Quatre

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T H E O

Meine Wohnung liegt nicht allzu weit von meinem Arbeitsplatz entfernt. Von dort aus kann ich sowohl das Museum als auch die Uni innerhalb kurzer Zeit erreichen, wofür ich ausgesprochen dankbar bin, denn ich gehöre zu den Kandidaten, die morgens gerne etwas länger schlafen. Es sind zwar nur zwei kleine Zimmer plus ein winziges Bad, aber da ich alleine wohne, habe ich mehr als genug Platz. Außerdem kann ich Tag und Nacht den Blick auf das Edinburgh Castle genießen, das majestätisch auf dem Castle Rock über der Altstadt thront.

Bei Dunkelheit ist die Burg für gewöhnlich hell erleuchtet, weshalb ich manchmal nachts am Fenster stehe und mich an ihrem magischen Anblick erfreue. Heute interessiert mich die schöne Aussicht allerdings herzlich wenig, denn ich habe Besuch und bin dementsprechend abgelenkt. Wie verabredet ist Faye vorhin zu mir gekommen, damit wir den Abend gemeinsam verbringen können. Eigentlich wollten wir einen Film gucken, aber schon nach der ersten Viertelstunde haben sich unsere Pläne in eine andere Richtung entwickelt.

Inzwischen läuft der Abspann des Films, von dem ich kaum etwas mitbekommen habe und wir liegen eng umschlungen auf meiner Couch, die eigentlich zu klein für zwei Personen ist, aber wen kümmert das schon? Unsere Körper sind leicht verschwitzt und ihr feines, rotblondes Haar kitzelt mich am Kinn. Ich genieße es, ihre Wärme zu spüren und atme mit geschlossenen Augen ihren Duft ein, der mich wie immer an Sommer erinnert. Wenn's nach mir ginge, würde ich ewig hier liegenbleiben – mit Faye in meinen Armen.

Zaghaft stupst sie mich an. „Lässt du mich kurz aufstehen?", fragt sie leise und haucht mir einen Kuss auf die Wange. „Ich muss mal eben ins Bad."

Eher widerwillig lasse ich sie los. „Na schön, aber beeil dich", sage ich mit einem Augenzwinkern, während sie ihre Unterwäsche aufhebt, die neben der Couch auf dem Boden liegt.

„Versprochen", erwidert sie grinsend, schnappt sich ihr Handy und wirft mir eine Kusshand zu, bevor sie sich ins Badezimmer zurückzieht.

Ich wundere mich schon lange nicht mehr darüber, dass meine Freundin ihr Handy mit aufs Klo nimmt. Manchmal glaube ich, sie ist mit dem Ding verwachsen, da sie es praktisch nie aus der Hand legt – es sei denn, sie schläft gerade oder ist mit mir beschäftigt. Seufzend richte ich mich auf und fange ebenfalls an, meine Klamotten aufzusammeln. Ohne Fayes wärmenden Körper neben mir überkommt mich ein leichter Kälteschauer und ich ziehe mich schnell an, um dem entgegenzuwirken.

Anschließend fläze ich mich wieder auf die Couch und warte darauf, dass sie zurückkehrt. Im Badezimmer läuft der Wasserhahn – ich höre das gleichmäßige Rauschen und Fayes vertraute Stimme, die gedämpft vor sich hin murmelt. Stirnrunzelnd neige ich den Kopf und lausche. Natürlich verstehe ich kein Wort, aber etwas an dieser Situation beunruhigt mich. Es klingt nicht so, als würde sie eine simple Sprachnachricht aufnehmen, sondern eher wie ein heimliches Telefonat, von dem ich nichts mitbekommen soll.

Obwohl ich es nicht beabsichtige, regt sich ein plötzliches Misstrauen in mir. Höchstwahrscheinlich gibt es überhaupt keinen Grund dafür, aber seitdem mich meine erste Freundin mit gleich zwei anderen Kerlen betrogen hat, neige ich gelegentlich zu empfindlichen Überreaktionen. Selbst wenn es sich nur um Kleinigkeiten handelt. Ich merke gar nicht, wie ich aufstehe und in Richtung Badezimmer schleiche. Vorsichtig lege ich mein Ohr an die Tür, doch zunächst höre ich nur mein eigenes, wild pochendes Herz. Erst nach und nach vernehme ich einzelne Worte, die sich anfühlen wie ein Schlag in die Magengrube.

„Marc, es ist wirklich schlecht gerade", sagt Faye bemüht leise, aber ihr bedauernder Unterton entgeht mir trotzdem nicht. „Ja, ich bin noch bei ihm. Lass uns später reden, okay?" Nach einer kurzen Pause fügt sie einen Satz hinzu, der mir endgültig den Rest gibt. „Bis nachher, Baby, ich vermisse dich."

Mir dreht sich der Magen um und einen Moment lang habe ich die Hoffnung, dass das hier nur ein ziemlich fieser Alptraum ist. Ich kann einfach nicht glauben, dass mein Vertrauen nun schon zum zweiten Mal auf dieselbe Art und Weise missbraucht wird. Doch spätestens als ihrem Gesäusel auch noch ein geflüstertes „Ich liebe dich" folgt, dringt die bittere Wahrheit zu mir durch. Wie von selbst hebt sich meine Hand und ich klopfe zweimal fest an die Tür.

Ich meine zu hören, wie Faye auf der anderen Seite ein erschrockenes Keuchen von sich gibt. Sekunden später steht sie mir gegenüber, die grünen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Sie sagt nichts, starrt mich nur an – genau wie jemand, der gerade auf frischer Tat ertappt wurde. Noch immer trägt sie nichts außer ihrer dünnen Spitzenunterwäsche, die ihren wunderschönen Körper perfekt zur Geltung bringt. Angewidert erinnere ich mich daran, dass wir gerade eben noch miteinander geschlafen haben. Hat sie währenddessen etwa die ganze Zeit an diesen Marc gedacht?

„Theo", sagt Faye mit brüchiger Stimme und streckt ihre Hand nach mir aus, doch ich weiche vor ihr zurück. „Bitte, ich kann dir das erklären!"

Obwohl es mich durchaus interessieren würde, wer dieser Marc ist und warum sie mich mit ihm betrogen hat, schüttle ich den Kopf. Eine Erklärung bringt das hier auch nicht wieder in Ordnung. „Ich hab 'ne bessere Idee", antworte ich mühsam beherrscht. „Du verschwindest aus meiner Wohnung. Und zwar jetzt."

Ohne auf eine Reaktion ihrerseits zu warten, drehe ich mich um und gehe zurück ins Wohnzimmer. Dort fange ich an, mit abgehackten Bewegungen ihre restlichen Klamotten einzusammeln, während sie mir folgt und einige klägliche Erklärungsversuche unternimmt, die ich jedoch nicht weiter beachte. Kein einziges Mal sehe ich sie an – auch dann nicht, als ich mit ihren Klamotten unterm Arm zur Wohnungstür gehe, sie aufreiße und die einzelnen Kleidungsstücke schwungvoll ins Treppenhaus befördere.

„Hau ab", sage ich ruhig und sehe ungerührt dabei zu, wie Faye halbnackt durch das dunkle Treppenhaus huscht, um ihr Zeug aufzuheben und sich gleich danach hektisch anzuziehen.

„Können wir nicht darüber reden?", fragt sie mit weinerlicher Stimme, dabei bin eher ich Derjenige, der einen Grund zum Heulen hätte.

Das ist der Moment, in dem mir der Kragen platzt. „Reden?", fauche ich sie unvermittelt an. „Worüber möchtest du denn reden? Darüber, dass ich dir anscheinend reiche und du es deshalb noch mit einem anderen treiben musst? Oder lieber darüber, dass du mich komplett verarscht hast?"

Sie öffnet den Mund, um etwas darauf zu erwidern, doch ich lasse sie nicht zu Wort kommen. „Ich will nichts hören!", stelle ich wütend klar und bedeute ihr mit einer rüden Geste, dass sie verschwinden soll. „Geh endlich! Und vergiss nicht, deinem Marc einen lieben Gruß von mir zu bestellen, wenn du ihn das nächste Mal siehst!"

Mit diesen Worten knalle ich Faye die Tür vor der Nase zu und würde am liebsten noch einmal kräftig dagegen treten, doch ich besinne mich gerade noch. Die Tür kann schließlich nichts dafür, dass ich in der Liebe anscheinend vom Pech verfolgt bin. Kurz überlege ich, ob ich wirklich heulen oder mir lieber einen hinter die Binde kippen sollte. Letztendlich entscheide ich mich für Option Zwei und finde mich wenig später mit einem Glas Scotch in der Hand am Fenster wieder. Ich betrachte die hell erleuchtete Burg und proste ihr zu, ehe ich den Whisky runterstürze. Das vertraute Brennen im Rachen fühlt sich beinahe tröstlich an.


J'ai besoin de toiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt