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„Alle Agenten auf ihre Position! Sternschnuppen-Sonderlieferung in drei, zwei, eins …“

Ein goldenes Licht erhellte die gewaltigen Hallen der Wunscherfüller-Fabrik. Celeste kniff die Augen zusammen, als die leuchtende Kugel mit glitzerndem Schweif über den Himmel sauste, dann verschwand sie in Richtung Erde und in der Halle der Agenten brach tosender Applaus aus.

„Sehr gut, gelungener Schuss, Cosmo! Du bist dann in einer Stunde damit dran, die Wünsche einzusammeln, die sich alle davon erträumt haben. Celeste?“

Vega, die Co-Leiterin der Einsatztruppe B47, blickte sie aufmerksam an. „Irgendetwas Interessantes im Visions-Verzeichnis?“ 

Die junge Wunscherfüllerin sah auf. Seit sie in der Fabrik angefangen hatte - und im Universum gab es keine Zeit - hatte sie ihren Platz am Schaltpult für Träume und Visionen gefunden, in der hinteren Ecke der Wunschhalle. Sie liebte ihre Aufgabe sehr. Mit schnellen Griffen und noch schnelleren Blicken scannte sie die Liste und schüttelte den Kopf.

„Nichts Großes, nur das Übliche“, sagte sie ruhig. Als universelles Wesen fiel es ihr leicht, über alle tausend Vorgänge den Überblick zu behalten, und seien die Wechsel auch noch so schnell. „Nur Seele 336699 macht mir wieder Probleme. Wie immer“, seufzte sie.

Cosmo trat zu ihr. Seine dunklen Haare fielen in Locken in sein Gesicht und das energetische Knistern seines Energiekörpers warf winzige Funken auf ihren Arbeitsplatz, doch auf Menschen hätte er vermutlich eher wie ein Engel in einer Lichtwolke gewirkt. Aufmerksam runzelte er die Stirn. „Wieso, was hat sie diesmal angestellt?“

Celeste tippte auf den Bildschirm und rief eine Tabelle auf. Neugierige Agenten scharrten sich um sie, ebenso wie ihre beste Freundin Astra, doch trotz der vielen Agenten glaubte Celeste nicht, eine schnelle Lösung zu finden.

„Seht nur“, sagte sie, während sie auf das übergroße schimmernde Board deutete, das vor ihnen aufgetaucht war. „Heute sind es schon 26 ernsthafte Wünsche, die unser System empfangen hat. Das Problem ist, dass ich nicht weiß, was ich damit machen soll - Seele 336699 wünscht sich ständig gegensätzliche Dinge. Erst wünscht sie sich, ausschlafen zu können, dann kann sie es kaum erwarten, aus dem Haus zu gehen. Sie will Brötchen und Spagetti zum Frühstück; wenn sie unterwegs ist, stehen ihre Gedanken grundsätzlich Kopf. Es ist ein ständiges Hin und Her - Sportwagen, kein Sportwagen, Ingenieur werden, lieber Musiker, oder doch Profisurfer …“ Celeste stieß ein genervtes Geräusch aus und fuhr sich durch die elektrisch geladenen Haare. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll! Seele 336699 widerspricht sich am Tag mindestens dreimal selbst, und wenn sie sich doch entschieden hat, dann zieht sie ihren Wunsch sofort wieder zurück. Unsere Agenten können sich kaum darauf vorbereitet, überhaupt einen Traum wahr werden zu lassen, da hat 336699 schon ganz andere Pläne!“

Vega blickte sie mit gerunzelt er Stirn an. Celeste bemerkte, wie aufgeladen sie war. Seufzend versuchte sie, ihre innere Balance wiederzufinden. Doch es gab selten einen Fall, der sie so verärgerte wie dieser. Sie konnte keinen Auftrag für die Wunscherfüller-Agenten fertigstellen - und so hing Seele 336699 ständig in ihrer Warteschleife, vermutlich selbst unschlüssig, was sie überhaupt wollte.

„Schwierig …“, murmelte auch Vega, während sich die ersten Agenten bereits auf den Weg machten, ihre Fälle abzuarbeiten. Sie sorgten für erfüllte Wünsche, indem sie zum Beispiel einen Ideensuchenden mit einem Inspirator zusammenführten oder für verpasste Busse sorgten, damit zwei Singles sich zufällig über den Weg liefen. Ihre Spinnereien in den energetischen Fäden, die die Erde umschlangen, bewirkten so manch kleines Wunder, doch oft bemerkten die Menschen es gar nicht, weil sie mental schon mit ihrem nächsten Problem beschäftigt waren.

Celeste ließ den Blick schweifen. Neben Sternschnuppen-Kanonen, die wie ein Fangnetz für spontane Wünsche wirkten, sammelten sie natürlich auch Wünsche aus allerlei anderen Situationen, die stark genug waren, um zu ihnen ins Universum vorzudringen. Dabei war es ganz gleich, wer sich etwas wünschte oder was - die Wünsche wurden strukturiert, auf eine Liste gesetzt, und Celeste bediente das Schaltpult, um die passenden Träume zusammenzuführen und bei dem ein oder anderen dafür zu sorgen, dass sie tatsächlich Realität werden konnten. Sie leiteten Prozesse in die Wege - was danach aus den Träumen wurde, lag ganz bei den Menschen selbst.

„Seele 336699 ist eben ein meisterhafter Wünscher“, bestätigte Cosmo. „Ich habe selten jemanden erlebt, er so kräftig wünschen kann - und seien es Kleinigkeiten wie Brötchen oder Spagetti zu Frühstück.“

„Ich finde, das ist ein Talent“, meinte auch Astra. Ihre gold-knisternden Haare wallten um ihren Körper und verschmolzen mit ihrem Lichtkleid zu einer Masse. „Aber ich verstehe, warum es stört. Es bringt dein System durcheinander.“

„Dann musst du es klären.“ Vega musterte die Anzeige kritisch, während die Lichtfunken geordnet um ihren Körper tanzten. „Es ist schon der 1.762 Tag, an dem ihre Wünsche unerfüllt ausgesondert werden. Wenn das so weitergeht, verbietet Nova ihm grundsätzlich zu wünschen. Ich mache dir daher einen Vorschlag: Was hältst du davon, wenn du, Celeste, einmal runtergehst und herausfindest, was Seele 336699 wirklich will? Damit sie unser System nicht mehr mit unsinnigen Banalitäten überlastet.“

„Banalitäten sind aber oft die Dinge, die Menschen glücklich machen …“, murmelte Astra.

Celeste dagegen hatte ganz anderes im Sinn: „Ich? Ich darf in die Menschenwelt?“

Sie blickte ihre Leiterin mit großen Augen an, die zögerlich nickte. „Das halte ich für am besten, ja. Unsere Agenten sind ausgebildet, die Dinge ins Rollen zu bringen - nicht sanft nachzuforschen, was der Kern der Sache ist. Seele 336699 verbraucht viel zu viel Energie für kleine Dinge - ich denke, es wird ihr gut tun, ihre Kraft auf das Wesentliche zu lenken und zu lernen, Prioritäten zu setzen. Und uns.“

Sie seufzte und Celeste blickte auf den schimmernden Erdball, der sich auf ihrem Bildschirm drehte und ihr mit einem kleinen Punkt den Aufenthalt der unbekannten Seele signalisierte. Die Energie in ihrem Lichtkörper begann zu pulsieren, regelrecht zu knistern und zu funken. „Ich war noch nie auf der Erde“, wisperte sie.

Cosmo legte ihr einen Arm um die Schultern. „Dann wird es Zeit“, lächelte er. „Unsere Statistik wird sich ebenfalls freuen, wenn 336699 nicht mehr für Chaos sorgt. Außerdem kennst du sie gut. Du schaffst das. Soll ich dich runterbringen?“

Vega nickte. „Das wäre am Besten. Natürlich nur, wenn du dir das zutraust, Celeste“, sagte sie an die junge Wunscherfüllerin gewandt.

Diese strich mit den Fingern über das Schaltpult, das schon immer ihr Platz gewesen war, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass auch für Wunscherfüller Wünsche wahr werden konnten. „Ja!“ 

„Sehr gut. Dann mach dich bereit. Du brichst sofort auf.“

Die Wunscherfüllerin | Ideenzauberaward 2023 GewinnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt