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Nachdenklich zogen sich die Fingerspitzen des Blonden über die vernarbte Brust des Mannes in seinen Armen. Das Krankenbett der Medic Bay bot kaum Platz für eine Person, geschweige denn für zwei. Doch, wie Tony noch vor ein paar Minuten so treffend sinniert hatte: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
So hatte sich Steve vorsichtig hinter ihn gesetzt, und Tony lehnte sich gegen die starken Muskeln in seinem Rücken.
Er würde wahrscheinlich lieber sterben, als vor irgendjemandem zuzugeben, wie sehr er sich genau das hier immer gewünscht hatte.
Nicht immer die starke und selbstbewusste Fassade aufrecht erhalten zu müssen. Sich fallen lassen zu können und genau zu wissen, er würde aufgefangen... und mehr.
Er schloss die Augen, als die sanften Fingerspitzen erneut über die verblasste Brandnarbe über der alten ArcReaktor-Narbe strichen. Er wusste, Steve gab sich dafür die Schuld. Auch wenn er ihm bereits zwei Mal in der letzten Stunde erklärt hatte, dass es lediglich eine der vielen Narben war, die er im Laufe der letzten Jahre gesammelt hatte.
Die Antwort des Soldaten war so ruhig wie tiefgehend gewesen, weshalb Tony sie lediglich mit einem Kuss auf die sanften und gleichzeitig so starken Finger in seinen beantwortet hatte.
"Du würdest das nicht sagen, wenn es Buckys Hand gewesen wäre, die sie dir zugefügt hätte."
Das Geständnis des Blonden, das ihn die verängstigten Augen des Milliardärs bis zum heutigen Tage jede Nacht verfolgten, hatte zu einem erneuten innigen Kuss geführt.
Und anschließend zu einem Versprechen von Tonys Seite, dass er diese Erinnerung gegen etwas austauschen wolle, das um so vieles wichtiger und mächtiger sein würde, als die Schatten der Vergangenheit. Nicht ahnend, dass allein diese Minuten auf dem Bett zusammen, die Wunden in Steves Rogers Seele bereits zu heilen begannen.

"Vielleicht sollten wir in mein Quartier umsiedeln. Oder gleich in die Villa. Das Bett dort ist um ein Vielfaches bequemer."
Das leise, tonlose Lachen ließ die breiten Brustmuskeln in Tonys Rücken leicht vibrieren, bevor sich warme Lippen auf seinen Hals legten.
"Du weißt, dass deine Wunden noch Zeit benötigen. Kunstfleisch hin oder her..."
"Und du weißt, dass ich alles was mit Krankenhäusern zu tun hat, nur schwer ertrage. Auch wenn das Pflegepersonal, sagen wir, über alle Maßen attraktiv ist."
Ein erneutes Lachen ließ Tonys Grinsen noch breiter werden.
"Wo wir gerade beim Thema sind... Ich erinnere mich schemenhaft daran, dass ein gewisser jemand immer einen Kompass mit einem Bild von einer namhaften S.H.I.E.L.D-Gründerin mit sich herum geschleppt hat.
Wie kommt es dann... dass... Ich meine..."
"Hm... Also ich kann mich noch gut an eine recht scharfzüngige Rothaarige erinnern, deren Name sehr gut zur Farbe ihres Haares und ihrem Wesen passte... Was wurde aus ihr?"
"Hab ich dir doch damals in diesem Büro gesagt."
"Du hast gesagt, ihr macht eine Pause..."
"Lenk nicht ab, Rogers, ich habe zuerst gefragt!"

Wieder wurde der Schwarzhaarige von einem Lachen durchgeschüttelt, das in einem einem langgezogenen Seufzen und schließlich in kurzer Stille endete. Das Spielerische war aus Steve gewichen und für den Moment war der Blonde froh, dass Tony sein Gesicht nicht sehen konnte.
Es machte die folgenden Worte auf seltsame, fast absurde Weise einfacher.
"Es waren andere Zeiten. Die 40er... Nicht nur wegen des Krieges." Er schwieg einen Moment, versuchte sich zu sammeln, als viele verschiedene Erinnerungen sich wie ein Haufen Scherben vor seinem geistigen Auge türmten, nur um dann bei Buckys Gesicht anzuhalten. Ein Bild von ihm und den Howlings, in guten Tagen... Es wechselte zu einer Nacht bei eisigen Temperaturen im Zelt.
Buck und er hatten sich, um nicht zu erfrieren, einen Schlafsack geteilt... und so vieles mehr.
Immer in der Angst, entdeckt zu werden und damit auf der Stelle exekutiert.
Sodomie nannte man Homosexualität zu dieser Zeit und sie war nicht nur verpönt, sondern absolut verboten.                                      Zwei Soldaten beim Sex zu erwischen...
Man hätte die beiden nicht nur unehrenhaft aus der Army entfernt, sie wären höchst wahrscheinlich eher durch ein Standgericht auf der Stelle erschossen worden.

"Bedeutet was genau?"
Tonys sanfte Frage holte den Soldaten aus seinen Gedanken. Er räusperte sich heiser und flüsterte: "Peggy war wundervoll. Sie war alles was ein junger Soldat sich wünschen konnte. Ein... sicherer Hafen, wenn du verstehst, was ich meine."
Tony nickte lediglich. Die nachdenkliche Art des Soldaten hatte seine Wirkung auf ihn nicht verfehlt.
"Das bedeutet, sie war nur...?"
"Oh nein, das nicht. Ein Teil von mir hat sie geliebt und ja, auch begehrt. Himmel, als ich sie kennengelernt hab, war ich..." Er seufzte leise und schloss die Augen mit einem fast melancholischen Lächeln. "Ich war so jung, Tony. So verwirrt von all dem. Viel gesehen hatte ich zu der Zeit nicht von der wirklichen Welt."
"Außer der Army, Howard, Erskine... Das nenn ich mal einen Kulturschock."
"Die Army war alles, was ich immer gewollt hatte als Kind. Ich wollte... einen Zweck erfüllen. Einen Sinn..."
"Einen Sinn haben, um zu leben", schloss Tony, mehr zu sich selbst als zu Steve, der daraufhin lediglich nickte.
"Ja, so ungefähr ging es mir damals in Afghanistan auch. Es musste einen Grund haben, warum ich gerettet worden war. Warum dieser brillante Ho Yinsen sein Leben für einen Idioten wie mich geopfert hat."
Dieses Mal war es Steve, der nickte und Tony sanft enger an sich zog.

"War... Ich meine, hast du damals jemanden...?"
"Die Antwort darauf willst du nicht wissen, Tony. Sie wird dir nicht gefallen und ich möchte gerade nicht darüber reden. Aber... ja, es gab Männer und auch Frauen in meinem Leben, bevor und nachdem ich ins Eis ging. Sie waren aber... nicht der Mensch, der... der diese Leere ausgefüllt hat, die..."
"Der Mensch, der die Leere in einem Herz ausfüllt, die man nicht bemerkt hat, bis zu dem Moment, wo man diesen Menschen trifft."
Tatsächlich überrascht, gerade dies von Tony, der nicht gerade als Philosoph und Romantiker bekannt war, zu hören, ließ Steve inne halten. Konnte es wirklich sein, dass dieser vorlaute, oft selbstherrliche Mann in seinen Armen, ihm gerade eine Liebeserklärung gemacht hatte?  Konnte es sein, dass er wirklich dasselbe für ihn empfand?

"Pep und ich... Du weißt, wir wollten heiraten. Ich wollte es perfekt machen. Wahrscheinlich mehr für mich, als wirklich für sie. Sie war die erste Person, die mich wirklich verstanden hat. Die mich ertragen hat, in allen Höhen und Tiefen. Vor allem in den Tiefen. Davon gab es ja reichlich. Und doch... Ich weiß, egal wie sehr ich es gut für sie machen wollte, umso schlimmer wurde es. Ich hab sie mit in die Tiefe gezogen, ohne es zu wollen, oder auch nur zu bemerkten. Bis ihr Überlebensinstinkt die Reißleine gezogen hat. Sie hat früh genug den Absprung geschafft, um von meinem Gift nicht... vollends zur Unkenntlichkeit aufgefressen zu werden. Sie führt jetzt ein glückliches Leben. Und ich gönne ihr jede Sekunde davon, von ganzem Herzen."
Langsam glitten Steves Finger über Tonys nackten Oberkörper, streichelten darüber und dann ließ er seine Hand auf dessen Herz liegen, das erst seit der riskanten Operation damals wieder normal schlagen durfte. Lange Minuten sagte keiner der beiden etwas. Sie genossen die Nähe und die Zärtlichkeit zwischen ihnen, sogen auf, was sie so lange vermisst hatten. Bis Tony, ohne eine wirkliche Frage in seinen Worten, sagte: "Es war Barnes. Der Mann, den du vor und nach dem Eis geliebt hast... Das war James Barnes. Richtig?"

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