Kapitel 62: Tolerate

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Ist der Corporal da nicht?", fügte sie hinzu und deutete auf eine Person, welche mit verschränkten Armen etwa 10 Meter vor den Wellen steht und diese skeptisch beobachtet. Die schwarzen Haare verrieten alles.
„Ah, danke!", rief ich ihr kurz noch zu, bis ich dann zum Corporal rannte und mich auf ein inneres Gefühlschaos vorbereitete. Dann mal auf in den Kampf...

Mit jedem Schritt näherte ich mich dem Corporal, während ich mich gleichzeitig darauf konzentrierte, nicht in scharfe Steine oder Muscheln zu treten, die da so verteilt im Sand liegen und nach meinem Blut dursten... was?
Immer mehr geriet meine Umgebung in den Hintergrund und ich setzte jeden Fuß erst mit reichlicher Überlegung an irgendeine Stelle, die gerade ungefährlich ausschaute. Gott, ist das komplizi-
„Jodie.", hörte ich plötzlich eine raue Stimme direkt neben meinem Ohr und erschrak mich fürchterlich. Auch noch mein Vorname... und dann diese Stimme... und direkt neben meinem Ohr!
Mein Herz versuchte es erst gar nicht, sich zu beruhigen. Ganz ruhig, Jodie.
„Ja, Sir!", brüllte ich und stellte mich kerzengerade vor Corporal Levi auf. Die Röte in meinem Gesicht kommt von der Sonne... eindeutig.
„Geh' mir aus dem Bild.", häh? Als der Corporal bemerkte, dass ich nicht ganz verstand, was er meinte, bewegte sich seine rechte Hand auf mich zu und drückte mich sanfter als erwartet am Oberarm weg. Oh.. ah!
„A-Achso, ich stand im Bild!", äußerte ich das Offensichtliche. Jodie... halt den Mund!
„Ja. Wie ich es schon gesagt hatte.", kam es bloß trocken vom Corporal. Uff...
Nun stellte ich mich neben meinen Vorgesetzten und ließ die Aussicht auf mich Wirken. Da der Corporal etwas abgelegen von der Menge stand, konnte man die Stimmen der anderen Soldaten nur in der Ferne hören. Abgesehen davon werden sie sowieso vom Geräusch der Wellen unterdrückt. Passend zur Atmosphäre atmete ich einmal tief durch und genoss diese frische, saubere Luft.
„Wie finden Sie diesen Anblick, Corporal?", fragte ich nochmals völlig überwältigt von dem Meer.
„Nicht schlecht.", erhielt ich als Antwort. Huh?
„Nicht schlecht? Ernsthaft? Das ist doch vollkommen... atemberaubend, Sir! Das Glitzern des Wassers in der Sonne, die Fröhlichkeit, die in der Luft liegt, der Sand an den Füßen! Finden Sie das nicht total krass? Hätten Sie sich jemals erträumt, dass Sie das noch einmal miterleben dürfen? Vielleicht sollten Sie sich auch irgendwo eine Muschel mitnehmen, als Andenken. Ich muss das auf jeden Fall auch noch machen!", nun wurde ich ein bisschen übermütig. Ach, was soll's. Heute darf ich das.
„Sei nicht so begeistert, Jodie. Wir mussten viele Opfer bringen, um an diesen Punkt zu gelangen. Und der Rückweg wird uns noch mehr Leben kosten.",
„Och... nicht so pessimistisch sein! Genießen Sie dieses Erlebnis doch einfach mal, hm?",
„Ignoriere nicht die Tatsachen, Balg. Du hättest genauso davon betroffen sein können.", mit seiner dunklen, monotonen Stimme sprach der Corporal mal wieder nur das Negative aus... ich hasse es, dass er Recht hat.
„Stimmt... ohne Sie wäre ich schon drei Mal abgekratzt. Corporal... danke.", an dieser Stelle muss ich mich einfach noch einmal bedanken... früher habe ich es nicht wirklich wert geschätzt, aber letztlich ist der Corporal immer da, wenn etwas ist. Und ohne unsere tiefgründigen Gespräche würde ich... würde ich eingehen.
„Bedank dich nicht ständig.",
„Ich werde es trotzdem immer tun. Nur um Sie zu ärgern.",
„Dann brauchst du nichts mehr von mir zu erwarten, wofür du den Grund hättest, dich zu bedanken.",
„Das wäre ziemlich doof. Wer soll mich dann statt Ihnen jedes Mal an die Grenze des Wahnsinns treiben?", sagte ich mit einem Lächeln im Gesicht.
„Frag das Vierauge.", erhielt ich als Antwort. Hmm...
„Ach, so schlimm ist Hanji nun auch wieder nicht. Ich mag sie.", entgegnete ich. Daraufhin schielte ich etwas nach rechts, um irgendeine verratende Mimik des Corporals ausfindig machen zu können. Nur ein leichtes Hochziehen der Augenbrauen... och, manno.
„Merkt man. Ihr seid beide gleich bescheuert.", hieß es trocken. Aua...
„Ach was, in Wahrheit haben Sie uns doch lieb, Sir.", mit diesen Worten überspielte ich die kurze Traurigkeit, die in mir aufkam. Sei nicht so weich, Jodie. Das ist der Corporal. Der sagt sowas eben.
„Da wäre ich mir nicht so sicher.", antwortete er, woraufhin ich bloß ein Seufzen abließ. Somit wäre dieses Thema also beendet. Aber ich will noch nicht weg, weshalb ich die Stille zwischen uns mit folgenden Worten durchbrach: „Übrigens geht es Scott den Umständen entsprechend gut. Ich dachte, das sollten Sie vielleicht wissen..",
„Mh... und Daz?", mit dieser Frage breitete sich Verwunderung in mir aus. Verwunderung, dass der Corporal nachfragt. Und Verwunderung, dass... ich die Sache ganz vergessen hatte.
„Dem auch, denke ich.", murmelte ich kühl. Es ist immer noch unfassbar... seinen besten Freund im Stich zu lassen.
„Jodie. Stell dich nicht so an. Sonst wirst du es eines Tages bereuen... und das dann für den Rest deines Lebens.", grummelte Corporal Levi. Woher weiß er...?
„Hanji hat es Ihnen erzählt, nehme ich an?", sprach ich meinen nächsten Gedanken aus. Und Hanji wird es von Linn haben... Buschfunk funktioniert wohl.
„Sieht so aus.", war die stumpfe Antwort meines Nachbarns.
„Was meinen Sie mit ''bereuen''? Es geht einfach darum, dass ich nicht nachvollziehen kann, wie er Scott im Stich lassen konnte. Normalerweise tut man doch alles Mögliche, um seine Kameraden vor dem Tod zu bewahren, oder nicht? Zumindest hatten wir uns das so versprochen. Wenn Scott jetzt tot wäre... ich könnte nie-",
„Für Jemanden mit selbstmörderischen Macken, wie dich, ist es vielleicht selbstverständlich, im Angesicht des Todes deine Kameraden retten zu wollen.", fiel der Corporal mir ins Wort und fuhr dann fort: „Du hast keine Vorstellungen von den Umständen, die zur Zeit des Vorfalls waren, Jodie. Solche Sachen entstehen rein aus Kurzschluss-Reaktionen. Meinst du, Daz hat sich zu dem Zeitpunkt an dieses Versprechen erinnert? Ich denke nicht.", nun schwirrten mir eindeutig zu viele Gedanken im Kopf herum.
„Es ist nur menschlich kurzerhand die Entscheidung zu treffen, die darauf hinausläuft, dass man selbst heil davon kommt. So sind die Menschen konstruiert. Und lass dir gesagt sein: noch sind wir nicht sicher hinter den Mauern. Jeden Moment könnte ein Titan aus dem Nichts kommen und hier herum wüten. Dann könnte es Daz treffen. Ich nehme an, deine letzten Worte zu ihm waren nicht besonders freundlich. Willst du, dass dich das dein Leben lang plagt? Willst du dich mit ''Was wäre gewesen, wenn...?'' Fragen quälen, bis zum bitteren Ende? Willst du täglich mit dem Gedanken aufwachen, dass es lieber dich hätte treffen sollen, anstatt ihm?", wow... warum klingt das alles so, als würde es genau auf Corporal Levi zutreffen?
Mit einem etwas entsetzten Blick schaute ich dem Corporal in die Augen. Er hielt unseren Augenkontakt knallhart aufrecht und schien tatsächlich auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Langsam schüttelte ich meinen Kopf...
„Dann reiß dich gefälligst zusammen und schau über deine Wut hinweg. Geh dieses Risiko der Reue gar nicht erst ein, verdammt nochmal.", waren seine abschließenden Worte. Was muss dieser Mann schon erlebt haben, um sich so mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Reue... ein widerliches Gefühl. Und man denkt immer, das würde den Corporal alles kalt lassen... wow.
„Ich danke Ihnen für Ihren Rat, Sir! In Zukunft werde ich auf Ihre Worte zurückgreifen!", da ich mit meinen Gefühlen völlig am Ende bin, salutierte ich auch noch vorm Corporal. Mein Herz schmerzt, ich habe dieses erdrückende Gefühl im Brustkorb und ich würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. Reue.
„Ist gut.", mit diesen Worten des Corporals machte ich mich auf die Suche nach Daz. Ich muss mich unbedingt entschuldigen!

Faith  [Levi x Oc]Where stories live. Discover now