Kapitel 8 - Nicht schlimm...

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Fiel es eigentlich unter Nekrophilie, wenn jemand offiziell tot war, aber sich nicht so benahm und man auf diesen stand? Hatte Louis nun eine Vorliebe für totes Material? Weil Harry war ja tot, aber der stand ja hier vor ihm. Und Louis sah keine offenen Stellen oder irgendwie sowas. Generell keine Anzeichen einer fortgeschrittenen Verwesung. Man konnte definitiv festhalten, dass Harry sich im Tod sehr gut hielt. Louis würde sogar dafür wetten, dass er muskulöser und schlanker war als zu Lebzeiten. Aber dennoch konnte man ihn schwerlich als gesund bezeichnen. Oder? Er war ziemlich blass um die Nase. Aber eine vornehme Blässe konnte schwerlich der einzige Indikator eines Gesundheitszustandes  sein. Louis brauchte also dringend weitere Parameter, um festzustellen, was mit Harry war.

Er wusste nicht so genau, wie sein Gegenüber das werten würde, aber er trat langsam auf diesen zu und stand schließlich genau vor Harry, der seinen Kopf schief gelegt hatte. Es ging eine undefinierbare Kälte von diesem aus. Wie wenn man einer großen Gefahr direkt ins Auge blickte. Louis spürte in sich den Drang zu flüchten, aber kämpfte ihn nieder.

"Was hast du vor?", fragte Harry schneidend.
"Ich will mich davon überzeugen, dass du echt bist.", erklärte Louis und seine Stimme zitterte leicht. Er wusste selbst nicht, was er sich erhoffte. Was das Beste und was das Schlimmste Szenario wäre. Er wusste nur, dass er mit diesen diffusen Ahnungen nicht weiter machen konnte. Sie fraßen ihn gefühlt von innen auf.

"Fass mich nicht an!", knurrte Harry ernergisch und Louis konnte nichts gegen die aufkeimende Angst tun. Aber Mutige ließen sich von der Angst eben nicht aufhalten und Louis zählte sich, zumindest in diesem Moment, dazu und legte seine Hand um Harrys Handgelenk.

Okay. Kalt war Harry. Es fühlte sich unnatürlich an, einen Körper zu berühren, der nicht warm war. Noch nie hatte Louis das bei Menschen als positive Eigenschaft wahrgenommen, dass sie in der Lage waren eine Körpertemperatur von 36 bis 37 Grad konstant zu halten. Bisher hatte er das neben der Atmung zu den minimalisten Bedingungen menschlichen Seins gezählt. Womit wir beim nächsten Problem wären: Louis fühlte keinen Puls bei Harry, der ihn wütend anstarrte. Ein wenig wie paralysiert. Als bewege er sich lieber gar nicht als falsch. Er war gespannt wie eine Bogenfeder.

"Ich. Sagte:. Du. Sollst. Mich. Nicht. Anfassen.", zischte Harry und betonte jedes Wort einzeln.
"Dein feuriges Temperament bildet einen erfrischenden Kontrast zu deiner Körpertemperatur.", erwiderte Louis und es gelang ihm leider nicht sonderlich gut, die Panik und Aufregung aus seiner Stimme heraus zu halten. Was war das hier? Was machten sie hier? Sie waren beiden äußerst verkuschelte Menschen gewesen. Also Louis war es noch immer. Sie hatten viel zusammen gekuschelt. Selbst in der Öffentlichkeit hatte Harry nie irgendwelche Scheu gehabt. Klar, er startete keine wilde Knutschsessions im Supermarkt vorm Quarkregal. Aber es waren eben immer die kleinen Gesten gewesen. Hände, die sich wie zufällig streiften, eine Hand am Rücken, eine Hand, die einen Fussel, manchmal bestimmt einen imaginären, aus seinen Haaren entfernte. Harry hatte jede Umarmung und jeden Körperkontakt genossen.
Und jetzt?

