73. Was hast du schon wieder gemacht?

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°○ Manuel ○°

"Wo willst du hin?"
Meine Schwester verließ das Wohnzimmer.
Ich folgte ihr. "Maria! Jetzt warte!"
"Lass mich!" Sie lief in Richtung Wohnungstür.
Ich stellte mich davor. "Willst du abhauen?"
"Kann dir doch egal sein!"
"Was stimmt schon wieder nicht mit dir?"
Maria antwortete nicht. Schien erst einen Moment lang zu überlegen, wandte sich dann um und ging ins Bad.
"Glaub mal nicht, dass du dich ritzen kannst!" Ich öffnete die Tür, nur einen Spalt, da knallte Maria sie wieder zu.
"Verdammt noch mal, spinnst du? Ich-"
"Wie bitte?", fiel ich ihr ins Wort. Und drückte die Tür wieder auf.
"Scheiße Mann!" Maria presste sich dagegen, versuchte vergeblich, sie zu schließen. "Jetzt geh doch-"
"Du fragst mich, ob ich spinne?"
"Manuel, bitte!"
"Was läuft hier?" Mehmets Stimme hinter mir.
"Nichts." Ich wandte mich um. "Meine Schwester ist nur mal wieder am Ausflippen."
"Warum lässt du sie nicht aufs Klo?", wollte mein Kumpel wissen.
"Weil sie nicht aufs Klo muss", antwortete ich.
"Woher willsu dasissen?" Auch Leon war nun dazu gekommen, mit Minchen im Arm, die hatte inzwischen mit dem Weinen aufgehört, fürs Erste jedenfalls.
"Sie wollte eben abhauen", erklärte ich. "Da konnte ich sie gerade noch so von abhalten."
Leon verdrehte die Augen. "Was hatse denn schonieder?"
"Keine Ahnung, Mann!" Ich lachte. "Die wollte einfach so raus aus der Tür, ohne Jacke und Schuhe. Du kennst sie ja..."
"Maria?" Mehmet klopfte an die Tür. "Machst du mal auf?"
Keine Reaktion.
"Süße?" Als nächstes versuchte Leon es. "Geht esir gut?"
"Könnt ihr nicht weggehen?" Maria klang genervt. "Was wollt ihr denn alle von mir?"
"Nurissen, obsir guteht." Leon hickste. Das brachte Minchen zum Kichern.
"Kann euch doch egal sein, wie es mir geht! Schaut ihr mal den tollen Film weiter, mit dem ganzen Gemetzel darin!"
"Hättsamal wasagen können, wennu denichucken willst!" Leon lachte. "Isoch immer daseiche midir!"
"Ja schön!", kam es von der anderen Seite der Tür. "Mach dich ruhig über mich lustig, du Säufer!"
"So mussu michade nennen, du-"
"Leon!", mischte Mehmet sich ein. "Jetzt lass mal gut sein!"
"Ich haboch überhauptichsemacht! Verdammte Scheiße nochaal!" Leon trat gegen die Tür, nicht allzu stark, ansonsten hätte Mehmet ihm wohl eine reingehauen. Und dann noch vor die Tür gesetzt. "Bisu jetzal fertigarinnen?
"Ichussa jetzit Minchen rein."
"Das kann doch noch kurz warten", meinte Mehmet.
Leon schnaubte. "Vonegen warten! Meine Schwester haschmerzen!"
"Kann doch gut sein, dass Maria gerade aufm Pott sitzt."
"Jaa, genau!", riefen Leon und ich gleichzeitig hämisch aus.
"Von wegen Pott", sagte ich.
"Wetten sie ritzt sichieder?", fragte Leon und tippte dann erneut mit dem Fuß gegen die Tür. "Jetzachal auf da!"
"Doofe Babyscheuche!" Minchen zog die Nase hoch. "Behinderte-"
"Hey! Sch..." Leon gab ihr einen Kuss. "Hör mal aufamit, ja?"
"Ich geh da jetzt rein!" Mit diesen Worten und noch ehe mich jemand daran hindern konnte, schob ich ein weiteres Mal die Tür auf, wohl mit etwas zu viel Wumms dabei.
Maria heulte auf: "Auuaahh! Verdammtochaal! Schinnstuu?" Sie kauerte in der Ecke, eingeklemmt zwischen Tür und Wand. Und hielt sich den Arm; der blutete.
"Was hast du schon wieder gemacht?" Ich zerrte sie auf die Beine. "Immer dieser kranke Scheiß!"
"Lassich los, du Arsch-"

°○ Maria ○°

Manuel ging auf mich los, versuchte es zumindest, da drängte Leon sich direkt zwischen uns.
"Junge, hatanir insirneschissen?" Mit voller Härte stieß er unseren Bruder zurück, der knallte gegen die Duschwand. "Pack sie noch einmal an, dann waras dasetzte, wasu tust!"
"Was ist denn da los bei euch?" Melanies Stimme von weiter weg.
"Jetzt kommt mal klar hier!", rief Mehmet aus. "Sonst könnt ihr das gleich auch draußen klären!"
"Einscheiß werdich klären!", entgegnete Leon. "Jetzümmerch mich erstal um Minchen! Und du dich um sie!" Den letzten Satz richtete er an Manuel, der verzog daraufhin genervt das Gesicht, fast schon wie kurz vorm Kotzen. Drückte mich auf die Toilettenschüssel. Und gab mir dann ein Taschentuch.
"Drauf drücken!"
Ich legte das Tuch auf die Wunde an meinem Arm und drückte zu; gleichzeitig riss Manuel mir die Nagelschere aus der Hand und knallte sie auf die Ablage mit den Deodosen. "Immer diese Psychoscheiße!"
Ich biss mir auf die Unterlippe, spürte die Hitze in meinem Gesicht. Die Tränen, welche an meinen Wangen hinabliefen.
"Was denkst du dir dabei?" Manuel holte Verbandszeug aus dem Erste-Hilfe-Schränkchen. "Denkst du überhaupt mal was?" Er kam zurück zu mir, legte die Plastikpäckchen neben die Schere, musterte mich und stieß kurz darauf ein hämisches Grunzen aus.
Ich wandte mich wieder meinem Arm zu; das Taschentuch darauf war inzwischen mehr rot als weiß.
"Komm schonninchen!" Leon, immer noch lallend. Er hielt seiner Schwester ein Glas voll Wasser an die Lippen. Mehmet stand neben ihm, eine Dose Wundspray in der Hand.
"Wenigstensen Schluck!"
Minchen trank.
"So ist'sut." Leon gab ihr einen Kuss. "Jetzollen wir dichal verarzen. Komm!" Mit diesen Worten setzte er sich auf den Boden, streckte als nächstes die Hand nach Minchen aus. Die setzte sich daraufhin auf seinen Schoß.
"Dannehtsir auch gleichesser." Noch ein Kuss, wieder auf die Stirn. "Meineiner-"
"Blutet's noch?" Manuel riss mich aus meiner Beobachtung heraus.
"Wie bitte? Nein!"
"Zeig mal her!"
"Das geht schon, ich-"
"Tuch runter!"
Ich legte die Wunde frei. Sie war noch offen.
"Verdammte Sauerei!", schimpfte mein Bruder, zog ein frisches Taschentuch aus dem Päckchen und gab es an mich weiter. "Kann ich mal das Spray?"
"Warte kurz!", sagte Mehmet.
"Sonst hol ich mir Pfeffer", meinte Manuel.
"Wasillsu miteffer?"
"Willst du, dass wir hier gleich schwimmen?"
Leon lachte. "Wasabersu?"
"Er meint Marias Wunde, weil die noch blutet", warf Mehmet ein.
"Undas hadas miteffer zu tun?", fragte Leon weiter.
"Davon hört es auf", erklärte Manuel.
"Es stimmt", bestätigte Mehmet. "Aber nimm ruhig erst mal das hier", fügte er noch hinzu und gab das Spray an Manuel weiter, woraufhin dieser sich wieder an mich wandte.
"Arm frei machen!"
Ich reagierte nicht.
"Arm! Frei! Machen!"
"Können wir das denn nicht weglassen, mit dem Spray?" Ich schniefte. "Bitte Ma-"
"Soll ich dir helfen?" Manuels Stimme klang ruhig. Und zu allem bereit.
Mich überlief eine Gänsehaut.
"Oder tust du jetzt, was ich sage?"
Ich nahm das Tuch herunter, spürte bald darauf das Spray und wie es brannte.
Leon gab seiner Schwester einen weiteren Kuss, währenddessen verteilte Mehmet ihr Salbe auf den Rücken: "Ebenoch kurzill halten, meinengel, dannasu seicheschafft!"
Neue Tränen traten mir in die Augen. Ich ließ sie kommen, blieb jedoch völlig stumm dabei. Das beherrschte ich mittlerweile ja ganz gut, diese leise Art zu weinen, das hatte ich geübt.
"Wollenir gleichonal Zähne putzen? Dann kannsu so schlafen."
"Ich will nicht schlafen!"
"Mussuja auch nicht sofort."
"Ich will das gar nicht!"
"Erstuscheln wir noch einisschen. Undann les ich dir was vor, okay?", meinte Leon und hielt seiner Schwester noch ein Taschentuch vor die Nase. "Kommezüchtig!"
Ich schaute zu Boden, sah die glatten Fliesen zu meinen Füßen. Hörte wie Minchen sich schnäuzte. Und spürte gleichzeitig Manuels Blick auf mir.
Er stieß ein hämisches Glucksen aus: "Du bist neidisch, Schnullerbacke, kann das sein?"
"Was? Nein!" Ich schniefte, fuhr mir dann mit der freien Hand durchs nasse Gesicht. "Worauf soll ich neidisch sein?"
"Dir passt das nicht, wenn Minchen so betüddelt wird und du da nur blöd neben sitzt", antwortete Manuel, während seine Hände mir mit geschickten Bewegungen den Verband anlegten. "Darum geht's hier doch."
"Einen Scheiß geht's darum!"
"Deswegen heulst du jetzt auch."
"Ich heule doch nicht!"
"Du bist neidisch auf sie."
"Ich bin nicht neidisch auf sie!", entgegnete ich heftig. "Das wäre doch verrückt!"
"Aber es stimmt." Ein Lachen in Manuels Stimme. "Das kannst du ruhig mal zugeben." Er strich mir die Haare aus dem Gesicht. "Meine kleine Babyscheuche."
"Nenn mich nicht so!" Ich schluchzte auf, jetzt konnte ich nicht mehr anders. "Du l-l-l-l-laberst doch nur K-K-K-Kacke!"
Manuels Hand auf meinem Rücken. "Sch... ist doch gut!" Er streichelte mich. Und lachte halb dabei. "Ich weiß, das findest du jetzt richtig scheiße, wenn du mal nicht im Rampenlicht steh-"
"Ichin überhauptich-ch-ch-chern im R-R-Rampenlicht!"
"Natürlich nicht, ist klar!"
"Haltu docheine Sch-Sch-"
"Schhhh...", unterbrach Manuel mich und legte mir dabei gleichzeitig den Zeigefinger an die Lippen, da verstummte ich direkt. "Pass mal lieber auf, was du hier von dir gibst, Schwesterchen!" Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, demgegenüber blieb sein Blick so, wie er immer schon war: Kalt und leer.
"Du kennst mich", flüsterte er.
Ich nickte.
"Und du weißt, was passiert, wenn man mich reizt."
Wieder nickte ich.
"Gut", sagte mein Bruder, nahm das Päckchen Taschentücher von der Ablage, zog eins heraus und reichte es mir. "Da! Mach dich mal sauber!"
Ich nahm das Tuch und wischte mir damit die Tränen ab.
"Bist du jetzt fertig mit Heulen?"
"Ja."
"Putz dir die Nase!"
Ich tat es.
"Und nun gehst du ins Wohnzimmer und trinkst was!", bestimmte Manuel weiter, fasste mich am Arm und zog mich auf die Beine. "Damit meine ich keinen Alkohol, damit das klar ist!"
"Ichann dir gleichn Tee machen", bot Leon an, der stand nun am Waschbecken, hinter seiner Schwester, welche auf einem kleinen Hocker stand, die Zahnbürste im Mund.

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2حيث تعيش القصص. اكتشف الآن