Part 26

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Ich fühle mich vollkommen leer, als ich in Frankfurt aus dem Flugzeug steige. Die letzten Jahre haben so an meinen Kräften gezehrt, dass ich mich jetzt, da ich endlich aus diesem Hamsterrad aussteigen kann, kraftlos und verloren fühle. In Italien habe ich nur daran gedacht, wie ich am schnellsten von all dem weg komme, aber jetzt? Was mache ich jetzt? Wo gehe ich hin, wer will ich sein?

Ohne mein Gepäck bin ich so schnell wie noch nie draußen und stehe jetzt schon seit einer Stunde in der großen Flughalle, ohne zu wissen wohin mit mir. Ich weiß, dass ich zu Davids Haus gehen und meine Sachen holen muss. Ich weiß, dass ich mir eine neue Wohnung suchen muss. Aber dann? Meine Eltern werden immer noch meine Eltern sein. Mein Job ist immer noch mein Job und meine Freunde... Ich habe keine. Die einzige Person, die noch da ist, ist Martha. Aber... ich will sie nicht schon wieder mit meinen Problemen belasten. Sie war mein Kindermädchen vor über zehn Jahren und ist heute... immer noch wie eine Mutter für mich, aber ich traue mich nicht sie anzurufen.

Also tue ich nach einer Ewigkeit einfach das naheliegende. Ich steige in die nächste U-Bahn und fahre zu David und mir nach Hause. Vor dem Tor bleibe ich einen Moment stehen und lege eine Hand auf das Metall. Es fühlt sich an wie immer. Dabei ist gerade nichts mehr so, wie es vor meiner Abreise war. Ich kann gar nicht glauben, dass das nur eine Woche her ist. Es fühlt sich an, wie eine Ewigkeit.

Es ist schon mitten in der Nacht, als ich die letzte Tür zu einem der Schränke im Haus öffne und einfach so wieder schließe. Ich habe eine Kiste im Keller gefunden, in der jetzt meine ganzen Papiere und ein paar Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jungend zu finden sind. Eine Tasche steht daneben mit ein paar Kleidungsstücken und zwei paar Schuhen darin. Es hat Ewigkeiten gedauert meine alte Tasche zu finden. Meine eigene und nicht eine, die David gekauft hat. Davon hätte es genug gegeben, aber ich will nur Dinge mitnehmen, die ich mir selbst erarbeitet habe und mit denen ich mich identifizieren kann. Ich weiß es klingt unfassbar dumm das alles zurück zu lassen, aber ich will das nicht mehr. Ich möchte keine Dinge mehr tragen, die sich nicht nach mir anfühlen. Ich will keine Sachen mehr machen, hinter denen ich nicht stehe. Also habe ich mir nur einen Bruchteil von dem eingepackt, was ich eigentlich besitze. Den Rest wird Davids Haushaltshilfe am Montag zusammen packen. Ich habe ihr schon eine Nachricht geschickt und sie gebeten, alles für David wegzuräumen. Sie wünscht mir alles Gute... Das ist schön... nur weiß ich nicht, wie das alles wieder gut werden soll? Wie lernt man denn, wer man eigentlich ist oder sein will? Das sollte man von klein auf lernen, indem man so sein darf, wie man ist... Was macht man denn, wenn man dazu nie die Chance hatte? Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden.

Und so sitze ich mitten in der Nacht im Arbeitszimmer und schreibe eine Kündigung. Ich arbeite noch keine zwei Jahre in dem Architekturbüro, was bedeutet, dass ich in einem Monat gehen kann. Aber was dann?

Neben mir klingelt schon wieder mein Telefon, aber ich lasse es einfach liegen. So viele Menschen haben mich seit meiner Abreise versucht anzurufen. Nur eine Person, deren Name ich gerne gesehen hätte, hat es nicht versucht. Und vielleicht ist das auch besser so...

Ich verbringe die ganze Nacht damit durch das Haus zu wandern, mir jeden Raum anzuschauen und mich dann zu verabschieden. Ich verabschiede mich von einem Leben, dass ich so nie für mich wollte und kann dabei gar nicht fassen, wie schwer mir das jetzt fällt.

Es wird Morgen und als ich mit dem letzten Kaffee für diesen Lebensabschnitt auf der Terrasse stehe, klingelt mein Telefon ein weiteres mal. Und als ich den Namen meiner alten Nanny lese, muss ich lächeln. „Hallo Martha." „Liebes was ist passiert?", will sie direkt von mir wissen. „Wieso soll was passiert sein?", frage ich zurück und trinke noch einen Schluck. „Ich hatte schon ein komisches Gefühl, als ich aufgewacht bin, aber dann habe ich gerade eben einen wirklich seltsamen Anruf deiner Eltern erhalten. Sie waren wütend, haben geschrieben, geschimpft und... ich habe aufgelegt. Deshalb formuliere ich die Frage jetzt mal anders: „Wo soll ich dich abholen?"

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