#49 Unterwäsche

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Milan

Obwohl ich mich abgeschottet hatte, wollte Dawn noch immer mit mir shoppen gehen. Levin war so nett gewesen und fuhr uns in die Innenstadt, während Dawn mir etwas von einer Party erzählte. Bevor sie mir die genaueren Details genannt hatte, hatte ich bereits zugesagt.

„Auf jeden Fall brauchst du ein hellblaues Kleidungsstück", beendete Dawn ihren Monolog. „Habe ich nicht, aber du kannst mir gerne irgendwas aussuchen", bot ich ihr an, was sie sofort freudig bejahte.

Levins Schmunzeln verriet mir, dass das keine gute Idee gewesen sein konnte. Für gute Ideen war ich wohl in den letzten Wochen sowieso nicht bekannt. Mich zurückzuziehen war wohl die dämlichste in letzter Zeit gewesen.

Sicher und konzentriert manövrierte Levin das Auto rückwärts in eine Parklücke. Sein Schmunzeln war noch immer nicht vergangen, was mich keineswegs störte, da es gut aussah. Es ließ seine braunen Augen noch ein wenig mehr strahlen.

„Möchtest du wirklich nicht mit uns gehen?", fragte ich, als wir ausgestiegen waren. „Nein, ich muss noch etwas erledigen. Wir sehen uns später", sagte Levin, wobei er sich die Kapuze, seines Pullovers, über den Kopf zog. „Bis später", meine Stimme war leiser als zuvor. „Passt auf euch auf", rief er uns noch zu, als er bereits mehrere Meter entfernt war.

Ein wenig traurig schaute ich dem blondhaarigen noch nach, da ich gerne einen Kuss bekommen hätte, aber mich nicht getraut hatte zu fragen. Lächelnd griff Dawn nach meinem Handgelenk, um mich die Einkaufspassage entlang zu ziehen. Anscheinend wusste sie schon ganz genau, wohin sie wollte. Ich hoffte, dass das alles nicht allzu lange dauern würde.

„Gehst du mit mir Unterwäsche shoppen?", kam es auf einmal von Dawn, wodurch ich stehen blieb. „Ist die Frage ernst gemeint?", hakte ich ungläubig nach. „Ja. Mit Levin kann ich so etwas nicht machen, weil ich ja seine Schwester bin und er mich nicht in Unterwäsche sehen möchte. Bei einem Bikini sieht man zwar genau so viel, aber egal", erklärte die blondhaarige, wobei sie mich bittend anschaute. „Wenn ich kein Hausverbot für meine bloße Existenz erhalte, in Ordnung", stimmte ich zu.

Wie ein kleines Kind hüpfte sie freudig auf und ab, wobei ihre Haare mit wippten. Grinsend zog Dawn mich in den Laden, den ich gar nicht beachtete hatte, rechts von uns hinein. Tatsächlich fragte ich mich, ob sie mich nur mitschleppte, weil ich schwul war. Es war ja ein bekanntes Vorurteil, dass schwule einen guten Modegeschmack hatten. Meiner bestand zum Großenteils aus schwarz mit schwarz kombinieren.

Die Blicke, der Frauen, fühlten sich wie Gift auf meiner Haut an. Schon nach wenigen Sekunden fühlte ich mich Fehl am Platz. Um den Blicken aus dem Weg zu gehen, senkte ich meinen eigenen. Dawn brauchte nicht lange, um zwei Sets, die ihr gefielen, zu finden. Vor den Kabinen setzte ich mich auf einen der bequemen Sessel.

Die Frau, die zwei Sessel weiter saß, schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich wollte gar nicht wissen, was sie über mich dachte. Ihr Blick sagte mir schon genug, so abschätzend wie der war. Als Dawn aus der Kabine kam, hatte sie ein hell grünes Set an. Ich wollte gar nicht urteilen, aber das blieb mir anscheinend nicht erspart.

„Sieht gut aus", sagte ich mit einem Lächeln. „Lüg mich nicht an", forderte die blondhaarigen mich auf. „Das Grün passt nicht zu deinem Hautton, wodurch ich dir etwas dunkleres empfehlen würde", urteilte ich nun ehrlich. „Warte, eine Minute", verschwand sie wieder hinter dem Vorhang.

Mit einem Seufzen legte ich meinen Kopf in den Nacken. Kurzzeitig fragte ich mich, was ich mich mir mit der Zusage, des Unterwäsche kaufen, angetan hatte, aber verdrängte es schnell wieder. Was zählte war, dass Dawn glücklich war. Immer wieder schaute ich auf die Uhr, wobei ich anfing mir Sorgen zu machen, da bereits fünf Minuten vergangen waren. Als ich ein leises Schniefen hörte, lief ich zu der Kabine.

„Was ist los?", fragte ich besorgt nach. „Nichts", log Dawn mich an. „Darf ich reinkommen?", wollte ich wissen.

Nach einem zustimmenden Laut, zog ich den Vorhang ein kleines Stück auf, um hindurch zu schlüpfen. Dawns Wangen waren rot angelaufen und mit Tränen übersehen. Beruhigend streichelte ich ihr über den Rücken, als ich sie in den Arm nahm. In dem Moment war es mir ganz und gar nicht unangenehme, dass sie halbnackt war.

„Jeder hat eine gut aussehende Figur und dann komme ich mit meinen Speckfalten und Dehnungsstreifen", brachte Dawn stockend hervor. „Deine Figur sieht gut aus. Selbst mit zehn Kilo mehr ist sie noch immer schön. Kurven und Dehnungsstreifen sind vollkommen in Ordnung. Du musst keinem Schönheitsideal aus irgendwelchen Zeitschriften entsprechen", sprach ich ihr gut zu, wobei ich jedes einzelne Wort so meinte, wie ich es sagte. „Aber selbst du hast eine gute Figur", löste sie sich von mir und deutete von oben nach unten auf meinen Körper. „Vielleicht, aber ich habe andere Sachen, die mich denken lassen, dass mein Körper nicht schön ist", sagte ich.

Um Dawn zu beweisen, dass es stimmte, überlegte ich, ob ich ihr meine Narben zeigen sollte. Zusätzlich sollte es ihr ein gutes Gefühl verleihen. Mein Vorteil wäre es, dass ich lernen konnte mit den Narben umzugehen. Damit ich nicht länger darüber nachdachte, zog ich mir zügig mein Shirt über den Kopf.

Mein Mut und gutes Gefühl waren vergangen, als ich Dawns geschocktes Gesicht sah. Ihre Augen musterten mich ganz genau, wodurch ich mir bereits mein Shirt wieder anziehen wollte. Zögerlich griff sie nach meinen Händen um mich abzuhalten.

„Du bist trotzdem wunderschön", wisperte Dawn heiser. „Bitte keine Sexuellen Handlungen in der Umkleide", ertönte es auf einmal von einer Verkäuferin. „Keine Sorge, er ist schwul", haute Dawn eiskalt raus, was mich meine Augen verdrehen ließ. „Zieh an, was dir gefällt und präsentier es mir, wenn du möchtest", sagte ich mit einem Lächeln, während ich mir mein Oberteil wieder anzog. „Danke", hörte ich sie noch sagen, bevor ich die Kabine verließ und mich wieder auf den Sessel plumpsen ließ.

Die Verkäuferin schaute mich böse an, aber das interessierte mich nicht das geringste, denn ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht hatte. Als ich auf mein Handy schaute, sah ich eine Nachricht von Levin. Er informierte mich nur kurz, dass wir uns in einer Eisdiele treffen, wenn wir fertig wären.

Lächelnd trat Dawn in dem zweiten Set aus der der Umkleide heraus. Der weinrote BH war mit schwarzer Spitze geziert. Mit meinem Zeigefinger forderte ich sie auf, dass sie sich drehen sollte. An meinem Lächeln erkannte sie wahrscheinlich schon, dass ich nichts daran auszusetzen hatte.

„Es steht dir ausgezeichnet", sagte ich schließlich trotzdem. „Danke. Denkst du, dass es Brandon auch gefallen wird?", fragte sie mich. „Der würde dich in einem Kartoffelsack schön finden, also ja", verglich ich.

Ein leises Lachen entwich ihr, bevor sie wieder in der Umkleide verschwand. Ich fragte mich, warum ich nicht vorher darauf gekommen war, dass sie es wegen Brandon kaufte. Zu ihrem Glück wusste ich, worauf mein bester Freund stand. Manchmal wollte ich gar nicht so viele Details wissen, aber ich bekam sie trotzdem.

Warme SommernächteWhere stories live. Discover now