III

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Can machte sich kurz vor Mitternacht auf den Heimweg. Celeste folgte ihm unauffällig, obwohl er sie nicht sehen konnte, doch die Dunkelheit der Straßen sorgte für ein beklemmendes Gefühl. Es war die Angst, nicht richtig für die Erde ausgebildet zu sein, die sich um ihre Brust wickelte und sie schrumpfen ließ. Celeste versuchte sich einzureden, dass die Wunscherfüller ihr vertrauten.

Sie konnte das schaffen. Sie konnte Ordnung in Seele 336699's Leben bringen - oder in Can's Leben, wie sie ihn ab jetzt nannte.

Es war eigenartig: An ihrem Schaltpult im Universum waren Seelen stets kleine Lichter mit unzähligen Träumen. Wenige gingen in Erfüllung, weil alles Zeit brauchte und selten jemand bereit war zu warten ... Doch nun durch die Straßen zu laufen und die Emotionen zu spüren, zu denen sie selbst nicht fähig war, war eine interessante Erfahrung. Sie hatte sich die Erde anders vorgestellt. Gleichzeitig war sie fasziniert von den Möglichkeiten, die die Menschen hatten.

Can lebte in einem Häuserblock am Rande der Stadt. Celeste verzichtete darauf, herauszufinden, wo sie genau waren, denn sie wollte ihre geistige Kraft nicht verschwenden. Ihre Finger tasteten bereits nach dem Schatten-Abwehrspray und ihr Nacken kribbelte unangenehm ... Die Wunscherfüllerin schob sich näher an Can, um ihn vor der Dunkelheit zu beschützen.

Bald darauf betraten sie seine Wohnung. Celeste blickte sich neugierig um, denn Güter erzählten viel über Seelen. Menschen erfüllten ihre Wünsche oft durch Materielles - doch scheinbar war Can auch bei seiner Einrichtung unentschlossen, kaum etwas passte zusammen. Alles wirkte wie ein bunter, lebensfroher Haufen, der gegen den Rest der Welt rebellierte.

„Also, Can", begann sie munter, als er sich in der Küche Tee kochte. „Ich weiß, du kannst mich nicht hören, aber wir müssen reden. Mein Name ist Celeste, ich bin eine Wunscherfüllerin und arbeite in einer Traum-Fabrik im Zentrum des Universums, wo wir für Seelen wie dich Wünsche wahr werden lassen. Dort haben wir Sternschnuppen-Sonderlieferungen, Manifestations-Magier, Visions-Vollzeitbeauftrage, ... Hey, nimmst du mich überhaupt irgendwie wahr?"

Can rührte verschlafen in seinem Tee. Von Cosmo hatte sie erfahren, dass Menschen individuell auf ihre Worte reagierten, doch sicher hören würde er sie nur, wenn sie eine menschliche Gestalt annahm. Die Vorstellung behagte ihr nicht - sie hatte Seele 336699 zwar viele Jahre über ihr Visions-Verzeichnis beobachtet, doch in einer irdischen Gestalt mit ihm in Kontakt zu treten war ihr nicht geheuer. Sie konnte nicht abschätzen, ob sie ihn damit nicht erschreckte - und sie wollte nicht die stickige Großstadt-Luft atmen.

„Gut, dann machen wir Folgendes." Celeste schwebte zu einem freien Stuhl ihm gegenüber und ließ sich darauf nieder, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. „Can?", schnippte sie, damit wenigstens sein Unterbewusstsein auf sie aufmerksam wurde.

„Was sind deine drei größten Wünsche? Ich würde das gerne an die Fabrik weiterleiten."

Mit Stift und Papier an ihrer Seite öffnete sie ihren Geist für seine Ideen. Unzählige Gedanken strömten durch ihren Kopf und verkanteten sich zu einem Knoten. Celeste versuchte, das Wichtigste herauszufiltern, doch es floss ihr durch die Finger wie Sand und sie sah vor ihrem inneren Auge bereits die Fehlermeldung, die gewiss in der Fabrik aufblinkte und ihr zeigte, dass Seele 336699 wieder die Leitung blockierte.

