Ocho

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Ich bin bei meiner Flucht aus dem Spanischraum nicht schnell genug und im Gegensatz zu den letzten Stunden, schafft es Matti diesmal, mich am Arm festzuhalten. Ich bin ihm seit unserem letzten Gespräch noch mehr aus dem Weg gegangen als vorher und er versucht noch hartnäckiger, mit mir zu sprechen.

Ich dachte wirklich, ich hätte ihn endlich genug vor den Kopf gestoßen, doch irgendein Teil unseres Gesprächs scheint ihm Anlass zu einer verrückten Hoffnung gewesen sein. Vielleicht hat er erkannt, dass ich der ganzen Situation wesentlich weniger gleichgültig gegenüberstehe, als ich versucht ihm weiszumachen.

Jetzt schließen seine Finger sich fest um mein Handgelenk und mir bleibt keine Möglichkeit, ihm auszuweichen. Herr Hübner räumt vorne umständlich seine Tasche ein und wirft uns nicht einen Blick zu, als wären wir überhaupt nicht anwesend.

„Was?", zische ich genervt. Matti wirft mir einen bittenden Blick zu, dem ich kaum nein sagen könnte. Ich will ihn nicht noch einmal verletzen müssen. Jedes Mal tut es mir mehr weh und ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten werde.

„Ich vermisse dich", flüstert er, „Ich will, dass wir wenigstens miteinander reden können." Anstatt nachzubohren, setzt er nun auf die Tränendrüse. Es funktioniert besser, als ich zugeben möchte.

Im Kopf vergleiche seine Aussprache mit der von Marc, dessen Spanisch ehrlicherweise wesentlich besser ist, auch wenn Matti die Sprache schon lernt, seit wir uns kennen. Solche Gedanken sind nicht hilfreich, nicht jetzt und ich will mich nicht an all die Momente erinnern, die wir hatten.

„Ich kann das nicht", antworte ich. Ich versuche, meine Stimme fest und überzeugt klingen zu lassen. Er nimmt es mir nicht ab und sein Griff lockert sich keine Sekunde. Der Blick aus seinen schimmernden Augen konnte mich früher immer erweichen.

Vor die aktuelle Version Mattis schiebt sich eine jüngere Version von ihm. Der Junge mit dem ich stundenlang in meinem Zimmer saß und irgendwelche schlechten Serien geguckt habe, weil er der einzige war, den ich nach dem Tod meiner Eltern und unserer Rückkehr hierher ansehen konnte.

Er war der beste Freund, den man sich vorstellen konnte und ich weiß nicht, was ich ohne ihn gemacht hätte. Mühsam atme ich ein blinzele, um das Bild zu vertreiben. Meine Schultern sind verkrampft und ich weiß, dass ich Matti gerade wesentlich mehr über meine Gefühlslage preisgegeben habe, als mir lieb wäre.

Ich vermisse ihn auch und man kann es mir ansehen. Neben uns ertönt ein Räuspern. Herr Hübner bedeutet uns, dass er abschließen will und ich nutze die Situation, um quasi vor Matti wegzurennen.

Er ruft mir hinterher, doch er sollte nicht erwarten, dass ich darauf höre. Im Bruchteil einer Sekunde entscheide ich, dass ich akut Kopfschmerzen bekommen habe und die Relistunde heute ausfallen muss.

Stattdessen führen meine Schritte mich zielsicher zum Parkplatz. Gnädiger weise durfte ich heute das Auto ausleihen, weil ich versprochen habe, nachher noch einkaufen zu fahren. Jetzt kann ich allerdings sowieso noch nicht nach Hause, weil Sofía meinen Stundenplan kennt.

Trotzdem drehe ich den Schlüssel, weil ich nicht einfach auf dem Parkplatz der Schule in meinem Auto sitzenbleiben werde. Unbewusst habe ich schon entschieden, wo ich hinfahre, doch es fällt mir erst auf, als ich auf die Straße biege, die aus der Stadt herausführt.

Ich schaffe es, während der Fahrt jegliche Gedanken aus meinem Kopf zu streichen und das Ziehen in meiner Brust in den Hintergrund rücken zu lassen. Als ich das Auto in einer der Nebenstraßen abstelle, bleibt nur noch die Anspannung von dem Gespräch zurück.

Falls Sven oder Christian heute früher zuhause sind, werden sie das Fahrzeug hier nicht entdecken und so wird keiner meine Anwesenheit hinterfragen. Eigentlich war ich erst nach der Schule mit Marc verabredet, aber er hat erwähnt, dass er heute nicht unterrichtet, also versuche ich mein Glück.

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