#55 Verheimlichen

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Levin

Skeptisch folgte Dawns Blick mir, als ich mit meiner Gitarre und einem Bier nach draußen auf die Terrasse lief. Im Schneidersitz setzte ich mich auf die Gartenmöbel, wobei mein Rücken gegen die Hauswand gelehnt war. Das Bier stellte ich auf die Terrassendielen ab, damit ich besser dran kam.

„Du trinkst Alkohol", stellte Dawn fest, als sie sich gegenüber von mir setzte. „Gutes Auge", kommentierte ich nur. „Was war denn gestern mit dir los? Du warst nach dem zweiten Spiel so komisch drauf", wollte sie wissen. „Nichts, mach dir keine Sorgen", ich versuchte glaubhaft zu klingen. „Levin, lüg mich nicht an", verlangte sie nachdrücklich.

Am Abend war ich sofort in mein Zimmer gegangen und nicht mehr rausgekommen, nachdem wir vom Paintball zurückgekommen waren. Obwohl Milan bei mir schlafen wollte, hatte ich ihn nach Hause gefahren, da ich seine Nähe nicht mehr ertragen hatte. Nun wägte ich ab, ob es gut war Dawn zu erzählen, was los war. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte, aber ich brauchte jemanden zum reden, da es mich sonst zerfresse würde. Wenn ich es ihr erzählte, war es mir wichtig, dass sie es nicht unseren Eltern erzählte.

„Der Mord, den ich gesehen habe, fand in der Halle statt. Das war früher die Lagerhalle durch die ich durchgegangen war", ein großer Schluck Bier folgte auf diese Information. „Warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte mir etwas überlegt, damit du nicht hättest mitmachen müssen", fragte Dawn besorgt nach. „Ich dachte, dass ich es schaffe. Es ist schließlich zwei Jahre her. Erst hat es super funktioniert, aber die Erinnerungen kamen wieder, als ich das erste Mal auf Milan geschossen habe. Mein Fluchen galt nicht nur, dass du mich getroffen hast, sondern auch den Erinnerungen", erklärte ich ihr, wobei sich mein Blick auf die Gitarre auf meinem Schoß legte.

Mir rollten die ersten warmen Tränen über meine Wangen, die ich sofort mit dem Ärmel meines Pullover wegwischte. Leider kamen die neuen zu schnell, wodurch ich sie hemmungslos laufen ließ. Mir war es peinlich, dass mir so ein einfacher Ort so zusetzen konnte. Ich hatte niemanden Bescheid gegeben, dass es mir zu viel war, da ich keinem den Spaß verderben wollte. Als ich das zweite Mal auf Milan geschossen hatte, war mir das so wenig leichtgefallen wie beim ersten Mal.

„Ich bin froh, dass Milan nicht gemerkt hat, dass ich fast eine Panikattacke hatte", meinte ich, während meine Finger an den Saiten, der Gitarre, herumspielten. „Er wäre für dich da gewesen, wie wir alle. Du musst so etwas nicht alleine durchstehen", sprach meine Schwester mir gut zu. „Milan würde für mich da sein, bis ich ihm erklären würde, was vorgefallen ist", behauptete ich. „Warum denkst du das?", Dawn klang schon fast wie ein Psychologe, der mir in die Seele schauen wollte. „Weil sein Onkel einer der Täter war", ließ ich nun endgültig die Bombe platzen.

Überrascht schaute sie mich an, denn bisher wusste sie nur, dass es zwei Täter gewesen waren. Ich hatte ihr nie die Namen erzählt, da es mir als irrelevant vorkam. Mörder waren Mörder und der Meinung war ich noch immer. John war früher der erste, der verhaftet wurde, da er sich zu sehr in Sicherheit gefühlt hatte. Sein Partner war bis vor ein paar Wochen vom Erdboden verschwunden gewesen. Solange er durch die Weltgeschichte spazierte, war es für uns zu gefährlich gewesen, wodurch wir erst nach seinem auftauchen aus dem Zeugenschutzprogramm draußen waren.

Mittlerweile hatte ich schon öfter überlegt mit Milan darüber zu reden, aber ich hatte zu große Angst gehabt. Seine Reaktion würde bestimmen wie unsere Beziehung weiterlaufen würde, denn mein Geheimnis war auf den verschiedensten Ebenen ein Trennungsgrund. Ich wollte lieber mit einem schlechtem Gewissen weiterleben, anstatt das Risiko einzugehen ohne Milan zu leben.

„Warum hast du mir das bisher nicht erzählt?", fragte Dawn ruhig nach. „Ich wusste es nicht, bis ich gewisse Gesichtszüge bei Milan wiedererkannt habe. Erst dachte ich, dass es nur Zufall wäre, aber dann hat er mir erzählt, warum sein Onkel verhaftet wurde", erzählte ich ihr. „Hast du vor es ihm zu erzählen?", bohrte die blondhaarige weiter. „Nein. Dann könnte er vermuten, wo wir die letzten zwei Jahre waren", war ich fest überzeugt. „Es wird zwischen euch stehen. Milan wird es vielleicht nicht bemerken, aber du wirst es spüren", es schien, als sie mich von meiner Entscheidung abbringen wollte.

Manchmal hasste ich es, dass Dawn Recht hatte. Sie konnte die Situation distanzierter betrachten, wozu ich nicht mehr in der Lage war. Am Anfang konnte ich es noch, aber mittlerweile waren meine Emotionen viel zu sehr involviert. Jedes Mal, wenn ich ihn verletzte, verletzte ich mich selber damit. In mir zog sich, alleine bei dem Gedanken, etwas zusammen, dass ich ihn weh tun könnte.

„Desto länger du es Milan verheimlichst, desto mehr wird er sauer sein", gab Dawn mir zu bedenken. „Er wird Schluss machen, egal wann ich es ihm sage", meinte ich. „Das glaube ich nicht. Er liebt dich und es liegt in der Vergangenheit, selbst wenn du jetzt noch mit den Erinnerungen kämpfst", versuchte sie mich aufzuheitern. „Ich würde es so gerne vergessen", ein frustriertes Seufzen entfloh mir. „Du wirst es nicht vergessen, aber du könntest es mit einer Therapie besser Verarbeiten. Es wurde dir nicht umsonst angeraten."

Verneinend schüttelte ich mit dem Kopf. Eine Therapie kam für mich nicht in Frage, da es genügend andere Menschen gab, die so etwas nötig hatten. Dazu kam, dass ich nicht alles einem wildfremden Menschen erzählen wollte. Mir reichte es schon, dass ich mit Dawn meine neusten Erkenntnisse geteilt hatte.

„Möchtest du?", hielt ich ihr ablenkend die Bierflasche entgegen. „Gerne, aber warum hast du überhaupt zum Alkohol gegriffen? Seit dem Vorfall hast du doch keinen Tropfen mehr getrunken", interessierte Dawn sich. „Ich hatte die Hoffnung, dass es vielleicht hilft meine Erinnerungen zu vergessen. Nun habe ich gemerkt, dass es nicht hilft und zusätzlich nicht schmeckt", erklärte ich. „Du solltest bei Alkoholfreiem Bier bleiben", empfahl sie mir mit einem Grinsen.

Lächelnd nickte ich. Auf einmal stand sie auf und betrat das Innere, des Hauses. Mit einem Seufzen lehnte ich meinen Kopf gegen die Hauswand und genoss die kurze Ruhe. Lange hielt ich es nicht aus, denn eine meiner Hände streifte ich über die Gitarrensaiten.

„Hier", setzte Dawn sich wieder zu mir und hielt mir ein alkoholfreies Bier entgegen. „Danke, aber das wäre gar nicht nötig gewesen", nahm ich die Glasflasche an.

Da Dawn mich ein wenig ablenken wollte, bat sie mich irgendwas auf der Gitarre zu spielen. Es funktionierte sogar, denn ganz alleine die Töne hatten meine Konzentration. Leise sang sie mit, nachdem sie das Lied erkannt hatte, während ich nur summte. Abrupt stoppte ich, als mein Handy den Ton machte, welchen ich für Milan ausgesucht hatte.

Milan

Ich liebe dich, aber
ich verschwinde. Ich halt
es nicht mehr aus. Such
mich nicht.

11 5 12 12 5 18

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Schockiert, verletzt und traurig zugleich rutschte mir das Handy aus der Hand.

Warme SommernächteWhere stories live. Discover now