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Miku schlief tief.
Tiefer, als Mei es je ertwartet hatte. Sie tippte ein paar Programmzeilen und seufzte. Miku war fast wie ein Kind für sie gewesen und zugegeben, es war schwierig für sie gewesen, sie einfach so loszulassen. Aber sie musste es so oder so tun, und je früher, desto besser.
Mei tippte die Programmzeilen fertig. So. Damit würde sie hoffentlich alles vergessen. Jetzt nur noch das Debug und alles überprüfen. Nichts war außergewöhnlich. Programm wieder starten. Hoffen, dass alles stimmte. Mei atmete einmal tief durch und schaute Miku zu, wie sie langsam erwachte...

...

Miku blinzelte. Vor ihr. Blumen. Blaue Kornblumen. Was waren Kornblumen? Jemand... Jemand hatte sie ihr mal gezeigt. Matoko... Matoko... Wer war das? Und jetzt fühlte sie wieder ihren Zorn... Gegen Mei? Wer zum Teufel war Mei? Was war Zorn? Wie ging fühlen überhaupt?
Miku öffnete ihre Augen so weit, damit sie alles um sie herum sah. Ein Ort. Gar nichts. Weiß mit kleinen Dreiecken. Wie schön! Moment. Was war schön?
Miku fühlte plötzlich etwas in sich. Und bevor sie etwas dagegen tun konnte, fing sie an zu singen.

空にカガヤく星のカケラ
sora ni kagayaku hoshi no kakera
Ich habe die Splitter der schimmernden Sterne im Himmel gesammelt,

集めてつくるヒカリの指輪
atsumete tsukuru hikari no yubiwa
Erschuf einen Ring aus Licht

永久とわの約束 願いをこめて
towa no yakusoku negai o komete
Und in dem Ring habe ich ein Versprechen der Ewigkeit und meinen Wunsch eingebettet

受け止めてほしい あなたへの気持ちを
uketomete hoshii anata e no kimochi o
Ich möchte, dass du meine Gefühle für dich akzeptierst.

この想いを...
kono omoi o...
Bitte akzeptiere meine Gefühle...

この想いを...
kono omoi o...
Bitte akzeptiere meine Gefühle...

Ihr erstes Lied. Sie wusste es. Aber es löste keine Gefühle in ihr aus. Sie wusste nicht mal, was Gefühle waren. Sie war hilflos. Sie wusste das auch irgendwie. Das war nicht ihre Stimme. Sie war unnormal melodisch und etwas stockend. Sie vermisste ihre echte Stimme. Was war ihre echte Stimme aber?
Sie verspürte plötzlich den Drang zu sprechen, irgendetwas zu sagen, sei es auch nur ein einziges Wort.
Sie öffnete den Mund. Nur ein paar Atemzüge kamen heraus. Sie ächzte, tat alles, um ihre Stimme wieder hervorzurufen. Ihr fiel alles wieder ein. Matoko. Das Nichts. Die Kornblumen. Und Mei, Mei, Mei, die sie leidenschaftlich hasste. Gefühle. Ihre eigene Stimme kehrte zurück.
"H-hallo", sagte sie etwas zittrig, "I-ich bin Hatsune M-miku."
Das war das Erste, was ihr einfiel. Und sie war stolz darauf, keuchte und sagte es wieder und wieder. Bis sie das Lied wieder singen musste.

...

"Hääääääääh?!"
Mei war geschockt. Verdammt geschockt.
"Mmmh... Was is'n?" fragte Matoko schlaftrunken. Er hatte sich Miku angeschaut, wie sie aufwachte und sang, und war direkt eingeschlafen, mitten im Lied.
"Sie spricht. MIT IHRER EIGENEN STIMME!" Mei sprang aus ihrem Drehstuhl und lief hin und her in dem Büro. "Wie... Was? Das war nicht vorprogrammiert!"
"Scheint sich auch an uns zu erinnern...", murmelte Matoko. "Sonderbar."
"MATOKO! Das ist nicht sonderbar!! Das ist ein verdammter Programmierfehler! Jetzt reiß dich zusammen und mach was!"
Matoko täuschte einen Hustenanfall vor, aber Mei konnte deutlich das Wort Bullshit hören. Sie entschied sich dazu, es zu ignorieren.

...

この想いを...
kono omoi o...
Bitte akzeptiere meine Gefühle...

Sie hatte es nochmal gesungen. Und nochmal. Sie hatte genug davon, konnte aber nicht aufhören.
Wie oft wird dieses verdammte Lied noch gepielt??, dachte sie, als sie verbissen auf ihrem 27. Einsatz wartete.
Das Lied gefiel ihr langsam nicht. Der Text war so zusammenhanglos. Sternensplitter? Ein Ring? Mein Wunsch? Meine Gefühle für dich? Hä?
Sie hoffte aus der Seele, dass die Leute von jetzt an ein paar... bessere Lieder für sie schreiben würden.
Sie konzentrierte sich mehr auf die Kornblumen in ihrem Gedächtnis.
Matoko hatte sie ihr gezeigt.
"Miku, willst du mal was schönes sehen?", fragte er sanft.
"Au ja!", rief sie. Sie war damals 7 gewesen und hatte sich über alles Mögliche gefreut.
Matoko projizierte ein Bild von einem Feld voller Kornblumen. Blaue, kleine Blumen.
"Das sind Kornblumen", erklärte Matoko. "Sie sind klein und scheinen nicht beachtenswert, aber wenn man genau hinsieht, sind die trotzdem schön. Aber leider sehen nur Manche das. Genauso ist es auch bei Menschen. Nur weil sie etwa unfreundlich wirken, darfst du sie nicht abstoßen. Du musst genau hinschauen und das Unentdeckte entdecken. Und ich glaube, meine Miku ist gut darin!"
Er hatte sie immer "meine Miku" genannt und dann hatte sie gelacht.
Plötzlich bemerkte sie, dass sie aufgehört hatte zu singen.
"Boah endlich", sagte sie zu sich selber.
Sie sah das Bild von Matoko wieder, projiziert im Nichts.
"Matoko!", rief sie. "Wie geht's dir?"
"Hey Miku", sagte er. "Mir gehts blendend, danke."
Er zögerte ein bisschen, schließlich sagte er: "Ich weiß, es ist schwierig als Vocaloid. Halte durch. Irgendwann werde ich dich bestimmt retten."
Miku setzte ein Lächeln auf und nickte tapfer, aber innerlich wollte sie einfach nur ihre Seele raus weinen.

(Notiz: Nach etwas googeln hab ich rausgefunden, was das erste Hatsune-Miku-Lied ist. Es heißt 01_ballade und wurde vor ca. 15 Jahren auf YouTube veröffentlicht. Ich konnte den Text auf japanisch, Romanji (japanische Lautschrift?) und englisch finden. Ich habe einfach nur das englische ins deutsche übersetzt und das englische gelöscht also denkt bloß nicht dass ich japanisch kann!! 🤣)

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