Es war zum Schreien. Warum brachte niemand den kraftvollen Wünschern bei, ihre Macht zu nutzen, um Hilfe zu erhalten und sich nicht ständig im Kreis zu drehen? Es wäre einfacher für alle. Wütend knallte Celeste ihren Block auf den Tisch. Can zuckte zusammen, als hätte er es mit einem Funken seines Bewusstseins vernommen; und eine fremde Stimme fragte: „Ist schwer, ein Mensch auf der Erde zu sein, findest du nicht?"

Celeste wirbelte herum. Ihr Herzschlag pochte in ihrem Energiekörper, ihr Licht flackerte. Can, der den Umschwung der Energie zu spüren schien, sprang auf und warf seine Tasse regelrecht in die Spüle, er flüchtete in sein hell erleuchtetes Schlafzimmer. Und Celeste wurde bewusst: Es war nicht die Dunkelheit, vor der sich die Menschen fürchteten - es waren Schatten.

Eben jenen Schatten, wie sich jetzt einer aus dem dunklen Wohnzimmer löste und auf sie zukam. Celeste tastete panisch nach dem Abwehrspray, das die Agenten stets bei sich trugen, falls ihr eigenes Licht nicht reichte, und schickte einen stummen Dank an die Organisatoren der Einsätze.

„Was machst du hier?", fragte sie mit zitternder Stimme. Abwehrend baute sie sich zwischen Küche und Can auf und streckte ihm ihr Spray entgegen. „Keinen Schritt weiter, oder ich drücke."

Der Schatten lachte. Er hatte keine feste Gestalt, nur Dunkelheit, doch seine Augen leuchteten rot und kraftvoll wie zwei Blutmonde in der Nacht. Die Energie um seinen Körper knistert bedrohlich, als wollte er sie warnen, keinen Schritt näher zu kommen. Celeste spürte auch ihre eigene Kraft pulsieren, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass sie für sowas nicht ausgebildet war.

„Er wünscht sich nur Banalitäten, seine Träume gehen nie auf. Lass ihn in Ruhe. Er ist nicht wertvoll für euch", versuchte sie.

„Seelen sind immer wertvoll für uns. Immer."

Der Schatten schälte sich vollständig aus der Dunkelheit und Celeste wich noch ein Stück zurück, bis sie kurz vor Cans Tür schwebte. Sie hörte die Musik, die dahinter erklang, als wollte er sich ablenken, und in einem kurzen Moment der Weitsichtigkeit nahm sie wahr, dass er sich an seinen Schreibtisch gesetzt hatte und irgendetwas schrieb.

Agenten der Wunscherfüller-Fabrik, ich brauche Hilfe", übermittelte sie angsterfüllt, hoffend, dass auch ihre Wünsche dort ankamen und abgelesen wurden. Ein Einsatzkommando wäre nicht schlecht. Oder eine Lichtlanze, um sich gegen den Schatten zur Wehr zu setzen. Dieser kam ihr und Seele 336699 immer näher.

„Genau, fürchte dich", grollte er. „Du kannst mich nicht besiegen. Du kannst ihn nicht beschützen. Seine Kraft wird bald uns gehören ..."

Celeste sprühte ihm das Spray in die Augen. „Gar nichts gehört euch", zischte sie, während sie sich auf die Energie im Raum fokussierte. Sie zog sie zusammen, bündelte sie in ihren Händen, bis ihre Finger kribbelten und kleine Lichtblitze darum zuckten. „Dafür sorge ich."

Der Schatten formte ein Schwert aus Dunkelheit. „Das werden wir sehen", sagte er. Dann griff er an.

Die Wunscherfüllerin | Ideenzauberaward 2023 GewinnerWhere stories live. Discover now