Kapitel 52

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Ich starre ihn erschrocken an.

Es ist, als würde ich in das Gesicht eines Geistes blicken.

"Hallo Elisabeth Darling", haucht er und platziert seine Hand unter meinem Kinn, um es anzuheben. Ich habe keine Ahnung, wie ich reagieren soll. Ich weiß nicht einmal, ob ich reagieren soll. Ist das hier die Realität oder habe ich so oft in den Spiegel gesehen, dass die Bilder, die ich dort sehe, jetzt vor meinem Auge erscheinen?

"Oder muss ich dich jetzt Professor Hawkins nennen?", fragt er und beugt sich zu mir hinunter. Ich bin in seinem Griff gefangen. Ich bin in seinen Augen gefangen. Er berührt mich so sanft, dass es kaum spürbar ist und doch ist es, als habe er mich gefesselt. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. In meiner Seele regt sich eine jüngere Version von mir und schreit, dass ich die Entfernung zwischen uns schließen soll. Sie ist so unglaublich laut in meinem Kopf und mein Herz ist so unglaublich laut in meiner Brust. Wie kann es sein, dass sie noch immer lebt? Unter dem Schutt, der sich meine Vergangenheit nennt? Wieso regt sie sich unter dem Schmerz? Ich weiß doch, dass sie es nicht sollte, aber sie ist einfach so stark. Zu stark für mich.

Sebastians Augen haben sich verändert, aber sie sind mir nicht völlig fremd. Die Farbe, das satte, dunkle Grün, ist genauso leuchtend und einnehmend wie damals. Die Stimme wird lauter, schreit Dinge, an die ich lange nicht mehr gedacht habe. Ich will nachgeben. Ich will seinen Atmen auf meiner Wange spüren und seinen Körper wie er sich an meinen presst. Ich bin in einem Delirium gefangen. Das hier muss ganz einfach ein Traum sein. Es kann nicht echt sein. Es kann einfach nicht stimmen.

Wenn es stimmt, dann ist das hier nicht gut. Wenn es die Wahrheit ist, dann lebt er und ist in Sicherheit und es geht ihm gut und dafür gibt es keine gute Erklärung. Keine Erklärung, die plausibel oder entschuldbar ist. Wie kann es sein?

Wie kann es ihm gut gehen? Wieso scheint er so unberührt und gesund?

Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, wurde er hinfort geschliffen. Er wurde an seinem Kragen gepackt und unschädlich gemacht. Ich habe es genau gesehen. Ihre Hand an dem Stoff. Sein zerzaustes Haar noch chaotischer als sonst. Seinen ausdruckslosen Gesichtsausdruck während ihm alle Wege in eine gute Zukunft versperrt wurden. Ich habe es gesehen. Jedes kleine Detail und doch steht er hier und sieht geradezu perfekt aus.

"Das kann nicht echt sein", hauche ich und seine Reaktion ist eine Mischung aus einem ungläubigen Schmunzeln und einem verwirrten Augenbrauen hochziehen. Er lächelt schief. Sein Lächeln hat mich doch immer zum Dahinschmelzen gebracht. Wie kann es sein, dass er hier steht und lächelt? Wo war er die letzten sieben Jahre?

"Ich sehe zwar traumhaft aus, aber ich bin definitiv echt", antwortet er. Ich ziehe mein Kinn zurück, so dass er mich nicht mehr berührt und gehe einen Schritt zurück.

"Ich...wieso?", frage ich, meine Frage hängt unvollständig zwischen uns und ich weiß nicht, wie ich sie beenden soll. Wieso lebst du noch? Wieso hast du dich nicht gemeldet? Wieso bist du hier? Wieso siehst du so aus, als wäre nichts passiert? Wo warst du? Wer bist du jetzt?

Er lächelt mich noch immer an. Die Sonne scheint durch die Buntglasfenster und taucht sein Gesicht in ein schönes Nachmittagslicht. Seine Sommersprossen stechen bei dem Licht hervor und seine dunkelgrünen Augen funkeln.

"Ich löse Professor Hecat ab, solange sie ihren Ministeriums Auftrag erfüllt, immerhin war ich damals einer der besten in Verteidigung gegen die dunklen Künste", sagt er. Damit wäre das, wieso bist du hier schonmal geklärt.

Doch die restlichen Fragen müssen warten, denn ich höre, wie mein Klassenraum sich zu füllen beginnt. Meine Sechstklässler sind da.

"Ich muss mit meinem Unterricht beginnen", sage ich und greife nach meinem Zauberstab und meinem Notizbuch. Ich deute auf die Tür und er sieht mich irritiert an, doch dann nickt er, als hätte er es verstanden.

Against the dark Hearts - German/DeutschWhere stories live. Discover now