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A D R I E N

Es ist später Nachmittag, kurz nach 17:00 Uhr, aber draußen kündigt sich bereits wieder die Dunkelheit an. Wie passend, dass ich sowieso schon im Bett liege, beziehungsweise auf meinem Bett. Laute Musik dröhnt aus meinen Kopfhörern und ich starre geistesabwesend vor mich hin. Von Zeit zu Zeit versuche ich, die Augen zu schließen und mich ein wenig zu entspannen, doch wie so oft funktioniert das leider nicht.

Meine Gedanken kommen einfach nicht zur Ruhe. Sie kreisen um die Uni, um meine Arbeit im Restaurant, bei der ich es heute mit einigen nervigen Gästen zu tun hatte und natürlich um mein nächtliches Telefonat mit Theodore. Ich habe mich sehr darüber gefreut, ihn endlich nochmal zu sehen und zu hören, auch wenn der Grund für seinen Anruf alles andere als ein erfreulicher war. Noch immer verfluche ich seine Ex-Freundin, die den loyalsten und aufrichtigsten Menschen, den ich kenne, ohne mit der Wimper zu zucken betrogen hat.

Dieses Mädchen kann froh sein, dass sie in Schottland lebt und ich in Frankreich, ansonsten hätte ich sie mir schon längst vorgeknöpft, um sie zu fragen, wer ihr eigentlich ins Gehirn geschissen hat. So bleibt mir allerdings nichts anderes übrig, als mich aus der Ferne über sie aufzuregen und für Theodore da zu sein, so gut es eben geht. Ich weiß nicht, ob meine Worte ihn ein bisschen trösten konnten, aber ich hoffe es natürlich. Nicht zum ersten Mal denke ich daran, wie gerne ich ihn jetzt bei mir hätte.

Dass ich ihm vorgeschlagen habe, mich in Paris zu besuchen, war nicht ganz uneigennützig. Zwar bin ich mir einerseits sicher, dass ihm ein wenig Abstand und Ablenkung guttun könnten, aber andererseits habe ich auch an mich selbst gedacht. Aktuell brauche ich einen guten Freund an meiner Seite mehr denn je und Theodore ist neben Noel nun mal der Mensch, dem ich am meisten vertraue. Genau genommen steht er mir sogar noch etwas näher, da wir jahrelang jeden Tag zusammen waren, während mein Cousin seine Kindheit und Jugend in Frankreich verbracht hat.

Umso enttäuschter war ich angesichts seiner Reaktion. Statt mir eine klare Antwort zu geben, hat er nur rumgedruckst und unser Gespräch kurz darauf beendet – angeblich wegen plötzlich einsetzender Kopfschmerzen. Gut, er war betrunken, aber für mich hat sich das trotzdem wie eine ziemlich lahme Ausrede angehört. Um ehrlich zu sein, bin ich jetzt noch niedergeschlagener als vor unserem Telefonat. Theodore hat offensichtlich kein Interesse daran, zu mir zu kommen und das zu akzeptieren, ist echt hart. Vielleicht hätte ich ihm deutlicher zu verstehen geben sollen, wie sehr ich seine Anwesenheit vermisse.

Mein Handy meldet sich und für den Bruchteil einer Sekunde habe ich die Hoffnung, dass es Theodore ist, der es sich inzwischen anders überlegt hat, doch natürlich werde ich enttäuscht. Anstelle seines Namens erscheint der von Vici auf dem Display und ich verdrehe genervt die Augen. Ich habe kein persönliches Problem mit ihr, aber sie führt sich auf wie eine Klette. Nur weil wir einmal gevögelt haben, tut sie so, als wären wir seitdem miteinander verlobt. Warum lässt sie mich nicht einfach in Ruhe?

Vici (17:31 Uhr): Habe letztens nochmal an unseren Abend gedacht ... warte immer noch auf die Wiederholung ;)

Darauf kann sie von mir aus lange warten. Ohne auf ihre Nachricht zu reagieren, lege ich das Handy wieder beiseite. Allerdings dauert es nicht lange, bis meine Ruhe abermals gestört wird. Trotz Musik höre ich die Türklingel und weil Noel gerade nicht da ist, müsste ich eigentlich aufmachen. Mein Cousin wollte mich vorhin dazu bringen, mit Bibi Gassi zu gehen, aber ich habe mich so lange geweigert, bis Noel meine Faxen dicke hatte und das selbst übernommen hat. Erneut klingelt es und nun beschleicht mich der Verdacht, dass das eine Art Racheaktion von ihm ist, um mich zu nerven.

Selbstverständlich besitzt er einen Schlüssel, weshalb mich seine blöde Klingelei umso mehr aufregt. Ich weiß, dass er es darauf anlegt, mich zu provozieren, doch leider funktioniert es. Ziemlich gereizt schwinge ich meine Beine über den Bettrand und marschiere zur Tür. Auf dem Weg dorthin lege ich mir schon mal ein paar nette Worte zurecht, die ich meinem Cousin gleich an den Kopf knallen werde. Oder, wer weiß – vielleicht nehme ich ihn auch einfach in den Schwitzkasten, damit er kapiert, dass mir nicht nach Scherzen zumute ist.

Schwungvoll reiße ich die Tür auf und setze zu einer wütenden Schimpftirade an, aber als ich sehe, wer dort im Hausflur steht, bleiben mir sämtliche Beleidigungen im Hals stecken. Der junge Mann, der mich zähnebleckend angrinst, hat keinen schwarzen-, sondern einen blonden Haarschopf, der vom Wind etwas durcheinandergebracht wurde und dazu jede Menge Sommersprossen im Gesicht. Außerdem sind seine Augen nicht dunkelbraun wie die von Noel, sondern auffallend hell und blau. Nicht umsonst habe ich Theodore jahrelang um seine Augenfarbe beneidet.

„Das wurde aber auch Zeit", sagt er schmunzelnd, ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Ich dachte schon, du lässt mich hier draußen verschimmeln."

„Du ... du bist hier", stelle ich völlig perplex fest und mustere ihn ungläubig, weil ich absolut nicht damit gerechnet habe. „Warum?"

Theodore runzelt leicht die Stirn, aber sein Lächeln bleibt. „Du hast doch gesagt, ich soll zu dir kommen", erinnert er mich an unser Gespräch und legt den Kopf schief. „Oder bereust du's schon, dass du mich eingeladen hast?"

„Nein." Allmählich realisiere ich, dass er wirklich da ist und ich nicht bloß halluziniere. Instinktiv mache ich einen Schritt auf ihn zu und schließe ihn in eine feste Umarmung. Spätestens jetzt bin ich mir hundertprozentig sicher, meinen besten Freund vor mir zu haben. Diesen holzigen, leicht rauchigen Duft von ihm würde ich unter tausenden wiedererkennen.

„Du hast mir wirklich gefehlt, weißt du?", sage ich leise, ohne ihn loszulassen und bin überrascht, wie brüchig meine Stimme klingt. Fehlt nur noch, dass ich anfange zu heulen. So nah dran wie gerade war ich jedenfalls schon länger nicht mehr.

„Ich weiß, Adrien", erwidert Theodore ebenfalls etwas dumpf und zieht mich noch ein wenig enger an sich. „Du mir auch."

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⏰ Last updated: Sep 04, 2023 ⏰

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