Tres

21 4 23
                                    

TW: Tod


Ich liege auf dem Rücken und starre mit weit geöffneten Augen an die Decke. Der Nachmittag liegt mir schwer im Magen und lässt unruhig von einer Position in den nächste wechseln.

Die Stimmte meines Vaters kreist in meinem Kopf. „Ich wünschte einfach, du würdest mir vertrauen." Es ist einfacher, wenn wir uns gegenseitig anschreien und uns Vorwürfe machen, als wenn er so brutal ehrlich ist.

Ich will kein schlechtes Gewissen haben, das hält mich nur auf. Trotzdem ist es schwer, das Gefühl zu verdrängen, auch wenn ich darin wirklich ein großer Meister bin.

Es ist bestimmt nach Mitternacht, als ich es endlich schaffe, meinen Körper zum Einschlafen zu zwingen. Gut schlafe ich trotzdem nicht und in den frühen Morgenstunden fange ich zu träumen.

Schon als Kind hatte ich lebhafte Alpträume, doch die Monster, die bei einem fünfjährigen Kind unter dem Bett lauern erscheinen mir jetzt so viel weniger beängstigend, als die Monster, die mich in den letzten Jahren immer wieder eingeholt haben.

Der Tod ist der, der sie hervorbringt, die Trauer der Zurückgebliebenen, den Schmerz des Verlustes und das Leid, wenn dir aufgeht, dass du sie nie wiedersehen wirst, nicht in echt. Nur in deinen Träumen. Ich würde sie liebe überhaupt nicht mehr sehen.

Manchmal, ganz selten, taucht meine Mutter auf, wie sie wirklich war. Immer lächelnd, wie sie mich getröstet hat, nach einem schlechten Traum, wie sie uns Geschichten vorgelesen hat und Italienisch geübt hat, damit wir in der Schule besser klarkamen.

Meistens aber sehe ich sie mit blutunterlaufenen Augen und geisterhaft blasser Haut, leblos auf dem Boden. Mit zerschmetterten Gliedern irgendwo in den Bergen. Verdreht in einer Blutlache liegend. Sie sind über dem Meer abgestürzt und es gab nie eine Leiche, aber gerade das lässt meine Fantasie noch lebhafter werden.

Damals habe ich Bilder von Seeleichen gegoogelt und sie dann mit dem Gesicht von Mamá und Alessandro zu zeichnen. Die Bilder habe ich mit Oliver gemeinsam verbrannt, aber vor meinem inneren Auge kann ich sie noch immer klar und deutlich erkennen.

Heute Nacht sehe ich sie nach einer langen Pause wieder, wie immer, wenn ich im Stress bin oder irgendein Problem habe. Es ist das Brennen in meiner Brust, das mich weckt. Wieder starre ich in die Dunkelheit, denn mit geöffneten Augen sehe ich die grausamen Fratzen nur schemenhaft, statt gestochen scharf.

Ich rolle mich zu einer Kugel zusammen und klemme meine zitternden Hände in die Kniekehlen, bis der Schmerz nachlässt und auf den bitteren Nachhall zurückschrumpft, der mich nie ganz zu verlassen scheint.

Ruckartig stehe ich auf. Ich könnte sowieso nicht mehr schlafen, nicht in der nächsten Stunde. Leise drücke ich die Klinke meiner Zimmertür nach unten und schleiche barfuß auf den Flur hinaus.

Hinter der Tür von Caro, meiner älteren Schwester, ist es ruhig und dunkel. Sie schläft natürlich. Meine Füße trage mich in das Zimmer meines Bruders. Der Raum ist ziemlich leer, weil der Bewohner nach dem Abitur mit seinem Freund zusammengezogen ist.

Eine Sache jedoch hat sich seitdem nicht im Geringsten verändert. Die Fotos an den Wänden. Sie sind ein großes zusammengehöriges Kunstwerk und ich bewundere seit langem die Geduld, die Oliver hat, solche Bilder zu machen.

Vor draußen fällt schwaches Mondlicht in den Raum und mehr brauche ich nicht, denn eigentlich kenne ich die Fotos in und auswendig. Wie immer laufe ich zuerst zu unserem letzten Familienfoto, auf dem alle zu sehen sind. Ich streiche über das Gesicht meiner Mutter und lasse ihr Lächeln die Schatten meines Traums vertreiben.

¡No Desespera!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt