Kapitel 2 - Zuhause

804 166 29
                                    

Louis erinnerte die Zeit zwischen "nicht nach Hause kommen" und der Beerdigung nicht wirklich. Es war, als habe man ihn auf Autopilot gestellt. Er tat Dinge, von denen Leute sagten, dass er sie tun sollte. Er funktionierte. Nahm sich selbst gar nicht mal so wirklich wahr. Überlegte, warum er eigentlich nicht trauerte. Alle redeten davon. Aber Louis empfand zunächst keine. Dar war nur eine alles schluckende Leere. Schlaf war ein schwieriges Thema. Wenn man von dem Alptraum, der das Leben war in einem Alptraum im Schlaf geschleudert wurde, war das nur bedingt eine Abwechslung.

Sie redeten alle davon, dass sie die schönen Erinnerungen im Herzen bewahren würden und er ja immer bei ihnen wäre.
Nur wie konnte das reichen? Wie könnte das jemals reichen?
Sie redeten von los lassen. Aber wie könnte Louis jemanden loslassen, der doch sein Herz hielt. Schonmal ohne Herz gelebt? Er nicht.
Vielleicht war das auch alles einfach zu frisch und er würde Verständnis entwickeln, aber im Moment waren ihm die am Liebsten, die offen sagten, dass sie keine Ahnung hatten, was sie sagen sollten. Denn ehrlich: die hatte er auch nicht.

Nie hatte Louis so viel Kontakt zu Harrys Eltern gehabt, wie in diesen Tagen. Alles sollte abgestimmt werden. Sie hatten sich immer gut verstanden. Aber dennoch.
Louis' Familie hatte auch öfter angerufen. Aber seine Geschwister mussten zur Schule. Sie konnten letztlich nur zur Beerdigung kommen.
Louis hatte nichts abstimmen wollen. Er hatte Harry schlicht nicht beerdigen wollen. Also wollte er sich auch nicht mit Särgen oder Grabbepflanzungen und -steinen befassen.
Nun konnte er Harrys Leichnam aber auch schlecht einfach ins Bett legen und fertig. Es war eine Hülle. Nichts weiter mehr. Das, was Louis geliebt hatte... Zu dem war der Körper allein nicht in der Lage. Obwohl er doch, nachdem er entsprechend zurecht gemacht worden war, beinahe so aussah, als würde er nur schlafen. Aber er schlief nicht. Er war gegangen. Für immer. Hatte nur seine Hülle da gelassen. Und Louis...

In Liams Gästezimmer fühlte sich Louis wie in einem Wartezimmer. Nicht wegen der Einrichtung oder so. Das Zimmer war hübsch. Aber... Er konnte nicht ewig hier bleiben. Es wartete ihr- seine Wohnung auf ihn. Die, die er nun allein mietete. Es kam noch immer Post an Harry. Obwohl er nicht mehr dort wohnte.

Eine Woche hockte er bei Liam. Der hatte sich die ganze Zeit Urlaub genommen. Blieb bei ihm und Louis wusste, dass er ihm das hoch anrechnen sollte. Aber... Aber er würde nicht immer da sein können. So ging er schließlich zurück nach Hause. Mit dem Wissen, dass Liam jederzeit zu ihm kommen würde oder er bei diesem aufschlagen könnte.

Er schloss die Tür auf und schaltete das Licht im Flur an. Es hingen ihrer beiden Jacken an der Garderobe. Harrys Laufschuhe standen in der Ecke.

"Räum die doch bitte endlich weg.", bat Louis, der schon drei Mal darüber gestolpert war.
"Mache ich gleich. Guck Mal. Ich hab Wackelaugen auf den Staubsauger geklebt. Süß oder? Jetzt sieht er aus wie ein komischer Käfer."

Louis seufzte und ging an den Laufschuhen vorbei. Ohne zu stolpern. Er warf seinen Schlüssel nebenbei in das kleine Schälchen auf der Kommode.

Er wanderte durch die Räume. Harrys Eltern hatten wenige Sachen mitgenommen. Als Erinnerungsstücke. Alles andere war hier. Harry bräuchte nur durch die Tür kommen und sie könnten einfach weiter machen. Aber..  die Tür blieb geschlossen.

Louis trat unter die Dusche. Ihrer beider Duschgel stand da. Louis nutzte seins. Harrys ließ er einfach stehen.

Schließlich saß er in Jogginghose und einem ihrer gemeinsamen Sweatshirts auf dem Sofa. Machte sich klein und betrachtete seine Finger. Er hatte kurz den Fernseher eingeschaltet. Aber der störte in dieser Stille. Im Kühlschrank stand die angefangene Tube Senf. Louis hasste Senf. Harry dippte da Gurken rein und aß das dann. Also..  das hatte der immer gemacht...

Louis räumte die ganzen Beileidskarten ungeöffnet in einen Schuhkarton und packte ihn in den Schrank im Flur. Er wollte sie nicht.
Er trat hinaus auf den kleinen Balkon und atmete tief durch. Es sollte angeblich helfen, wenn man mit dem Menschen sprach, den man verloren hatte. Louis hatte Harry nicht verloren. Niemals hätte der ihm verloren gehen können. Harry war ihm weggenommen worden. Entrissen.
Aber... Sich auf den Balkon zu stellen und in den Himmel zu quatschen... Nachher würden die Nachbarn einen Arzt rufen oder so. Das wollte Louis lieber nicht so gern. Außerdem... Harry saß ja nicht auf einer Wolke. Früher hatte Louis das gedacht. Als seine Oma gestorben war. Dass die Toten wirklich auf Wolken saßen. Das Gewitter Partys waren, weil da viele Wolken und damit noch mehr Tote zusammen kamen. Viel Donner gleich Stepptanz. Er hatte ihnen ihre Partys gegönnt. Hatte nie Angst vor Gewittern gehabt. Dass auf kleinen Wattewolken Tote waren, die mal ein bisschen Zeit allein genießen wollten. Er hatte sich immer gefragt, wie das war, wenn man mit einem Flugzeug flog. Ob man die dann sehen könnte. Ob man auf einer bestimmten Höhe nicht fliegen durfte, damit man die nicht von den Wolken kickte.

Dann war er geflogen. Das erste Mal. Mit Harry. Und er hatte am Fenster gesessen und die Wolken von oben gesehen. Es hatte hübsch ausgesehen. Aber da war eben niemand gewesen. Harry war nichts da oben. Nicht wirklich. Louis wusste nicht, wo er war. Er wüsste es erst, wenn er ihn Wiedersehen würde, nachdem dann er die Augen für immer schließen würde.

Er schloss die Balkontür ganz schnell. Wollte die Luft in der Wohnung dort drin behalten. Noch roch es nach ihnen beiden. Wie lange noch? Wann würde sein Geruch Harrys überschreiben? Wie lange würde er sich an Harrys Geruch erinnern können? Wie lange seine Stimme im Ohr haben? Wie lange würde er sich daran erinnern, wie es sich anfühlte, von ihm umarmt und gehalten zu werden? Wann würden all diese Gedanken verwischen und Harry damit zu einer Erinnerung werden?

Louis trat wieder in die Wohnung, schloss die Tür und ließ sich aufs Sofa fallen. Er wollte nicht schlafen und nicht wachen. Er wollte den Zustand genau dazwischen.

Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanDonde viven las historias. Descúbrelo ahora