II

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Die Erde sollte ein wahrhaft interessanter Ort sein, wenn man noch nie dort gewesen war. Cosmo brachte sie zu den Portalen, die die Agenten zu ihren Sonderaufträgen teleportierten. Normalerweise kamen sie selten zum Einsatz, denn die meisten Dinge ließen sich mittels „Universellen (Ver-)Fügungen“, wie Vega sie nannte, regeln, doch heute war scheinbar ein besonderer Tag, nicht nur für sie.

„Verhalte dich unauffällig“, meinte Cosmo, während er sie durch die Schleuse lotste und zu einem strahlend hellen Lichtkanal brachte. „Auf der Erde kann dich niemand sehen, wenn du das nicht willst, ansonsten kannst du zwei Gestalten annehmen: Die eines Engels - darauf verzichtest du lieber - und die eines normalen Menschen. Quasi als Tarnmodus.“ Er zwinkerte und Celeste lächelte. 

„Das ist wundervoll“, sagte sie. 

Cosmo nickte. „Beeil dich bitte trotzdem. Wir brauchen dich hier oben, außerdem könnten Schattenwesen auf dich aufmerksam werden. Darum schickt Vega sonst nur Agenten runter. Ich glaube aber daran, dass du es schaffst. Seele 336699 scheint ein guter Mensch zu sein.“

„Das weißt du aus ihren Wünschen?“

„Das weiß ich, sie nie aufgehört hat, zu träumen.“

Er reichte ihr eine Tasche und lächelte ihr aufmunternd zu, bevor er einen leuchtenden Ball an der Wand drückte und das Portal aufleuchten ließ. „Bist du bereit?“

„Ja. Schick mich runter.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Die junge Wunscherfüllerin fand sich in einem Regen aus Glitzer und Sternen wieder, dann öffneten sich die Türen und sie flog durchs Weltall. Licht rauschte um sie herum, Energie knisterte auf ihrem Körper und mit einem Mal spürte sie zutiefst, was es bedeutete, ein universelles Wesen zu sein. Zeitlos. Grenzenlos. Voller Energie. Dann endete der Flug so abrupt, wie er begonnen hatte, und Celeste fand sich an einem finsteren Ort wieder. 

Auf der Erde war es Nacht. Autos rauschten um sie herum wie dröhnende Maschinen, stinkende Abgase erfüllten die Luft und die schweren Ängste der Schattenwelt drückten auf ihre Brust wie giftige Klauen. Celeste schnappte erschrocken nach Luft, bis ihr bewusst wurde, dass sie diese Luft gar nicht zu atmen brauchte. Sie bekam grundsätzlich nichts von dem Dreck und Smog ab - solange sie ihr energetischer Körper blieb.

Cosmo hätte sie warnen sollen, dachte sie dennoch erbost, während sich ihr Herzschlag beruhigte. Doch vermutlich hatte er gedacht, dass sie es wusste - was sie tatsächlich auch tat.  

Neugierig blickte Celeste sich um. Wenn sie nicht auf die Schatten, Gerüche und Geräusche achtete, wirkte die Erde wie ein wundervoller Ort, selbst in der Dunkelheit. Da war dieses leise Wispern von tausend unausgesprochen Wünschen, das sanft versuchte, sich in ihr Bewusstsein zu schleichen. Celeste blendete sie nur mit viel Konzentration aus.

Sie hatte eine Mission.

Tatkräftig durchsuchte sie die Tasche, die Cosmo ihr gegeben hatte. Darin waren ein Kompass, ein Block, ein Stift und ein Spray, auf dem „Schatten-Abwehr“ stand. Celeste runzelte die Stirn. Hätte sie vielleicht doch nicht allein gehen sollen? Aber Vega traute es ihr zu. Cosmo und Astra auch. Sie würde das schaffen.

