Seis

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Es ist die erste Stunde, die ich mit meinem verehrten Erdkundelehrer habe, seit unserer Auseinandersetzung nach der Klausur. Es geschähe ihm recht, wenn ich einfach nicht mehr auftauchen würde, aber ich brauche diese Note, die keine Minderleistung sein darf, sonst muss ich wiederholen.

Das heißt, jetzt ist es Zeit zum Arschkriechen auf höchster Stufe. Also setze ich mich auf meinen angestammten Platz in der letzten Reihe und ziehe mein Tablet aus der Tasche während die Streber in der ersten Reihe noch nicht einmal alle sitzen.

Ich kann auch einen auf Musterschüler machen, abgesehen von der Tatsache, dass mir leider fast drei Jahre des benötigten Wissens fehlen. Aber für diese 45 Minuten werde ich wohl mein Bestes geben können.

Meine Finger streichen über die glatte Oberfläche des Geräts und verharren über dem Zeichenprogramm, bevor ich sie weiter zu der App wandern lasse, in der ich meine Schulaufgaben bearbeite.

Es ist eine Überwindung, mich auf das zu konzentrieren, was vorne gesagt wird und ich schaffe es beim besten Willen nicht, auch nur ein Wort davon zu verstehen. Vielleicht hätte ich einfach Politik behalten sollen. Wenn mir noch einmal jemand sagt, dass Erdkunde in der Q-Phase einfach ist, dass schreie ich.

Allem Verdruss zum Trotz mache ich mir sogar ein paar Notizen, aber nur, bis Herr Krause auf die Klausur zu sprechen kommt. Sie ist eigentlich ziemlich gut ausgefallen. In der Tabelle stehen kaum Minderleistungen, bis auf die hässlichen null Punkte, die ich schon jetzt mir selber zuordnen kann.

Danach verteilt der Lehrer die Klausuren und natürlich ist meine die letzte, die auf dem Tisch landet. In seinen blassen Augen steht noch immer die Enttäuschung über mein Verhalten. Ich stopfe das Papier in meine Tasche, ohne einen Blick darauf zu werfen.

Im Gegensatz zum Auspacken, lasse ich mir nach dem Klingeln Zeit. Auch Marvin vor mir scheint extra langsam zu sein. Er ist einer dieser gewissen Streber, die immer alles perfekt machen wollen.

Wir sind schon öfter aneinandergeraten und auch jetzt kann ich es nicht lassen, ihn ein wenig zu reizen. „Na, bist du mit deinen 13 Punkten so unzufrieden, dass du noch darüber diskutieren willst?", stichele ich und sofort dreht er sich mit zusammengekniffenen Augen zu mir um.

„Das geht dich einen Scheiß an, Naumann, aber wenn du den Raum nicht in den ersten Sekunden verlässt, muss man sich ja schon fast bei dir Sorgen machen", gibt er zurück. Es macht umso mehr Spaß, wenn er sich wehrt.

Vermutlich hat er recht und ich bin nicht in der Position, ihn wegen seiner Note hochzunehmen, aber das hat mich noch nie gestört. „Du und dein Einserschnitt können sich hintenanstellen, andere haben wirkliche Probleme", knalle ich ihm entgegen.

Herr Krause räuspert sich und bei einem Blick durch den Raum bemerke ich, dass außer uns beiden alle anderen Schüler schon gegangen sind. „Das ist noch nicht vorbei", raunt Marvin mir zu.

Beim Rausgehen wirft er unserem Lehrer noch einen freundlichen Abschiedsgruß entgegen und ich muss unwillkürlich schnauben. So kann man sich gute Noten allerdings auch verdienen. Ich war nie ein guter Schleimer und vielleicht liegt genau da das Problem.

Der ältere Mann schließt hinter meinem Mitschüler die Tür und blickt dann erwartungsvoll zu mir, der ich noch immer wie festgewachsen hinter meinem Stuhl stehe. Langsam schiebe ich mich durch die Tischreihen nach vorne.

„Ich nehme an, sie wollten noch einmal mit mir über ihre Leistung und ihr Verhalten sprechen", setzt er an, bevor das Schweigen zu unangenehm wird. Ich atme tief ein und lasse mich auf einen der vorderen Tische sinken.

„Ja", bestätige ich, „Meine Reaktion war unangebracht und ich wollte mich dafür entschuldigen." Mit einem Nicken nimmt er die Entschuldigung an. Schon wieder wandert seine Hand zu seinem Hemdärmel.

¡No Desespera!Where stories live. Discover now