Nicola zog die Wagentür zu und legte den Sicherheitsgurt an. Nachdem sie den Wagen gestartet hatte, drückte sie auf die Wahlwiederholung ihres Telefons, welches sich mit der Freisprechanlage des Autos verbunden hatte. Es tutete mehrere Male laut, dann hob mit einem Knacken in der Leitung jemand am anderen Ende ab.
»Primero Wine Company, was kann ich für Sie tun?«, meldete sich eine weibliche Stimme.
»Mrs Primero, ich habe vorhin schon einmal angerufen. Hier spricht Detective Nicola Klaus. Ich bearbeite den Vermisstenfall Ihres Sohnes und würde Ihnen und Ihrem Mann gern ein paar Fragen stellen. Wann kann ich Sie treffen?«
»Oh, entschuldigen Sie, ich bin Mrs Primeros Sekretärin. Sie ist gerade in einem Meeting, kann ich ihr vielleicht etwas ausrichten?«, erklärte die junge Frau.
Sprachlos starrte Detective Klaus kurz auf das Handy. Das sollte wohl ein Scherz sein. »Nein, können Sie nicht. Holen Sie sie ans Telefon.«
»Aber Mrs Primero ist in einem Meeting, das sagte ich Ihnen doch gerade ...«
»Das ist mir egal. Ihr Sohn wird vermisst und ich muss sofort mit ihr sprechen, also holen Sie sie ans Telefon. Jetzt!«
»Bleiben Sie dran!« Die Freundlichkeit war aus der Stimme der jungen Frau gewichen, nun klang sie deutlich genervt.
Nicola hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde, dann durchquerten Schritte einen Raum und unterschwelliges Murmeln drang durch die Freisprechanlage in ihr Auto. Kaum eine Minute später meldete sich die Mutter des Vermissten.
»Primero?«
»Hi, hier ist Detective Nicola Klaus –«
»Ich weiß, wer Sie sind. Haben Sie etwas herausgefunden?«
Wie nett, dachte Detective Klaus und biss sich auf die Zunge, um ihr keinen schnippischen Kommentar entgegenzuschleudern.
»Nein«, entgegnete sie stattdessen knapp. »Ich wurde eben erst von meinem Captain mit dem Fall betraut. Mir stellen sich ein paar Fragen, die ich gern mit Ihnen persönlich klären will. Wann kann ich Sie und Ihren Mann treffen?«
»Wir sind gerade wegen einer wichtigen Firmenübernahme außer Landes, das wird also nicht möglich sein«, entgegnete Mrs Primero kühl.
Nicola schnaubte. »Sie nehmen mich auf den Arm, oder?«
»Hören Sie mich etwa lachen?«
Kurz herrschte Schweigen.
»Na, hören Sie mal! Ihr Sohn wird vermisst und Sie empfinden es als nicht wichtig, herzukommen und ihn zu finden?«
»Hören Sie mal!«, ahmte die Frau ihren empörten Tonfall nach. »Der Commissioner hat meinem Mann versichert, dass Sie die Beste sind. Also machen Sie Ihren Job und finden Sie meinen Sohn. Ihre Fragen können Sie meiner Sekretärin per Mail schicken. Wir werden Sie beantworten, sobald wir können. Guten Tag!«
Das Telefonat war beendet. Nicola presste die Lippen aufeinander und schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte man so ignorant und gefühllos sein, wenn sein Kind vermisst wurde?
Kopfschüttelnd bog Detective Klaus in eine schmale Nebenstraße ein, wo ihr ein hohes, schmiedeeisernes Tor den Weg versperrte. Sie ließ das Fenster der Fahrerseite herunter und drückte auf die Klingel, woraufhin ein kurzes Piepen ertönte, dann begrüßte sie eine helle, schüchterne Stimme.
»Ich bin Detective Klaus, ich untersuche den Vermisstenfall.«
»Gut, dass Sie da sind! Fahren Sie die Einfahrt hoch, ich warte am Eingang auf Sie.«
Ein technisches Sirren ertönte und die Torflügel schwangen quietschend auf. Nicola lenkte ihren Wagen den breiten Steinweg hinauf und erblickte ein riesiges Anwesen. Die steinerne Fassade glänzte im Sonnenlicht und als sie einen kleinen, runden Brunnen vor der Haustür umkreiste, sah sie ein junges Mädchen nervös auf der Veranda stehen. Sie hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und zitterte in der Dezemberkälte. Als Detective Klaus ausstieg, stürmte sie auf Nicola zu.
»Hi, ich bin Ruth. Ich habe Leon als vermisst gemeldet. Endlich sind Sie da!« Sie schüttelte ihr die Hand, und strich sich mit der anderen eine lose Strähne ihres Bobs hinters Ohr.
»Gehen wir doch rein«, schlug Nicola vor, woraufhin Ruth zustimmend nickte. »Und jetzt erzählen Sie mir erst einmal, was genau passiert ist.«
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The Lost Christmas
Mystery / ThrillerDetective Nicola Klaus erfreut sich an einem ruhigen Alltag, nachdem sie von der Stadt auf das Land gezogen ist. Sie glaubt, ein friedliches Weihnachten vor sich zu haben, nachdem das letzte Fest mit der Jagd nach einem Lügner endete. Doch sechs Tag...