Dos

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Mein Sportbeutel schlägt bei jedem Schritt gegen meine Wade und nach dem zehnten Mal trete ich ihn genervt nach vorne weg, nur damit er dann mit Schwung gegen mein Schienbein trifft. Ich brumme genervt und wickele die Bändel so um mein Handgelenk, dass der Beutel nicht mehr hin und herschwingt.

Ich könnte gerade so viel Besseres tun, als umständlich in den Nachbarort zu gurken und dann auch noch mehrere Minuten laufen zu müssen, weil es in der Nähe von diesem dämlichen Haus keine Bushaltestelle gibt und ich nach allgemeiner Meinung kein eigenes Auto brauche.

Wie als hätte ich es mit meinen Gedanken heraufbeschworen, sehe ich ein unbekanntes Auto in der Hofeinfahrt, als ich um die Straßenecke biege. Es ist ein kleiner weißer Fiat 500 mit braunen Spritzern, die erst auf Kniehöhe weniger werden.

Das Nummernschild sagt mir nichts, mein Vater und Sven fahren andere Autos und auch von meinem Bruder oder einem anderen Familienmitglied habe ich das Auto noch nicht gesehen. Das Kennzeichen gehört zu unserem Nachbarlandkreis und man sieht es öfter, allerdings kann ich auch das nicht zuordnen.

Dass das Auto in der Einfahrt steht kann nur bedeuten, dass Besuch da ist und sofort habe ich ein starkes Bedürfnis, einfach umzudrehen. Jetzt noch meine Familie ertragen zu müssen ist schon anstrengend genug, aber dazu noch Fremde, darauf habe ich echt keine Lust.

Immerhin habe ich einen eigenen Schlüssel für die Haustür meines Vaters obwohl ich das Gästezimmer nur äußerst selten benutze, sodass man es kaum als „mein" Zimmer bezeichnen könnte.

Auch wenn meine Eltern nie zusammengewohnt haben, war es nie eine Frage, bei wem ich bleiben würde. Die Option, zur Hälfte bei meiner Mutter und zur anderen Hälfte bei meinem Vater zu wohnen, hat sich einfach nicht ergeben, da der räumliche Abstand zu groß war.

Trotzdem ist es für mich vollkommen normal, meine Schuhe neben die meiner Schwestern ins Regal zu stellen und gleich auch noch zwei heruntergefallene Jacken aufzuheben, die wild verstreut im Flur rumliegen.

Die schwarzen Turnschuhe, die ordentlich neben dem Schuhregal stehen bestätigen leider meinen Verdacht und ich kann schon Stimmen aus der Küche höre, die darauf hindeuten, dass sich drei Männer darin befinden.

Jetzt wäre die letzte Gelegenheit, zur Flucht, doch dann muss ich mir wieder eine plausible Erklärung dafür ausdenken, warum ich das wöchentliche Mittagessen geschwänzt habe und das war in den letzten zwei Wochen schon schwer genug.

Aus dem oberen Stockwerk dringt ein empörtes Quietschen nach unten und kurz darauf bricht jemand lautstark in Tränen aus. Keine zwei Sekunden später verdoppelt es sich und schon öffnet sich die Tür der Küche und mein Vater streckt seinen Kopf hinaus.

„Linus, da bist du ja", stellt er fest und zerstört meine letzte Hoffnung, einfach wieder zu gehen. Während er nach oben läuft, um zu sehen, welche meiner Schwestern die andere geärgert hat und wie das Problem zu lösen ist, gehe ich meine Hände waschen, mehr um der Verzögerung Willen, als wegen der Hygiene.

Ich lasse mir Zeit und atme noch mehrfach tief durch, um jedwede negativen Gefühle wenigstens für die nächsten zwei Stunden zu verbannen. Die Mindestzeit, die ich bleiben muss, wird sich allerdings eher verlängern. Letztes Mal habe ich mich mit Klausuren rausgeredet, doch morgen habe ich beinahe frei und die Ausrede zieht nicht noch einmal.

Erst als mein Vater schon wieder nach unten kommt, trockne ich meine Hände ab und folge ihm in die Küche. Sven hat anscheinend mitbekommen, dass ich da bin, denn er steht bereits am Herd und rührt in einem dampfenden Topf, um mir das Essen aufzuwärmen.

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