3/Erinnerung

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Matthias

„Bin ich überhaupt ein Mensch?"

„Hey Mama. Das gilt nicht", motzt Basti.

„Na klar gilt das, Basti", meint Sina. „Woher soll Mama den sonst wissen ob sie eine Person ist oder doch was ganz anderes."

Basti überlegt sichtlich, ehe er verstehend nickt.

„Nein du bist kein Mensch", antwortet er Mama schließlich.

„Ich habe keine Lust mehr auf dieses doofe Spiel", mische ich mich maulend ein.

„Es ist Mamas Geburtstag, Matze. Darum darf sie aussuchen, was sie heute machen möchte", meint Papa, während ich schon dabei bin mir diesen blöden gelben Zettel von der Stirn zu reißen. „Bitte, mein Junge."

„Mickey Mouse", lese ich vor, meinen Vater ignorierend. „Wie langweilig. Wer hat sich das denn ausgedacht?"

Kurz erhasche ich einen Blick in Mamas Gesicht. Bleierne Erschöpfung zeichnet sich darin, aber auch Enttäuschung und Traurigkeit. Besser wäre es, wenn sie sich ausruht. Wem will sie hier etwas vormachen. Basti etwa? Er wird auch der einzige sein, der darauf reinfällt.

„Es ist mein Geburtstag", höre ich Mama sagen. „Ich wünsche mir doch nur, dass wir eine gute Zeit zusammen haben und lachen, bis der Doktor kommt."

„Au ja", meint Basti kichernd und wiederholt ihre Worte ein weiteres Mal. „Lachen, bis der Doktor kommt. Geht das wirklich, Mama?"

Das hilft nicht sonderlich, führt viel mehr dazu, dass mir schon wieder bescheuerte Tränen in die Augen steigen. Warum macht Mama so einen Witz aus ihrer Krankheit?

„Ich habe es noch nicht ausprobiert, mein Süßer", antwortet Mama meinem kleinen Bruder. „Es ist ein Zitat, das ich mal irgendwo aufgeschnappt habe."

„Ach so, Mama."

Papa tätschelt meine Schulter. Wahrscheinlich weiß er einfach nicht, was er sonst machen soll... Die Stimmung ist etwas gekippt, auch Sina wirkt urplötzlich ziemlich bedrückt.

„Okay Kinder, neuer Plan", ruft Mama ziemlich euphorisch, während sie sich ihren gelben Zettel von der Stirn entfernt „Wir spielen Mario Kart. Wie passend, dass ich bei "Wer bin ich?", Toadette war...Immer abwechselnd zwei gegen zwei. Und Basti und Matze dürfen anfangen."

Sie blickt kurz auf den Zettel, ehe sie ihn zerknüllt.

„Au ja", kreischt Basti vergnügt. „Ich will Luigi fahren..."

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Ich schrecke aus dem Schlaf. Mein Herz trommelt in meinem Brustkorb. Zittrig wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Mein T-Shirt klebt an mir und ein unangenehmes Drücken meldet sich in meiner Leistengegend.

Bastis Gekicher, Sinas Grinsen, mein Lachen, Papas Johlen... Ich höre es in meinen Ohren. Der Traum war vielmehr eine... Erinnerung.

Ob das jetzt ewig so weitergeht?

Sicher sitzen Basti, Sina, Marlene und Papa jetzt im Moment auch zusammen und spielen Mario Kart. Eine Tradition, die wir jahrelang aufrechterhalten haben. Zu Mamas Ehren. Genauso wie ihr Wunsch, dass wir zusammen lachen, ja wie früher, auch wenn gerade die Welt zerbricht.

Aber mit früher meinte sie da die Zeit, als wir noch klein waren? Den Sommer, wo Sina und ich miteinander gespielt haben? Tobend und lachend durch den Garten gerannt sind, während Mama auf der Terrasse im Schaukelstuhl saß und ihren dicken Babybauch in die Sonne streckte.

Oder meinte sie mit früher die Erinnerung, die sie uns mit auf den Weg gab, ehe sie starb. Wusste sie, dass wir das Versprechen, das wir ihr gegeben haben, nicht brechen können? Und deshalb jeden folgenden ihrer Geburtstage lachend im Wohnzimmer vor dem Fernseher verbracht haben, wo wir doch so viel lieber geweint hätten? Weil sie uns verlassen hat. Und somit alles zerbrochen ist. Die ganze Hoffnung starb, genauso wie sie. 

Es tut so weh, dass ich heute nicht bei meiner Familie bin. Selbst Frida war in den letzten Jahren immer dabei... Und jetzt?

Jetzt schaffe ich es nicht einmal meine Mundwinkel zu einem winzigen Lächeln zu formen. Sie sacken sofort wieder zurück...

Mittlerweile kann ich meinen eigenen Gestank und das Bedürfnis pinkeln zu müssen nicht mehr aushalten, also schleppe ich mich ins Badezimmer. Der Schlaf war wichtig, aber er war wegen des Traums super unruhig. Irgendwie fühle ich mich jetzt noch mieser, als davor.

Das kalte Wasser, das mir über den Körper rinnt, hilft nicht, um die wirren Gedanken in meinem Kopf endlich zu stoppen. Der Schmerz nagt weiterhin an meinem Herzen. In der Dusche kann man die eigenen Tränen nicht sehen, ja nicht einmal spüren. Sie vermischen sich mit dem Wasser und so sehr man es auch versucht sie sind nicht sichtbar.

Eine willkommene Abwechslung...

Vielleicht sollte ich einfach in der Dusche bleiben. So muss ich die Tränen für einen Moment nicht aushalten. Sie vermischen sich mit dem Wasserstrahl, der mir den Körper hinunterrinnt und laufen einheitlich in den Abfluss hinein. Mittlerweile zittere ich schon am ganzen Körper, gehe in die Hocke und lasse mich dann auf die Fliesen der offenen Dusche sinken. Ich ziehe die Knie an meinen Oberkörper und verschränke die Arme davor.

Oh nein! So einfach mache ich es mir nicht. Wieso soll ich mich in ein Handtuch wickeln und wärmen? Vielleicht schafft die Kälte es ja, dass ich für einen Moment vergesse...

„Wieso auch noch meine Frida?", wispere ich irgendwann erschöpft in die Stille. „Gott?! Reicht es nicht, dass du mir damals meine Mutter genommen hast? Wieso jetzt auch mein Mädchen? Bitte erklär es mir! Bin ich so ein schlechter Mensch? Willst du mich bestrafen? Wieso hast du mir sie dann überhaupt geschickt? Wenn ich sie beide doch sowieso verlieren sollte? Du hättest mich holen sollen. Ich bin das Auto gefahren. Es war mein Fehler, dass der andere Kerl nicht aufgepasst hat. Ich hätte einfach stehen bleiben und die grüne Ampel ignorieren sollen. Frida konnte doch nichts dafür. Gott, sie ist unschuldig... Wieso hast du sie zu dir geholt? Es war doch... mein Fehler."

Stille...

Was gäbe ich dafür Mama noch einmal lachen zu hören.

Oder Frida!


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