Mit ruhigen Fingern drehte sie die Rädchen am Kompass auf 336699 und beobachtete den Zeiger, wie er sich beständig nach Nordosten drehte. Die gedanklichen Stimmen ausblendend schritt sie voran. Die dicke Luft störte sie nicht mehr, ebenso wie der Lärm, obwohl Celeste einiges dafür gegeben hätte, wieder in der ruhigen Wunscherfüller-Fabrik zu sein.

Der Zeiger wandte sich gen Osten. Celeste sprintete los, entschied sich zu fliegen, und unaufhaltsam rauschte sie durch die Straßen. Die Lichter der Stadt verschwammen zu bunten Streifen, wie Sternenschnuppen-Schweife in der Nacht, und Celeste lauschte dem Knistern der Energie, die in ihrem Lichtkörper pulsierte und sie ungewohnt lebendig fühlen ließ.

Sie fand Seele 336699 am Rande der Stadt, wo sie gemütlich auf einer Bank im Dunkeln saß und den Blick über den Fluss schweifen ließ. Ein Grünstreifen trennte die Beiden, eine Laterne flackerte entfernt - Seele 336699 wirkte entspannt, während ihre Gedanken laut durch ihren Kopf kreisten und dort einen Stau verursachten:

Hmm, aber wenn ich surfen will, muss ich ans andere Ende der Welt, das ist mir zu weit weg. Vielleicht doch die Ostsee? Zu kalt. Dann werde ich lieber Lehrer. Oder Handwerker, wie mein Vater … Oh, eine Sternschnuppe! Darf man sich davon nicht etwas wünschen? Ich wünsche mir … 

Der Strom an Gedanken, der nun ihren Kopf erfüllte, war so gewaltig, dass sie zurücktaumelte und sich die Schläfen hielt. Es war ein Junge, der vor ihr saß - Celeste schätzte ihn auf maximal 20, obwohl es aus ihrer eigenen Unendlichkeit heraus schwer zu sagen war. Doch es war das Alter, in dem die Menschen meist das Träumen verlernten - sie verfingen sich im Trott des Alltags, hörten auf zu träumen, darum fand sie es auch so faszinierend, wie kraftvoll Seele 336699 noch war. Sie war zwar verwirrt und durcheinander - aber ihre Kraft war wundervoll.

Andächtig schwebte Celeste näher und ließ sich neben ihm auf der Bank nieder. Sein Gedankenstrom war versiegt, er beobachtete stumm die Sterne, und Celeste fragte sich, was ihn so sehr blockierte, dass er sich nicht für einen Wunsch entscheiden und ihm aus vollstem Herzen folgen konnte. Er kam niemals an sein Ziel, weil er selbst nicht wusste, was sein Ziel war. 

So würde er niemals Surflehrer, Ingenieur oder Sportwagenbesitzer werden - oder glücklich. Es waren auch nicht seine Wünsche, wie sie spürte; es waren die seines Vaters, seiner Freunde, seiner Lehrer und der Gesellschaft. Darum wechselte er auch beständig hin und her - nichts fühlte sich richtig an, nichts war sein Weg. Die Wunscherfüller-Fabrik konnte ihm da auch nicht helfen - und darum war sie hier. 

„Okay, Can“, wisperte sie, während sie Stift und Papier aus ihrer Tasche zog und sich auf die Energie konzentrierte, die alles im Universum miteinander verband. Sie las seinen Namen aus dem Feld, spürte die Trauer der unerfüllten Wünsche, die tief vergraben unter Zweifeln in seinem Inneren schlummerten und darauf warteten, ans Licht zu kommen. Sie würde ihm dabei helfen - ein Stern aus der Schwärze der Nacht, gekommen, um ihm die Hand zu reichen. 

„Du musst lernen zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht. Was deine Wünsche sind - und daran glauben. Dann können auch große Wünsche wahr werden. Ich unterstütze dich dabei. Und dann werde ich schnell zurückreisen, bevor Nova oder die Schattenwesen herausfinden, dass ich hier bin.“

Die Wunscherfüllerin | Ideenzauberaward 2023 GewinnerTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon