Cuatro

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Nachdem ich mein Projekt ordnungsgemäß überreicht habe, sitze ich an einem der unanständig großen Tische im Kunstraum, die über und über mit bunten Flecken übersäht sind.

Mein Stift schwebt über dem weißen Blatt Papier, ohne, dass ich einen Stich ziehe. Mein Kopf ist leer, ein Vakuum. Nichts, was mir selten vorkommt, die Abwesenheit von Gedanken, doch gerade stört sie mich.

Es ist ein Abwehrreflex, die Verdrängung jeglicher Erinnerungen und der damit verbundenen Gefühle. Ich habe ihn in den letzten Jahren perfektioniert. Wenn ich nichts Negatives denke, dann geht es mir auch nicht schlecht. Oder so ähnlich.

Wie lange habe ich gejammert, dass wir doch mal eine Stunde mit freiem Arbeiten verbringen dürfen und jetzt sitze ich vor einer weißen Oberfläche, die nur auf Farbe wartet und es kommt nichts dabei raus.

„Warum Kunst?", echot die Stimme meines Vaters durch den Kopf, als ich ihm die Wahl meiner Leistungskurse mitgeteilt habe. Damals hatte ich eine Erklärung, die mir sinnvoll erschien, doch mir fällt kein einziger Satz daraus mehr ein.

Warum Kunst? Was habe ich mir dabei gedacht? Was will ich damit? Bilder drängen sich in mein Hirn. Die Leere ist ein zweischneidiges Schwert. Denn damit ist eine Druckwelle verbunden, die viel zu plötzlich einen massiven Gedankenstrom heraufbeschwört, der jede Mauer zerschlägt.

So wie die, meiner Selbstbeherrschung. Meine Hand verkrampft sich um den Stift, der noch immer über dem Blatt schwebt. Der erste Impuls ist, ihn wild über das Blatt zu bewegen, ein graues Chaos zu erschaffen, doch ich dränge ihn zurück.

Stattdessen schiebe ich ruckartig meinen Stuhl zurück und stehe auf. Blick wenden sich zu mir, irritiert zum Teil, doch kaum jemand ist wirklich überrascht. Wie gut, dass die wenigsten im letzten Jahr mein Verhalten hinterfragt haben.

Mit fahrigen Worten entschuldige ich mich und stürme regelrecht aus dem Raum. Direkt vor der Tür bleibe ich stehen und weiß nicht so recht, wohin mit mir. Ich habe maximal zehn Minuten, bevor ich wieder da sein sollte und irgendwie muss ich dafür sorgen, dass ich dann wieder Menschen um mich herum ertrage.

„Linus?" Warum Matti? Warum muss er seine Freistunde ausgerechnet in der Ecke bei den Kunsträumen verbringen? Früher saß er auch dort, doch mir wäre alles lieber, als dass er gerade hier ist.

„Alles in Ordnung?" Vielleicht geht er wieder, wenn ich ihn einfach ignoriere. Tut er nicht, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen muss, als Schritte hinter mir näherkommen. Eine Hand legt sich an meinen Arm und verhindert, dass ich einfach flüchte.

„Du wirst mich nicht so leicht los." Ich verdrehe die Augen und versuche dennoch nicht, mich loszureißen. Allerdings habe ich nicht das Bedürfnis, auf irgendeine seiner Frage zu antworten.

„Ich muss wieder in den Unterricht", teile ich ihm mit, ohne dass meine Stimme etwas über meine aktuelle Gefühlslage preisgibt. Mit einer Drehbewegung befreie ich meinen Arm aus seinem Griff und drehe mich dann um.

Matti hat die Stirn gerunzelt und sieht mich forschend an. „Das stört dich doch sonst auch nicht." Er hat recht. Leider. Trotzdem ist mir jede Ausrede recht, nicht mit ihm reden zu müssen.

„Können wir nicht einfach...", beginnt er und ich weiß genau, was er will. Reden, reden und nochmal reden. Als würde ein gutes Gespräch jedes Problem beseitigen. Aber das ist leider in unserem Fall nicht möglich.

„Nein", falle ich ihm deutlich ins Wort und er zuckt wegen der Heftigkeit zusammen. Ich kann ihm nicht in die Augen sehen und ihm sagen, was ich getan habe, aber ich kann ihm auch nicht in die Augen sehen, weil ich es getan habe.

¡No Desespera!Where stories live. Discover now