8/Ablenkung

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Matthias

Jetzt

Ein Summen dringt an meine Ohrmuscheln. Ich versuche es zu ignorieren, bis es mir zu nervig wird und ich mit der rechten Hand auf den Nachttisch taste, dort wo immer mein Handy liegt. Ich sollte mir dringend einen anderen Platz für dieses Teil suchen. Da aber der Wecker seit einer langen Zeit schon nicht mehr geht, haben meine Süße und ich es eingeführt, immer unsere Handys dafür zu nutzen.

Zu blöd, dass es nicht der Wecker ist, der gerade nervt, sondern mein Bruder, der einfach nicht verstehen will, dass ich nicht reden will und bestimmt nicht an das Handy gehen werde. Seit heute Nachmittag geht das schon so und er hat noch immer nicht aufgegeben.

„Ich schlafe verdammte Scheiße", schreie ich, als ich den Anruf endlich entgegen nehme. Vielleicht ist danach wieder Ruhe und wenn nicht, dann werde ich das Handy einfach gegen die Wand schmeißen. Danach werde ich sicher nicht mehr gestört.

„Das ist ja auch gut und es tut mir echt leid, dass ich dich da rausreiße", dröhnt Bastis Stimme aus dem Lautsprecher. „Ich wollte auch nur fragen, ob du nachher in die Backstube gehst und morgen früh die Bäckerei aufmachst. Ich will dich ja echt nicht stressen, aber ich könnte das Geld echt dringend gebrauchen. Ich bin schon ein Monat mit der Miete im Rückstand und Papa will ich nicht schon wieder anbetteln müssen. Du weißt doch, wie er dann sein kann. Er macht sich einfach immer zu viele Sorgen."

„Die Backstube bleibt zu. Es tut mir leid, Basti. Es wäre wohl besser, wenn du dir einen neuen Jobs suchst. Und rede mit Papa."

„Das ist nicht dein Ernst, Matze." Er stöhnt kurz auf, dann ist es still.

„Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll", murmele ich. „Ich kann kaum hier oben sein, ohne durchzudrehen, wie soll ich dann runter und Brötchen backen, als wäre alles in bester Ordnung."

„Ich könnte ja beim backen helfen", schlägt er vor. „Dann bist du nicht ganz alleine in der Nacht und am Morgen könnten wir sogar zusammen hinter der Verkaufstheke stehen. Wie klingt das? Ich brauche die Kohle wirklich dringend, sonst lande ich bald wieder auf der Straße."

„Was machst du nur immer mit deinem Geld?", seufze ich. „So schlecht zahlt dein großer Bruder ja wirklich nicht, oder?"

„Ist das ein Ja?"

„Vielleicht tut es mir tatsächlich gut, wenn ich mal hier raus komme und wieder backe. Normalerweise bekomme ich damit immer meinen Kopf frei. Wir treffen uns und heute Nacht um halb zwei und verschlaf ja nicht."

„Du bist der beste große Bruder der Welt", schreit Basti aufgeregt ins Handy.

„Ich hab dich auch lieb."

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Tatsächlich stehe ich drei Stunden später in der Backstube. Es fühlt sich seltsam an, hier zu sein. Nichts hat sich verändert. Die Maschinen stehen noch so da, wie ich sie vor etwa einer Woche das letzte Mal verlassen habe. Am Abend vor dem Unfall haben Frida und ich noch alles sauber gemacht, bevor wir in das lange Wochenende aufgebrochen sind. Ein Vorteil, wenn man sich selbständig macht. Urlaub geht genau dann, wenn man es möchte. Einziger Nachtteil ist dann nur, dass man in dieser Zeit kein Geld verdient. Aber die Bäckerei ist seit dem ersten Tag gut besucht und schlecht geht es meinem Mädchen und mir wirklich nicht.

Es ist noch immer wie ein Schlag in den Magen, daran zu denken, dass Frida nie wieder durch diese Türe kommen wird. Eigentlich sollte sie genau das jetzt tun. Mit einem Strahlen auf den Lippen ihre Schürze und den Haarschutz anziehen und dann in den Kühlraum gehen, wo sie ihre Zutaten zusammensammelt, ehe sie mit dem Backen beginnt. Stattdessen bin es nur ich, der verloren in seinen Arbeitsklamotten in der Backstube steht und fieberhaft überlegt, welche Zutaten ich für den Brezelteig zusammenmischen muss.

Eigentlich habe ich die Rezepte alle im Kopf, aber darin existiert gerade nur Frida.

Gut, dass es Backbücher gibt!

„Danke Matze, dass du das für mich machst", meint Basti, als er gegen vier Uhr müde und mit verquollenen Augen vor mir steht. „Ich habe voll verpennt, kein Plan wie du das immer schaffst mitten in der Nacht auf der Matte zu stehen und dann auch noch gut gelaunt."

„Gut gelaunt bin ich nicht wirklich", murmele ich. „Aber Ablenkung tut wirklich gut. Es ist nur so, dass Frida überall ist. Ich stehe wie auf Sprengstoff, nur damit du Bescheid weißt, falls irgendwann alles hier drin explodiert."

„Dann muss ich einfach dafür sorgen, dass das Zeug entschärft wird", meint Basti und nimmt mir das erste Blech mit geformten Brezeln aus der Hand und schiebt es in den Ofen. „Wann willst du aufmachen?"

„Halb sechs."

„Vielleicht sollten wir Papa anrufen", schlägt mein Bruder vor. „Ich glaube nicht, dass wir bis dahin alles fertig bekommen. Vor allem nicht, wenn du weiter in diesem Schneckentempo arbeitest."

Ich weiß genau, was das hier ist. Eine Ablenkung meiner Familie und auch wenn ich sauer auf sie alle sein will und mich doch nur am liebsten zurück in mein Bett verkriechen möchte, kann ich es nicht.

Es tut nämlich unfassbar gut!

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