Türchen 18 - Der Tipp

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Irgendwie hatte die Polizistin es geschafft, den Mann in den Fahrstuhl und schließlich auf einen Stuhl im Verhörraum zu bugsieren, ohne dass er gestürzt war oder sich übergeben hatte. Nun beobachtete sie ihn durch den falschen Spiegel, wie er immer wieder an dem Automatenkaffee nippte, den Nicola ihm vor die Nase gestellt hatte. Ungeduldig warf sie einen Blick auf die Uhr. Wie lange würde es wohl noch dauern, bis der Mann wieder bei allen Sinnen war und sie ihn verhören konnte. Sie brauchte unbedingt Antworten!

Ihr klingelndes Handy riss sie aus den Gedanken und ihr fiel das erste Mal seit langem auf, dass kaum eine Stunde am Tag verging, ohne dass sie kontaktiert wurde. Sie machte sich in Gedanken eine Notiz an ihr eigenes Ich, eine Auszeit zu nehmen, wenn sie den Fall abgeschlossen hatte.

Ein freudloses Lachen entwich ihr, denn eigentlich war das überhaupt erst der Grund gewesen, warum sie nach Grimstone Creek gezogen war. Sie hatte sich erhofft, dass es auf dem Land ein wenig ruhiger zuging, aber anscheinend verfolgten die verrückten Fälle sie hartnäckig, bis in das kleinste Dorf.

Sie drückte auf den grünen Hörer ihres Telefons und meldete sich mit einem kurzen »Hallo?«

Als niemand antwortete, setzte sie erneut an, doch stockte mitten im Wort.

»Mit wem spreche ich? Sie haben schon einmal bei mir angerufen, hab ich recht?«

Ein stetiges Atmen drang durch den Hörer und ließ Detective Klaus' Nackenhaare aufstellen. Am liebsten hätte sie aufgelegt, doch das kam nicht in Frage. Sie war sich sicher, dass der Anrufer etwas mit den Entführungen zu tun hatte, auch wenn sie noch nicht genau sagen konnte, wie er ins Bild passte – falls es überhaupt ein Mann war.

»Hallo, Detective«, meldete sich die tiefe, verzerrte Stimme wieder zu Wort. »Haben Sie meine Nachricht erhalten?«

Seine Stimme klag fordernd, doch es schwang in ihr auch noch etwas Anderes mit. Etwas, das nicht so recht zum Täterbild passte, Nicola aber auch nicht benennen konnte.

»Sie meinen den Umschlag?«, fragte die Polizistin vorsichthalber nach, doch der Anrufer blieb still. Sie deutete das als ein Ja. »Den habe ich bekommen.«

»Konnten Sie mein Rätsel schon lösen?«

Nicola stieß frustriert die Luft aus. »Nein, noch nicht. Wieso Sie vielleicht geschnappt werden? Enthält der Brief einen Hinweis auf Ihre Identität?« Sie wusste, dass der Versuch, so an eine Antwort zu gelangen, sinnlos war. Dennoch konnte sie die drückende Stille im Anschluss an ihre Frage kaum ertragen.

Dann erklang ein leises Piepen und sie spürte schon fast, wie die Person am anderen Ende hektischer wurde.

»Die Antwort liegt im Namen. Lösen sie das Rätsel!«, flüsterte er ins Telefon, dann war das Gespräch auch schon wieder vorbei.

Eine schwere Last legte sich auf ihre Brust. Einerseits hätte sie ihr Handy am liebsten schon wieder an die Wand geworfen, andererseits brannte sie darauf, den Hinweis sofort zu überprüfen. Sie tastete nach dem Umschlag in ihrer Jackentasche und wollte ihn gerade herausziehen, als die Tür aufging und der Captain in den Raum trat.

»Was haben wir hier?«, fragte er mit in die Seite gestützten Händen. Bei dem zusammengesackten Mann auf der anderen Seite des Spiegels legte er verdutzt die Stirn in Falten. »Ein neuer Verdächtiger?«

Detective Klaus schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so. Nein, er hat mich bei Grimm's angesprochen und einen Einbruch gemeldet.«

Sie bemerkte aus dem Augenwinkel, wie ihr Boss sie ansah.

»Wenn Sie wollen, kann ich einen Kollegen schicken, der die Anzeige aufnimmt ...«, bot er an.

»Oh nein, er hat vielleicht Informationen zu den Entführungen. Erinnern Sie sich an die Spritze, die ich im Garten des Primero-Anwesens gefunden habe?« Der Captain nickte nachdenklich. »In ihr waren Rückstände eines Anästhetikums – Ketamin – enthalten, welches man, laut Labor, oft in Tierarztpraxen benutzt. Nun raten Sie mal, wo der Mann arbeitet.«

»Ich vermute in einer Tierarztpraxis?«

»Exakt. Ich bin mir sicher, dass der Einbruch dort mit unserem Fall zusammenhängt.«

Auf den Lippen des Captains bildete sich ein Lächeln. »Dann will ich Sie nicht länger aufhalten, Detective. Mal sehen, was der gute Mann so zu sagen hat.«

The Lost ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt