Kapitel 15

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Mittlerweile war es bereits halb 7 und ich war noch immer alleine an dem See. Nervös lief ich auf dem Holzsteg auf und ab während ich alle fünf Sekunden auf mein Handy starrte. Zwischendurch hatte es kurz vibriert, aber das war nur meine Mutter, die mich an den Grillabend vor dem nächsten Vollmond erinnerte. Ich sollte Eleanor fragen, ob sie das Catering übernehmen konnte.
Meine Mutter wollte versuchen vor dem anstehenden Zirkel möglichst viele Rudelmitglieder auf ihre Seite zu ziehen. Sie hoffte so, einen Kampf um die Position der Luna vieja letztendlich doch noch zu verhindern. Ich bezweifelte, dass ein paar Steaks auf dem Grill und ein Fass Bier dies ändern würde, aber das sagte ich ihr nicht. Denn Sinn solcher politischen Veranstaltungen hatte ich noch nie verstanden.
Ich seufzte und mein Blick wanderte zum wiederholten Mal die Waldkante ab. Schließlich setzte ich mich auf den Steg, zog meine Schuhe aus und ließ die Füße im Wasser baumeln. Das Wasser war angenehm kühl und am liebsten wäre ich wieder schwimmen gegangen. Doch das war nicht der richtige Zeitpunkt.
Er versetzt mich. Meine innere Wölfin knurrte. Nach einer weiteren halben Stunde entschloss ich mich zu gehen.
Doch als ich aufstand, wehte mir der Wind einen bekannten Geruch herüber. Ein kurzen Augenblick später trat Will aus dem Wald und zog sich gerade sein T-Shirt über. Für einen kurzen Moment war sein unterer Bauch zu sehen. Sofort hatte ich Bilder im Kopf. Meine Lippen, die langsam seinen Bauch herunter wanderten, vorbei an den Knochen, die mich wie ein V zu der einen Stelle führen. Seine Hände in meinen Haaren, die mich wieder nach oben zogen, um mir einen Kuss zu geben, bei dem sich mein Unterbauch voller Vorfreude zusammenzieht. Meine innere Wölfin hechelte und ich räusperte mich kurz, um die Erinnerung zu verdrängen. Wem machte ich eigentlich was vor? Mein Herz schlug wie das eines Kolibri, als Will vor mir zum Stehen kam. Ich sah ihn an: Ich konnte es nicht erklären, aber als sich untere Blicken trafen, war es klar.

Ich holte Luft, doch da lagen seine Lippen schon auf meinen. Ich erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft. Eine Woge des Glücks durchflutete mich und alle Gefühle der letzten Wochen schienen auf einmal über uns herein zu brechen. Wut, Enttäuschung, Angst. Aber auch pures Verlangen und Liebe. Will biss mir auf die Lippe, während ich an seinen Haaren zog.
„Es tut mir leid", keuchte ich, während Will mein Shirt zerriss und meinen BH von meinen Brüsten schob.
„Ich weiß, Baby. Ich habe es gesehen", auch Will war außer Atem.
Ich schlüpfte aus den Shorts und half Will, sich von seiner Hose zu befreien. Er trat einen Schritt zurück und meine Augen wanderten begierig über meinen nackten Körper. Ich grinse ihn an und gab ihm einen kleinen Schubs. Ein überraschter Ausdruck trat in seinen Augen, bevor er ins Wasser fiel. Mit Anlauf und einer Arschbombe sprang ich zu ihm ins Wasser. Bevor ich wieder auftauchte, hatte er mich schon an sich gezogen und ich schlag meine Beine um seine Hüften. Ich hielt kurz inne und sah ihm in die Augen. Hab keine Angst, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Will legte eine Hand an meine Wange und strich mir mit dem Daumen über meine Unterlippe. Meine innere Wölfin heulte.
„Ich liebe dich." Die Worte waren raus, bevor ich länger darüber nachdenken konnte. Seine Augen wurden groß, dann küsste er mich stürmisch, während er in mich eindrang. Ich stöhnte laut auf.
„June", knurrte er leise an meinem Hals und zog mich noch näher an sich. Und so trieb er mich ohne Unterlass zu dem Punkt, den wir beide so sehr ersehnten.
***
Als wir uns voneinander lösten, zitterte ich. Das Wasser war trotz des warmen Sommerabends relativ kalt. Wir stiegen aus dem See und Will gab mir sein T-Shirt, um mich abzutrocknen. Ich sah ihn etwas unsicher an. Ich hatte die drei Worte ausgesprochen, doch er hatte sie nicht erwidert. Ich wurde rot. Hatte meine Mutter Unrecht gehabt? War es für ihn doch einfach nur eine körperliche Verbindung, die die Erfüllung seiner Pflicht absicherte? Will spürte meine Unsicherheit und lächelte mich schief an. Ich liebte dieses Lächeln. Ich lächelte zurück und mir wurde bewusst, dass sich seit Jahren wieder ein ehrliches Gefühl hinter dieser Geste verbarg.
Er nahm mein Gesicht in beide Hände und gab mir einen Kuss. Dann nahm er mich in den Arm, so standen wir mehrere Minuten da, während die Sonne hinter den Bäumen verschwand und den Wald in ein warmes Licht tauchte. Es sah aus, als würde der Himmel brennen. Schließlich löste sich Will von mir.
„June, wir müssen etwas besprechen." Da war es, dann gefürchtete Gespräch über meine Vergangenheit, die Vergangenheit meiner Familie.
„Ich weiß, was du denken musst", fing ich an, „aber ich kann es dir erklären."
Er sah mich erwartungsvoll an, ohne einen verurteilenden Blick und wartete. Ich seufzte und setzte mich wieder auf den Steg. Will setzte sich neben mich. Ich starrte auf die Wasseroberfläche, auf der die Wasserläufer hin und her sprangen.
„Meine Mutter und mein Vater haben sich früh ineinander verliebt. Mein Vater liebte meine Mutter einfach bedingungslos. Sie waren jung, leidenschaftlich und kämpften für eine bessere Zukunft ihrer Kinder. Meine Mutter empfand die Paarung damals als größte Pein ihres Lebens. Das Zuschauen der Rates, die minutenlangen Schmerzen." Ich schüttelte den Kopf. „Sie warf meinem Vater, der Omega des Rudels war, vor, nicht genug zum Schutz der jungen Frauen und Mädchen zu unternehmen. Dass die Strukturen veraltet waren und die Rudel-Politik revolutioniert werden musste. Mein Vater hätte alles für sie getan. Vielleicht auch, weil er sich etwas schuldig fühlte. Also begannen die beiden gegen die Strukturen zu rebellieren, Gleichgesinnte um sich zu scharen und intervenierten den Rat mit ihren Ideen. Mit diesen Idealen von Gleichheit und Freiheit bin ich aufgewachsen."
Ich lächelte bei der Erinnerung, als meine Mutter mir das erste Mal ihre Kampfrede über Emanzipation und Gleichberechtigung gehalten hatte. Ich war wie gefesselt von ihrer Stärke und Durchsetzungskraft. Ich lachte trocken auf.
„Das gefiel einem großen Teil des Texas-Rudels nicht... Francis, der Alpha forderte schließlich, dass ich seine Partnerin werden sollte, sofern sich das Band bestätigen würde. Ich war derzeit die einzige weibliche Höherrangige in dem Rudel. Die Aussichten auf eine entsprechende Verbindung lag daher nahe. Und diese Verbindung sollte wohl auch die Unruhe durch meine Eltern ruhigstellen. Es.. dauerte lange, bis meine Eltern merkten, welche Ängste diese Aussicht bei mir hervorriefen. Schließlich verweigerte mein Vater Francis meine Hand. Dieser stellte meinen Vater zur Rede und mein Vater forderte ihn zu meinem Schutz und den meiner Mutter heraus." Ich schluckte. Meine Stimme wurde brüchig. „Es war ein Vollmond-Zirkel. Mein Vater hatte keine Chance, nach wenigen Minuten war er tot", sagte ich schnell.
Ich erinnerte mich an das Blut, das Geheul meiner Mutter. Die Schmerzens-schreie meiner Mum würde ich nie vergessen können. Ich schloss die Augen und eine Träne lief mir über die Wange. Will schaute mich die ganze Zeit an, ließ mir jedoch Zeit und unterbrach mich nicht.

„Danach war alles anders. Das Rudel wurde noch reaktionärer und viele junge Frauen wurden noch stärker als ohnehin schon benachteiligt. Meine Mutter war wie ausgewechselt, sie konnte wohl nicht anders. Aber in der Zeit ihrer Trauer und Abwesenheit, habe ich mich um Fynn gekümmert und gleichzeitig versucht... naja, wie Teenager eben sind. Ich wollte dazu gehören, also habe ich nach ihren neuen Regeln gespielt. Aber Francis wollte unsere Familie für den Ungehorsam meiner Mutter und die Respektlosigkeit meines Vaters bestrafen. Ich.." Ich musste tief Luft holen. „Beim nächsten Vollmond war ich läufig. Es war meine erste Läufigkeit und da meine Mutter nicht für mich da sein konnte, war ich völlig unvorbereitet. Ich bin einfach mit meinen Freunden losgelaufen."
Neben mir zog Will scharf die Luft ein. Es war, als wäre jeder seiner Muskeln angespannt.
„Ich glaube, ich bin in meinem Leben noch die so gerannt. Als sie mich erwischten, habe ich natürlich um Hilfe gerufen. Und der Alpha kam. Doch als er mich sah, hat er nichts unternommen. Er hat einfach dagestanden und zugesehen, wie ich biss und schrie..."
„Es ist nicht dazu gekommen."; sagte ich schnell, als ich Will's Gesicht sah. „Aber es war eine furchtbare Nacht. Und ich fühlte so viel Hass."
Ich schloss die Augen. „Am nächsten Morgen wartete ich auf ihn. Er war allein und in Menschengestalt." Ich schluckte und sah Will an.
„Ich habe ihn angegriffen. Ich habe dem Alpha die Kehle aufgerissen und ich dachte er wäre verblutet. Deshalb sind wir geflohen und schließlich hier angekommen." So. Nichtmal mein Bruder wusste, weshalb wir so überstürzt aufgebrochen waren. Als ich blutüberströmt zu meiner Mutter lief, war sie endlich aus ihrer Trance aufgewacht und hatte sofort alle Sachen gepackt. Auf meine Tat stand in jedem Rudel die Todesstrafe. Ich hatte ohne eine offene Herausforderung einen Höherrangigen angegriffen. Bisher hatte Francis mich nicht gefunden, aber wenn er es tat wird er auf meine Bestrafung bestehen. Und Will würde dann entscheiden müssen, was mit mir passiert.

Will sprang auf und fuhr sich durch die dunklen Haare. Jeder seiner Muskeln war angespannt und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Ängstlich sah ich zu ihm.
„Es tut mir leid", flüsterte ich. „Ich hätte es dir früher sagen müssen."
„June", sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. „Hör auf dich zu entschuldigen. Ich kann mir nicht vorstellen, was du durchgemacht hast. Es tut mir so unendlich leid, dass ich dich nicht beschützen konnte." Er sah mich an und ich sah, wie Tränen in seinen Augen schimmerten. Er war verzweifelt.
Eine Welle der Erleichterung überholte mich. Er verurteilte mich nicht für meine Tat. Tränen traten mir in die Augen, aber ich sah ihn dennoch verständnislos an, schließlich kannten wir uns erst ein paar Wochen. Wie hätte er mich beschützen sollen?
Ich wollte protestieren, aber er fuhr fort: „Ich weiß. Aber ich verfluche mich dafür, dass ich nicht früher für dich da sein konnte. Es ist nicht richtig, dass du so schutzlos und einem solchen.. Monster ausgeliefert warst."
Er hielt inne. „Reagierst du deshalb so empfindlich auf das Band? Weil du Angst vor der Verbindung hast?" Ich überlegte kurz.
„Ja und nein. Ich habe Angst, meinen freien Willen zu verlieren.", sagte ich vorsichtig.
„Ich werde dich zu nichts zwingen. Niemals.", versprach er und sah mir tief in die Augen. Eisgrau auf Gold. „Ich verspreche dir, dass ich dich mit meinem Leben beschützen werde. Für immer." Und mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: „Ich liebe dich, June."

Grey on GoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt