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Thor saß zusammengesunken in einem Bereich außerhalb des Hauptquartiers und leerte eine der vielen Flaschen des Getränkes, das die Menschen Bier nannten. Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit dem Met, den er aus Asgard kannte, und doch war es wesentlich bitterer. Etwas, das er nach der unzähligsten Flasche in den letzten Tagen gar nicht mehr realisierte. Auch die betäubende, Verstand benebelnde Wirkung hatte nachgelassen. Immer öfter kamen die Erinnerungen an die letzten Sekunden seines Bruders in ihm auf.
Das Ende seiner Heimat...
Der Tod seiner Mutter...

Es gab so vieles, das er einfach vergessen wollte und es einfach nicht konnte. Die Bilder der Verlorenen liefen wie ein dauerhafter Film in seinem Verstand ab. Jeder Einzelne hatte sich regelrecht in ihn eingebrannt und schrie ihn in den Momenten an, in denen er so etwas wie Schlaf zu finden versuchte.
Die sarkastische Fratze des irren Titanen verfolgte ihn mit jedem Blinzeln.
"Du hättest auf den Kopf zielen sollen."
Ja verdammt, das hätte er! Er hätte diesem Bastard den Schädel spalten und seine mickrige Hirnmasse über das Schlachtfeld spritzen lassen sollen.

Stattdessen hatte er versagt. Er hatte die Hälfte aller Menschen auf dieser Erde auf dem Gewissen. Ebenso hatte er den Großteil seines Volkes und seine Heimat im Stich gelassen. Was war er nur für ein Herrscher? Er war eine Schande für sein gesamtes Volk! Jede Ratte war ein besserer König für Asgard als er.
Er schämte sich für seine jugendliche Überheblichkeit, die ihn noch vor ein paar Jahren nach diesem verfluchten Thron hatte streben lassen. Wie oft hatten er und sein Adoptivbruder – nein, sein Bruder – wegen diesem verdammten Ding gestritten. Sie waren in einem dauerhaften Wettstreit um diesen Titel, so sehr, dass sie nie begriffen hatten, dass es nur ein Spiel war, das Odin mit ihnen gespielt hatte. Ob einer von ihnen irgendwann ebenso verbannt worden wäre, wie ihre Schwester Hella?

Schnaubend schüttelte der riesenhafte Gott den massigen Kopf und vergrub ihn in seinen Händen. Er wollte nicht denken. Er wollte sich nicht erinnern. Ein Teil von ihm wollte einfach verschwinden, wie es seine Kameraden getan hatten, wohl wissend, dass in Valhalla kein Platz für einen Versager an Odins Tafel sein würde.
Einen erneuten Schluck nehmend, schloss er gequält die Augen. Wie erwartet, lachte ihm das violette Gesicht süffisant entgegen, doch dieses Mal hatte sich Thor vorbereitet. Er starrte den Augen des Titanen entgegen und grollte heiser:
"Ich schwöre bei allen Göttern: Du wirst fallen. Du wirst bezahlen für die Toten dieser Welt und allen anderen Welten. Ich, Thor Odinsohn, werde den Boden der Erde mit deinem Blut tränken.
Das ist mein Schwur und mein Vermächtnis."
Das imaginäre Lachen des Titanen verfolgte ihn, doch der Alkohol und der Schlafentzug verlangten ihren Tribut. Wie ein Stein fiel der Gott des Donners zur Seite und schlief auf dem steinigen Rasen schnarchend ein.

Dieses Mal jedoch suchten ihn keine Albträume heim, sondern ein seltsames Wabern umfing ihn, wie damals in der Grotte der Erkenntnis. Die Steine schwebten im Kreis vor ihm her, leuchten auf und schienen ihn zum Nachdenken anzuregen. Im Hintergrund hörte er die Stimme seiner Mutter, die ihm, wie damals als Kind, die Mähr der allmächtigen Steine des Universums erzählte. Und in dem Moment wusste er, nur er allein würde in der Lage sein, die Steine zu kontrollieren. Doch um das zu tun, würde er zurück zu sich selbst finden müssen. Denn nur ein klarer Geist war der Macht der Mächte ebenbürtig.

In dem selben Moment, wo Thor Odinsohn die Augen auf der Wiese wieder aufschlug, begannen im Inneren die Alarme zu schrillen.

"Friday, Bericht!" Natasha hatte es gerade noch geschafft, die Tränen aus ihren Augenwinkeln zu wischen, als Steve, Rhodey und Bruce, gefolgt von Rocket und Nebula im Zentralbereich ankamen.
"Das ist das Dreight System. Das..." Seltsam sprachlos starrte das waschbärähnliche Wesen auf die Karte und sah dann zu Nebula, die ebenso verwirrt aussah.
"Das Paradies", hauchte sie abwesend, worauf alle Anwesenden sie irritiert ansahen.
"Paradies?"
"Vater hat immer von seinem Paradies gesprochen, zu dem er sich zurückziehen wollte, wenn er seine Arbeit abgeschlossen hat. Er hat niemandem verraten, wo das sein soll. Wir hielten es alle für eine Metapher oder einen Mythos..."
"Offensichtlich hat er sich da was gebastelt", knurrte der Colonel heiser und starrte auf den erst gelben, dann immer grüner werdenden Punkt auf der Hologrammkarte. Außer diesem eigentlich unbewohnbaren, leeren Planeten gab es in diesem unbedeutenden System am Rande des Universums nichts. Nun wurde dort ein offensichtlich bewohnbarer Planet angezeigt. Reich an Wasser, Sauerstoff, Pflanzen und Lebewesen.

"Ich registriere einen wahnsinnigen Gammastrahlen-Ausstoß von diesem Planeten. Die Werte sprengen fast die Skala!"
"Er hat es wieder getan. Die Steine benutzt."
Natasha hörte Tonys vor Zorn heisere Stimme hinter sich und drehte sich, wie alle anderen, zu dem im Türrahmen stehenden Mann um. Er hatte sich rasiert und ein lockeres Shirt über die Jeans gezogen, um die Wunde nicht zu sehr zu reizen.
"Es wird sein letzten Mal gewesen sein", hörten sie Thor von der anderen Seite grollen. Er streckte seine Hand aus und fing seine Axt auf, die vor energetischer Macht hörbar aufsummte.
"Ich... Ich denke nicht, dass..."
"Ich muss das tun, Stark. Es ist meine Bestimmung."
Unsichere Blicke glitten von einem Teammitglied zum nächsten, bis Rocket aussprach, was alle  irgendwie gedacht hatten.
"Nicht böse sein, aber ein Bierfass auf Beinen wird es wohl kaum mit dem mächtigsten Titan des Universums aufnehmen können. Thanos grillt dir den Arsch, bevor du überhaupt zwei Schritte gewankt bist!"
"Unterschätze niemals einen Gott, mein Karnikel-Freund."
Damit schulterte er die Axt und sah Nebula direkt in die Augen.
"Ich werde deinen Vater töten. Willst du dich dafür an mir rächen, werde ich dir einen ehrenvollen Kampf bieten, das ist mein Schwur."
Nicht wirklich wissend, wie sie darauf antworten sollte, nickte die Androidin lediglich. Sie hatte ihr ganzes Leben kämpfen müssen. Sei es um den Hauch der Anerkennung des Mannes, der sie misshandelt, missbraucht und zerlegt hatte, oder um ihre bloße Existenz zu berechtigen. Einen Kampf, um ihren Ziehvater zu rächen, den würde sie nicht austragen. Niemals.

"Macht das Schiff klar." Steves Kommando rüttelte alle regelrecht aus ihren Gedanken. Rocket wollte noch etwas anmerken, das wie "Ich bin hier der Captain, das ist mein Schiff" klang, spürte jedoch den Blick des Gottes ebenso auf sich liegen, wie den der Spionin. Diesen zwei Augenpaaren wollte er nicht wirklich etwas entgegensetzen, so finster war deren Blick.

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