Kapitel 38

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𝐌𝐄𝐑𝐋𝐈𝐀𝐇

Genervt rolle ich mit den Augen und Jack kann sich ein schmunzeln nicht wirklich verkneifen.

„Komm, wir müssen ihm nachgehen."
Jack schiebt mich am Rücken vorwärts, wobei ich am liebsten wie ein Stein stehen bleiben würde, als Liam wie ein Hündchen hinterher zu laufen.

Mit schnellen Schritten erreichen wir unser Ziel und bleiben an der langen Seite des Tisches stehen.

Mit einem Blick nach links entdecke ich sofort, wen Liam meinte mit „ich mache nur das, was mir aufgetragen wurde".

Da vorne steht Katharina, mit gefalteten Händen und starrt mich ebenfalls so verblüfft an wie ich sie. Es müsste ihr doch klar sein, dass ich jede Chance angenommen hätte, um aus dem Irrenhaus zu fliehen.

„Merliah," beginnt sie und setzt nun ein erfreutes Lächeln auf.
„Ich hätte nicht erwartet, dass du unter Liam so schnell nachgibst. Er ist durch seine Unfreundlichkeit manchmal etwas.., nun ja, kompliziert."

Ich muss mir ein Lachen verkneifen und Liam, welcher mir gegenüber steht, gibt ein beleidigtes schnauben von sich. Sagt aber kein Wort.

„Zu dem Zeitpunkt wäre ich mit jedem mitgegangen. Hauptsache weg von diesem
Ort", beantworte ich ehrlich ihre Anspielung, darauf bedacht, Liam ein wenig zu kränken.

Katharina behält ihren freundlichen Gesichtsausdruck bei und öffnet hinter ihr auf einem Whiteboard eine Art Grundriss, von irgendeinem mir unbekannten Gebäude.

„Das ist der Grundriss unserer Zentrale", erläutert sie mir und deutet danach mit dem Finger auf den Tisch.

„Vor dir liegt ein Handy, du wirst lernen mit diesem umzugehen und dich ebenfalls mit dem gesamten Umfeld der Technik bekannt machen. Dieser Plan der Zentrale und andere wichtige Informationen sind bereits verfügbar."

Ich nickte langsam und hebe das kühle Gerät hoch, dass etwa so lang und breit ist, wie meine eigene Hand. Es ist komplett schwarz und auf der Rückseite ist ein Apfel abgebildet, ziemlich schräg.

„Und das soll ich mir selber beibringen?"
frage ich verblüfft und betrachte das Teil weiterhin ehrfürchtig in meinen Händen.

Katharina richtet ihren schwarzes langarmshirt und antwortet : „Im entferntesten Sinne. Auf deinem Zimmer findest du ein Computer, mit diesem wirst du dir Videos anschauen, in denen alles erklärt wird."

„Danke", reagiere ich erleichtert und werfe zum ersten Mal einen Blick in die Runde.

Die Männer und Frauen sind allesamt in dunkelblau gekleidet und hören uns mit undurchdringlicher Miene zu.

„Sienna wird dich jetzt auf dein Zimmer bringen, dort kannst du dich erstmalig ausruhen, es ist Zeit für eine Pause", kündigt die schwarzhaarige an und deutet mit der Hand neben sich, auf eine rothaarige Frau, die ungefähr in meinem Alter zu sein scheint.

Sienna kommt direkt auf mich zu und hackt sich bei mir unter. Ohne einen Blick zurückwerfen zu können zieht sie mich mit und ich muss aufpassen, dass mir die Blechbüchse nicht aus der Hand fällt.

„Du hast dich gut gemacht, als ich mit 19 das erste mal vor Kathrina stand, habe ich mir fast in die Hose gemacht", gesteht Sienna während wir an einem leeren Kampfring vorbeigingen.

Verdutzt zog ich beide Augenbrauen nach oben und erwiderte : „Sie ist vielleicht meine Mutter oder eine Lügnerin, da bin ich mir nicht sicher. Sei bitte nicht überrumpelt von meiner Ehrlichkeit."

Die rothaarige kicherte und rümpfte ihre mit Sommersprossen besetzte Nase.
„Ich wusste es schon. Alle wissen es. Und selbst wenn nicht, eure Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen. Wäre Katharina ein paar Jahre jünger, könntet ihr als Zwillinge durchgehen."

