IV

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Celeste hätte nie gedacht, je einem Schatten gegenüberzustehen, doch als die personifizierte Dunkelheit nun auf sie zu rauschte, sah sie all ihre Ängste an sich vorbeiziehen. Die Aura des Schattens ließ ihren Nacken kribbeln, ihre Hände zittern, und plötzlich hatte sie das Gefühl, nur noch Niederlagen in ihrem Leben zu haben.

Sie stand an einem Schaltpult in der Fabrik - was war sie für eine Wunscherfüllerin? Ihre Magie hatte selten wirklich Wünsche erfüllt. Und auch ihre Seele hatte sie keine Stunde lang beschützen können, bevor die Schatten sie auf ihre Seite zu ziehen versuchten. Can war vielleicht verwirrt, aber sein Licht war nicht erloschen - doch mit beständiger Einwirkung der Schatten würde das irgendwann geschehen.

Celeste riss ihre Hände in die Höhe. Lichtblitze zuckten in alle Richtungen und prallten gerade rechtzeitig gegen das Schwert, das auf sie zu raste. Der klirrende Schall rief sie zur Besinnung. Schluss mit Zweifeln, dachte sie. Das ist genau das, was der Schatten bezweckt.

„Ihr bekommt nicht die Seelen der Träumer“, rief sie, während sie den Schatten mit all ihrer Kraft und ihrem Licht bombardierte und er die Blitze mit seiner Klinge abwehrte. Funken sprühten, prallten gegen die Wände und hinterließen energetische Löcher, die erst in den nächsten Tagen heilen würden - vorausgesetzt, die Schatten nisteten sich hier nicht vollständig ein.

„Er ist noch jung, da ist es kein Wunder, dass er nicht weiß, was er will. Er ist noch auf der Suche - darum wünscht er sich auch ständig was, bevor er neue Ideen hat und etwas anderes für sich wählt.“

„Er ist manipulierbar …“, brummte der Schatten. „Leicht zu beeinflussen …“

„Nein - schnell zu inspirieren!“ Celeste verpasste ihm einen weiteren Schlag mit ihrem Licht und schickte ein Stoßgebet gen Universum: Wenn mich jemand hören oder sehen kann … Unterstützung wäre jetzt wirklich nicht schlecht.

Wäre sehr gut, korrigierte sie sich. Positiv formulierte Wünsche hatten zehnmal mehr Chancen, an der Ozonschicht und den Wogen des Universums vorbeizukommen und bis zur Fabrik zu gelangen, um vielleicht erfüllt zu werden. Celeste hoffte, dass ihr Wunsch nicht in irgendeiner Warteschleife hängen blieb, weil die Fabrik überlastet war. Doch so ging es vermutlich den meisten Menschen - sie warteten und warteten, bis sie selbst nicht mehr an die Erfüllung ihrer Träume glaubten.

„Wie du willst.“ Der Schatten ging nun auf Gegenangriff über. Er schleuderte ihr einen Hagel aus Dunkelheit entgegen, der donnernd gegen die Wände prallte und Celeste bei jedem Schlag zusammenzucken ließ. Sie spürte, wie ihre Energie schwächer wurde, ihre Kraft schwand, und die Elektrizität in ihrem Körper kam zum Erliegen. Bald musste sie neu auftanken, am besten im Sternengarten im Universum - wenn sie dort jemals wieder hinkommen würde.

Okay, Can, versuchte sie es mit einer weiteren Strategie. Du bist ein mächtiger Wünscher. Deine Wünsche kommen immer schnell an, auch wenn ich sie meistens aussortieren muss. Ich brauche deine Hilfe. Kannst du dir einmal - nur einmal - etwas Konkretes ohne Widerspruch wünschen, damit es im Universum durchschlägt und Astra oder ein anderer Wunscherfüller es sieht? 

Bitte?, fügte sie hinzu, als sie keine gedankliche Reaktion vernahm. Der Schatten drängte sie in die Ecke. Celeste tastete nach ihrem Spray, doch das Schwert traf sie am Handgelenk und schickte einen dunklen Schmerz durch ihren Arm. Erschrocken ließ sie die Dose fallen und drückte sich an die Wand. Ihre Gedanken rasten, doch sie war nicht auf Verteidigung geschult.  

Der Schatten holte aus. „Mächtige Seelen gehören uns“, grollte er.

„Mächtige Seelen gehören nur sich selbst!“ 

Kurz vor dem Moment, wo die Schattenschwertspitze in die Wand einschlug, löste Celeste sich auf und manifestierte am anderen Ende des Raumes. Sie sank an einer Kommode zusammen, vollkommen ausgelaugt, während der Schatten verärgert brummte. Nur ihr schwebender Stift hatte noch die Kraft, sie mit spitzer Miene zu verteidigen - doch als der Schatten in aller Seelenruhe das Schwert aus der Wand zog und sich mit lodernden Augen umdrehte, fiel auch er zu Boden.

„Es war mir eine Ehre.“ Ihr Gegner verneigte sich spöttisch. „Im Kampf gegen die Dunkelheit gewinnt wohl nicht immer das Licht. Sieh ihn dir nur an …“

Sie lenkten beide ihre Aufmerksamkeit auf den Jungen, der im Nebenraum über seiner Arbeit eingeschlafen war. Der Schatten hob die Hand. 

„Schritt für Schritt vergiften wir seine Träume, saugen seine Energie aus, verwirren und manipulieren ihn … Bis er nur noch ein folgsamer Schatten seiner selbst ist. So ist das mit mächtigen Seelen - sie ziehen Aufmerksamkeit auf sich. Auch im negativen Sinne.“

Er schlürfte näher und hob sein Schwert. „Letzte Worte, Wunscherfüllerin?“

Seine Aura zog sie in ihren Bann. Sie weckte ihre Ängste, zerdrückte ihre Hoffnung, bis kaum noch ein universeller Funken in ihrem Herzen übrig war.

„Ja, du hast vergessen, dass wir Wunscherfüller im Gegensatz zu euch Schatten nie alleine sind!“

Eine grell leuchtende Gestalt stürzte plötzlich von der Seite auf sie zu und schleuderte den Schatten nach hinten. Celeste schnappte nach Luft, da zuckten bereits Blitze durch die Luft und erfüllten den Raum mit heißer Energie. Die Wände bebten, als Cosmo das Schattenschwert mit seiner Lichtlanze abwehrte, und ein weiterer Blitz ließ den Schatten in die Knie gehen. Dann stürmten auf einmal noch mehr Wunscherfüller-Agenten in die Wohnung und der Schatten fing an, sich zu verflüssigen.

„So schnell gewinnt ihr nicht!“, heulte er, als er von allen Seiten mit Licht, Energie und Funken bombardiert wurde, bis er kaum noch einen Ausweg hatte. „Wir sind zu viele!“

„Ja, aber wir gewinnen mit jedem Schatten ein kleines Stück.“ Cosmo funkte ihn wütend an, während er und die Agenten Lichtfäden um ihn schlangen. Sie wickelten ihn in einen Kokon, bis seine Dunkelheit verpuffte und das Geheul im Wohnungsflur verhallte. Dann blickte der junge Wunscherfüller-Agent auf.

„Habe ich ganz vergessen, zu sagen“, keuchte er, während er ihr die Hand reichte und seine Lichtlanze im universellen Raum der Energie verschwinden ließ.

„Wenn du das Schatten-Abwehrspray benutzt, wird natürlich die Zentrale alarmiert. Du brauchst dir also keine Rettung wünschen - obwohl es auch ganz hilfreich war.“

Celeste ergriff nicht seine Hand. Sie fiel ihm um den Hals, und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass ihr Auftrag doch noch gut enden könnte.

Die Wunscherfüllerin | Ideenzauberaward 2023 GewinnerWhere stories live. Discover now