"Du glaubst gar nicht, was du hier gerade machst...", knurrte er bedrohlich.
"Ich halte dein Handgelenk. Ich spüre keinen Puls. Aber das hatte ich noch nie so wirklich drauf, also kann ich dadurch kaum eine Aussage über deinen Zustand tref-", begann Louis. Wenn er nervös war neigte er dazu, zu viel zu reden. Das wusste er und das wusste natürlich auch Harry.

"ICH HABE KEINEN PULS. ICH ATME NICHT. ICH BIN KALT! ICH BIN TOT!", wurde er schreiend von Harry unterbrochen. Wutverzerrt starrte der Louis an.
Louis zuckte zurück. Aber ganz ehrlich: er war auch sauer.

"Dann solltest du dich vielleicht auch wie eine Leiche benehmen! Es tut mir sehr leid, aber die Tatsache, dass du mir entgegen schreien kannst, dass du tot bist, wirft für mich dann doch die eine oder andere Frage auf!", schnauzte er zurück.

Und dann war Harry weg. Dachte Louis.
Er spürte nur einen Lufthauch, bevor es ihn von den Füßen riss und er gegen den Küchentisch gestoßen wurde. Sein heißer Tee floss auf den Boden. Der Geruch nach türkischem Apfel lag in der Luft. Louis hatte das Gefühl, sofort zu spüren, wie er einen ordentlichen Blauen Fleck bekam.

Im nächsten Moment wurde er aber bereits an den Haaren wieder nach hinten gerissen. Schmerzerfüllt zischte er auf.

"Reiz mich nicht. Nur eine falsche Fingerbewegung und du stehst nicht mehr auf...", grollte Harry in sein Ohr.
"So lange du weißt, dass es falsch wäre...", haspelte Louis viel zu hektisch. Viel lauter als ein Flüstern war seine erstickte Stimme nicht.
"Du solltest mich nicht testen...", hauchte Harry und Louis spürte den kalten Atem auf seiner Haut. Unweigerlich zog sich alles in ihm zusammen. Ein Atem sollte nicht kalt sein. Haut sollte nicht kalt sein.  Ein Puls sollte vorhanden sein. Harry hatte nichts von alldem. Formal ausgedrückt könnte man also festhalten, dass er nicht die Kriterien erfüllte, um als lebendig zu zählen.

"Du hast Angst. Das ist gut.", grinste Harry. Es war ein fieses Grinsen. Belustigt. Auf eine ironische Weise.

"Ich habe Angst, du könntest bereuen was du tust. Und dass es dir dann schlecht geht...", murmelte Louis. Er hatte das Gefühl, Harry sei ein Raubtier. Die Bewegungen, der Blick, die Aura die ihn umgab. Alles wirkte bedrohlich und gefährlich.
Aber gleichzeitig war das da eben Harry. Louis hatte sich so sehr gewünscht, er würde zu ihm zurück kommen. Wie könnte er jetzt Ansprüche stellen?
"Ich bin gestorben Louis. Ich bereue gar nichts...", knurrte Harry und stieß Louis' Kopf so fest nach vorn, dass der unsanft auf dem Fliesenboden aufkam.

Sofort erfasste ihn ein Kopfschmerz und er erbrach sich auf den Küchenboden. Röchelnd lag er da.

"Scheiße!", fluchte Harry und starrte Louis an.
War nun allerdings so weit wie möglich von diesem entfernt.

"Ist schon okay...", wimmerte der und befühlte seine Stirn. Offen war sie nicht. Aber eine ordentliche Beule würde das definitiv geben. Also legte er die Stirn gegen die kühlen Fliesen und achtete dabei darauf, nicht in seinem Erbrochen zu landen.

"Ich bin gefährlich, Louis. Ich komme hier her, weil ich nicht ertrage es nicht zu tun. Jedesmal stirbt vorher ein Mensch und ich versuche mich zu beherrschen. Aber siehst du es? Ich kann es nicht..."

Nicht so wirklich jedenfalls...
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanWhere stories live. Discover now