„Wenigstens scheint ihr hier ehrlich zu sein. Denn wenn ich nochmal in ein Nest aus lügen gesteckt werde, weiß ich nicht, was ich im früheren Leben getan habe, um so eine Art von Karma zu verdienen", gestehe ich ehrlich und beobachte zwei Frauen, die an einer Pistole Experimentieren.

Sienna schnaubt.
„Du warst klein und unwissend. Niemand hätte sofort gewusst, dass er von einem Bienenschwarm direkt ins Nest gestoßen wurde. Die Whites sind hinterhältige Arschlöcher, sie haben mehr als nur zwei Gesichter, sei froh, dass du da raus bist."

„Woher weißt du etwas über die Whites?"

Wir gingen in einen Flur, der geradeaus von uns lag und mit einer hellbraunen Tapete mit gold Elementen geschmückt war.

Kleine Überwachungskameras hingen in den Ecken der Wände, wie man sie aus Filmen kennt. Und ein Fahrstuhl fand seinen Platz an der rechten Wand, den wir in diesem Augenblick passierten.

„Liam hat uns einiges über die Menschen dort erzählt, aber nie, warum er so vieles über sie wusste", erzählte Sienna offen und ich war jetzt schon dankbar dafür, dass noch keiner von meinen Fragen ausgewichen wurde.

Jedoch behielt ich meine Vermutung, dass Jaxon und Liam sich zum verwechseln ähnlich sahen erstmal für mich. Ich sollte zuerst dicker mit Liam werden und ihn dann darauf ansprechen.

„Hier, das ist deins!", schoss Sienna plötzlich wie aus der Pistole hervor und blieb am Ende des Flurs ruckartig vor einer dunkelbraunen Holztür stehen.

Ich beäugte die Tür wie ein Ungeheuer, was der Frau neben mir aufzufallen schien.

„Dein Zimmer ist im ersten Stock, wir haben insgesamt sieben. Und nah an der Zentrale! Abends ist es vielleicht nicht ganz so still, aber glaub mir, die Zimmer sind die besten", meinte Sienna freundlich und öffnete die Tür mit einer schnellen Handbewegung.

Sie ging langsam auf und mir viel sofort das Himmelbett ins Auge, dass den gleichen Holzton besaß wie die Tür. Generell spiegelte sich die wohnliche Farbe im ganzen Zimmer wieder.

Ich trat langsam ein und nahm den Schreibtisch, die Gitarre und die Tür, die vermutlich zu einem Badezimmer führte unter die Lupe.

Komischer Weise fühlte ich mich nach langer Zeit wohl. Angekommen.
Ob es der Wärme, wie das Zimmer eingerichtet war zuzuschreiben war, oder dem großen Fenster auf der rechten Seite, welches sogar eine Fensterbank hatte auf die man sich setzen konnte, wusste ich nicht.

Aber es schien mir auch egal zu sein. Ob für den Moment oder für immer, ich wollte es einfach nur mal genießen.

„Hey Mer, auf dem Schreibtisch liegt eine Anleitung mit Bildern, wie du dir die Videos für dein Handy angucken kannst. Im Schrank sind frische Klamotten und hinter der Tür ist das Badezimmer. Wenn es dir an etwas fehlt, geh einfach den Weg zurück in die Zentrale und frag jemanden. Doch du kannst natürlich auch zu mir kommen, ich bin gegenüber, habe es schließlich dir zu verdanken, dass ich nicht mehr im siebten Stock wohnen muss", informierte mich Sienna über alles mögliche, aber an mir blieb eigentlich nur eine Sache Heften.

„Mer?", flüsterte ich fragend und pulte unsicher an der Haut meiner Fingernägel.

„Noch nie einen Spitznamen bekommen?", warf mein gegenüber belustigt ein, ich konnte allerdings nur verneinend das Gesicht verziehen.

„Es gibt immer ein erstes Mal, Mer.
Und du wirst hier alles erleben, was dir bisher verwehrt war. Leb deine Kindheit nochmal, guck Filme, Serien, alles! Gib Leuten schräge Spitznamen. Tu, was du tun willst", verkörperte Sienna mir mit reiner Energie, wie wunderschön es sein wird, all diese Dinge tun zu können.

You're my overdoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt