#20 Ohne Beweis keine Erpressung

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Milan

Meine Erinnerung an den Vorabend hatte ich wohl mit ertrunken. Oder die wummernden Kopfschmerzen ließen es nicht zu, dass die Erinnerungen in mein Gedächtnis wanderten. Das kalte Wasser, der Dusche, half nur mittelmäßig.

„Milan!", rief Maria liebevoll von unten, als ich aus dem Badezimmer kam.

Hatte ich etwas verpasst? Zögerlich schlenderte ich in die Küche, wo Maria, Niklas und Kate saßen. Kate war seit drei Jahren mit Niklas in einer Beziehung. Wenn sie zu Besuch war, herrschte hier friedliche Familie, wodurch ich um ihre Anwesenheit froh war. Niklas schenkte mir einen bösen Blick, als Kate aufstand, um mich zu umarmen.

„Du siehst krank aus", schaute sie mich mitleidig mit ihren Grünen Augen an. „Ich habe ein bisschen zu viel getrunken, aber was machst du denn hier?", fragte ich sie. „Schon vergessen? Ich habe Urlaub und bin zwei ganze Woche hier", erinnerte sie mich. „Stimmt", fiel mir wieder ein.

Kate war vor einem Jahr umgezogen, wodurch sie und Niklas sich nicht mehr häufig sahen. Bevor ich mich an den Tisch setzte, nahm ich eine Tablette gegen die Schmerzen. Immer wieder empfand ich das Benehmen von meiner Tante und Niklas merkwürdig, wenn sie das heile Familie Spiel spielten.

„Unternehmen wir heute etwas gemeinsam?", fragte Kate, wobei Niklas sich fast an seinem Brot verschluckte. „Ich kann nicht", lehnte ich ab. „Dann sind es nur noch wir zwei", grinste Niklas. „Was hast du heute vor?", hakte Maria nach. „Brandon und ich haben uns verabredet", log ich.

Unabhängig davon, dass ich nichts mit Niklas unternehmen wollte, wollte ich deren Zweisamkeit nicht stören. Für meinen Cousin musste es bereits schlimm genug sein, dass er zwei Wochen lang ruhig bleiben musste. Kate schaute mich fragend an, da ich mitten in meiner Bewegung innegehalten hatte. Feste hielt ich das Glas in meiner Hand fest.

„Auf der Hinfahrt habe ich einen Flyer gesehen. Am Wochenende ist am Strand eine Party. Was haltet ihr davon?", versuchte Kate weiterhin eine gemeinsame Aktivität zu finden. „Für mich spricht nichts dagegen", stimmte Niklas zu. „Ich muss arbeiten, aber ich kann danach vorbei schauen", sagte ich ebenfalls zu.

Das war eindeutig zu viel Party innerhalb von wenigen Wochen. Meine Kopfschmerzen erinnerten mich noch vage an die letzte. Nachdem wir alle fertig mit Essen waren, wollte ich bereits den Tisch abräumen, aber wurde von Maria aufgehalten.

Das konnten zwei entspannte Wochen werden, dachte ich mir. Kates Anwesenheit war ein Segen. Obwohl wir nie viel miteinander zu tun hatten, verstanden wir uns, was Niklas natürlich nicht recht war.

„Ich bin dann jetzt weg, bis später", verabschiedete ich mich.

„Was machst du denn hier?", fragte Brandon, als ich sein Zimmer betrat. „Vor gemeinsamen Aktivitäten mit Kate und Niklas flüchten", setzte ich mich neben ihn auf den zweiten Drehstuhl. „Kate ist wieder da?", schaute er mich überrascht an. „Ja, für zwei Wochen. Solange wohnt sie bei uns", erzählte ich ihm.

Brandon strahlte über das ganze Gesicht. Den ganz genauen Grund kannte ich nicht, aber ich vermutete, dass er wusste, was das für mich bedeutet. Anbietend schob er mir die Packung Oreos, die vor seiner Tastatur lag, zu, welche ich dankend ablehnte.

„Hast du am Wochenende Lust mich auf diese Strandparty zu begleiten?", fragte ich nach. „Natürlich, aber bist du irgendwie krank? So viel Party in kurzer Zeit", drückte er mir seinen Handrücken gegen die Stirn. „Nein, aber ich möchte dort nicht alleine mit Niklas und Kate hin", erklärte ich. „Achso, klar. Hast du ein Problem damit, wenn ich Dawn und Levin frage, ob sie ebenfalls mit wollen?", griff er bereits nach seinem Handy. „Nur zu. Desto mehr, desto besser", grinste ich.

Mit Levin waren die letzten zwei Partys erträglich gewesen. Wir saßen etwas weiter entfernt, wodurch wir nicht direkt in der Masse waren. Zusätzlich konnte ich recht gut mit ihm über belanglosen Kram sprechen. Ihm schien es wenig auszumachen sich mit mir zu unterhalten.

„Mal eine Frage, wie bin ich gestern nach Hause gekommen?", fragte ich nach. „Levin hat dich gefahren", antwortete Brandon. „Habe ich irgendeinen Mist gemacht?", erkundigte ich mich. „Du hast auf einem Tisch gestrippt, hast sogar dein Oberteil in die Menge geschmissen", gab er neutral von sich.

Geschockt schaute ich ihn an, wobei ich schwer schluckte. Wenn ich mein Oberteil ausgezogen hatte, hatte jeder meine Narben gesehen.

Das bist du selber schuld.
Du hast jedem gezeigt, wie schwach du bist.
Du bist erbärmlich.

Alkohol war eindeutig nichts für mich, wenn ich so etwas tat. Scheiße. Wie konnte ich nur so verdammt dämlich gewesen sein, fragte ich mich. Wenn ich mich von Levin nicht überreden lassen hätte, wäre das niemals passiert.

„Du müsstest mal dein Gesicht sehen", lachte Brandon. „Du hast mich angelogen?", entsetzt schaute ich ihn an. „Ja, du saßt die ganze Zeit draußen und hast mit Levin geredet", erzählte er mir nun, hoffentlich, die Wahrheit. „Idiot", haute ich ihm gegen die Schulter. „Wenn du wirklich gestrippt hättest, hätte ich das aufgenommen", grinste er. „Und dich bezeichne ich als meinen besten Freund", schnaubte ich. „Den du ganz doll lieb hast".

Damit hatte er dann wohl recht. Unabhängig davon, dass er bis vor kurzem mein einziger Freund gewesen war. Tatsächlich zählte ich Dawn und Levin bereits zu meinem Freundeskreis. Es war komisch, dass ich nicht nur noch Brandon hatte. Die letzten Jahre waren es nur noch wir beide und kein anderer.

Brandon war mein Fels in der Brandung. Er war die Ruhe selber, solange keiner ihn provozierte. Es musste nicht zwingend eine Provokation gegen ihn selber sein. Mein bester Freund verteidigte seine Ansichten und Meinungen, wenn es nötig war. Sein Ego und Stolz waren kaum anzukratzen.

„Wusstest du, dass Niklas Kate betrogen hat?", fragte Brandon auf einmal. „Was? Er ist zwar ein absolutes Arschloch, aber niemals würde er Kate betrügen", brachte ich geschockt hervor. „Vor ein paar Tagen hat er mit Amelie rumgemacht hinter der Sporthalle", berichtete er mir. „Und das erzählst du mir erst jetzt? Ich könnte ihn damit erpressen", fiel mir auf. „Natürlich, aber so bist du nicht", erinnerte mein bester Freund mich.

Die Information war praktisch, wenn ich mir nach Kates Abreise Ruhe verschaffen wollen würde. Außer sie wusste es schon. Es würde mir nicht viel nützen, sondern nur noch mehr Ärger einhandeln, wenn er es ihr erzählt hatte. Zusätzlich könnte Niklas die Wahrheit verdrehen und mich als lächerlichen Lügner darstellen.

„Hast du davon Bilder?", fragte ich, fast schon hoffnungsvoll, nach. „Leider nicht, sonst hätte ich dir die schon längst geschickt", zuckte Brandon mit den Schulter.

Na toll, ohne Beweise konnte ich gar nichts machen. Warum konnte das Schicksal nicht einmal auf meiner Seite stehen? Nur ein verdammtes Mal. Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken, wobei ich fieberhaft nach einer Lösung am Suchen war. Eine Lösung, die es nicht gab.

Ohne Beweis keine Erpressung.

Warme SommernächteWhere stories live. Discover now