicht, er drängte mich nicht. Aber er gab mir auch nicht das Gefühl, dass ich mit ihm treiben könnte, was ich wollte. Stattdessen gab auch er mir Halt. Meine Mundwinkel zuckten. Welch Ironie des Schicksals. Zwar auf eine ganz andere Art und Weise, wie Benny Hannes und doch auch hier war es Halt.

„Was ist so lustig?", fragte mein Gegenüber und stieg gleichzeitig ins Auto hinein. „Nicht so wichtig!", antwortete ich grinsend und folgte ihm. Das war es auch nicht. Jetzt aber sollte ich mich lieber auf den Mann mir gegenüber konzentrieren und die Vergangenheit, all für alle Mal ruhen lassen.

Und so saß ich da und betrachtete ihn von der Seite. Genoss die Aussicht, die Ruhe. Wortlos fuhren wir zum ihm. Jeder wohl seinen eigenen Gedanken nachhängend. Aber es fühlte sich nicht falsch an. Es war ein entspanntes Schweigen. Eins, bei dem man wusste, das alles gut war. Und so dauerte es gar nicht lange, bis er einen Parkplatz unweit von dem Haus, in dem er wohnte, ansteuerte und wir uns kurze Zeit später auf den Weg nach oben begaben.

„Wie wäre es mit einem Bier?", schlug er vor, während er die Haustür aufschloss. „Gerne.", erwiderte ich und folgte ihm in seine Wohnung. Für das es erst das dritte Mal war, wirkte es schon fast vertraut. So saßen wir kurze Zeit später nebeneinander auf dem Sofa, das Bier unangetastet auf dem Wohnzimmertisch davor.

„Hey ...", flüsterte ich, weil die Stille zwischen uns plötzlich umschlug und doch unangenehm zu werden schien. Aber eigentlich wollte ich gar nicht reden. Ich wollte mich an ihn lehnen. Seine Wärme spüren, ihn riechen und dazu einfach meine Augen schließen und diesen Moment genießen. „Hey ...", flüsterte auch er zurück und streckte mir erneut seine Hand entgegen. Irritiert betrachtete ich sie, bevor ich meine hob und sie in seine legte. Ich beobachtete wie sich seine Finger vorsichtig um meine schlossen und mit einem Ruck, zog er mich zu sich. Da ich nicht damit gerechnet hatte, hatte er leichtes Spiel und ich landete an seiner Brust. Die andere Hand legte er mir in den Nacken und zog mich noch etwas näher zu ihm hin.

„Ich finde, ich hab mich genug zurückgehalten!", flüsterte er rau und seine Augen wurden dunkler. „Außerdem finde ich, muss ich dir erst mal zeigen, wie man jemanden richtig küsst. Nicht so ein Picken, wie von einem Küken." Sein Mundwinkel zuckte und ich wusste ganz genau, auf was er da anspielte.

„Dann solltest du vielleicht weniger reden!", gab ich zurück und musste ebenfalls grinsen. Ja, dieser spontane Kuss in seiner Diele war wirklich keine Glanzleistung gewesen. Das konnten wir bestimmt besser. Und während ich noch darüber nachdachte, beugte er sich schon zu mir vor und einen kurzen Moment darauf landete sein Mund auf dem Meinen. Es wurde ein langsamer, sanfter Kuss. Aber dennoch einer, der das Ungetier in meiner Magengegend zum Rebellieren brachte. Das Blut in meinen Adern rauschte und die Hitze flutete meinen Körper. So vertraut, und doch so anders, als ich es je zuvor erlebt hatte. Ich rutschte näher zu ihm hin. Wollte mehr von ihm spüren. Ihn noch inniger Küssen. Ließ mich fallen und wurde gehalten.

Mr. Unvollkommen (Mr. 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt