9/Wärmste Empfehlung

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Matthias

Jetzt

Der Morgen in der Backstube mit Papa und Basti war irgendwie... heilend. Zwar hätte ich mich nachdem alles fürs Erste soweit fertig gebacken war, am liebsten wieder nach oben in die Wohnung und in mein Bett verkrochen, aber wie versprochen helfe ich beim Verkauf. Es tut mir gut, etwas anderes zu sehen, als nur die hellgrau gestrichene Decke über mir. Zwar bleibt nicht aus, dass viele Kunden mir ihr Beileid aussprechen, aber ich quittiere das mit einem zarten Lächeln. Der Duft der frischgebackenen Brötchen drückte es förmlich aus mir heraus und es tut gut, ein wenig Freude in meinem tiefschwarz gefärbtem Herzen, zu spüren.

„Wir brauchen noch eine Ladung Brezeln", meint Basti, als er gegen Mittag zu mir in die Backstube kommt. Ich bin gerade dabei Kuchen für den Nachmittag zu backen, was ich in meiner Ausbildung auch gelernt habe und anwenden musste. Trotzdem bin ich nie an Fridas Backkünste herangekommen und werde es auch nie schaffen.

Erleichterung durchströmt mich. Es hat mir doch eine immense Kraft gekostet, mich der Aufgabe zu widmen, die mein Mädchen sonst immer übernimmt- oder doch eher übernommen hat. Mit zittrigen Fingern greife ich nach dem Blech, auf den ich den Kuchen schieben möchte. Es ist die Müdigkeit, versuche ich mir einzureden, um jetzt nicht schwach zu werden. Für ein paar Stunden konnte ich endlich mal durchatmen und den Schmerz ein wenig von mir schieben, aber langsam nimmt er wieder Besitz von mir.

„Ich übernehme den Kuchen", sagt Basti schnell. „Könntest du noch ein Blech Brezeln backen? Ansonsten mach ich das. Ist ja um die Zeit eigentlich auch meine Aufgabe, weil du schon längst im Bett liegen und schnarchen solltest."

Er beginnt sich Sorgen zu machen. Dabei will ich nicht, dass das hier endet. Bald bin ich zwölf Stunden auf den Beinen und Papa und er werden mich nach oben schicken. Das will ich aber nicht, daher muss ich von mir alleine kommen, auch wenn sich alles in mir sträubt, wieder alleine mit meinen Gedanken zu sein...

„Ich mache noch eben die Tische sauber und den Rest schaffen Papa und du dann alleine?", frage ich hektisch.

„K...Klar". Ein wenig stottert er und sein Blick liegt siedend heiß auf mir. Das wars dann wohl mit meiner Ablenkung. Länger kann ich die Dämonen, die mit ihren Finger nach mir zerren, nicht mehr standhalten. Es tut weh, wie der Schmerz sich wieder an die Oberfläche drängt. Nicht mehr lange, dann werden die Biester es endlich schaffen mich mit in ihre Dunkelheit zu ziehen.

Ich gehe in die kleine Umkleide an der ein weiteres Zimmer angrenzt, das als Pausenraum dient und in dem ein kleiner Holztisch, drei Stühle und ein Zweier Sofa stehen. Vielleicht sollte ich mich auch einfach hier ein wenig hinlegen. Hektisch ziehe mir die Arbeitsklamotten aus und werfe sie gleich in die Waschmaschine, die in der Ecke neben der Tür steht. Dann trete ich in den Flur und durch eine separate Tür in den Verkaufsraum. Freundlich begrüße ich ein paar Gäste, die an einem der Tische sitzen und wohl gerade Mittagspause machen. So oft habe ich unsere Kundschaft noch nicht zu Gesicht bekommen, weil ich selten bis gar nicht beim Verkauf mithelfe. Mein Blick fällt auf eine Frau mit dunkelblondem Haar, die einsam am anderen Ende des Raumes sitzt und mit einer Hand die Kaffeetasse hebt und daran nippt, während sie mit der anderen einen hellgrauen Kinderwagen sachte vor und zurückschiebt.

Als würde sie merken, dass sie beobachtet wird, hebt sie ihren Kopf und starrt mich an. Nervös sehe ich zu, wie sie aufsteht, drehe mich daher schnell weg und widme mich dem leeren Tisch vor mir. Plötzlich werde ich an der Schulter angetippt und als ich mich umdrehe, blicke ich in grüne Augen, die mich neugierig mustern, ehe sie eine etwas andere Nuance annehmen und irgendwie... mitleidig oder doch traurig wirken.

„Die Mohnschnecke hat wirklich ausgezeichnet geschmeckt", sagt sie. „Mir wurde gesagt, dass Sie diese zubereitet haben. Eine wärmste Empfehlung von dem netten Herrn hinter der Theke. Obwohl mir der Apfelkuchen hier doch immer am besten schmeckt. Wie schade, dass es diesen heute nicht gibt..."

Sie verstummt augenblicklich, als ich mir meine linke Hand vor den Mund schlage, um den Schrei zu unterdrücken, der aus mir herausdringen will. Stattdessen kullern mir verräterische Tränen über die Wangen und wie ein Ertrinkender klammere ich meine freie rechte Hand an das lackierte Holz des Tisches vor mir, um nicht auf den Boden zu gehen.

Ich wusste, dass es nicht viel braucht, bis ich explodiere...

Das Leben hat einen verdammt guten linken Haken.

Dabei bin ich noch nie Fan vom Boxen gewesen!

Aber diese Frau hat mich soeben mit nur einem Satz K.o. geschlagen, wo ich dachte, dass ich für ein paar Stunden alles unter Kontrolle hatte.

Wie sehr ich mich doch geirrt habe.

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⏰ Last updated: May 02 ⏰

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