Kapitel 6 - Sehnsüchte

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Louis konnte so vieles auf dieser Welt tun. Nur Harry festhalten. Das konnte er nicht. Vom einem Moment auf den anderen war der wieder verschwunden. Aber .. er war da gewesen. Und Louis wachte nicht auf. Was nur einen Schluss zu ließ: Er war wach gewesen. Und wurde nun doch einfach wahnsinnig. Er dachte darüber nach, mit einem Arzt zu sprechen. Vielleicht reichten die Gedanken, dass die Toten bei einem waren und einen von oben bewachten seinem Herzen einfach nicht aus? Alle hatten gesagt, dass er sich schon daran gewöhnen wurde. Aber das stimmte gar nicht. Er gewöhnte sich nicht daran. Man konnte sich nicht an das Fehlen eines geliebten Menschens gewöhnen. Man lernte eben zu überleben. Aber das war etwas anderes.

Vielleicht gehörten diese starken Wahnvorstellungen dazu? Zu seinem Überleben? Aber Harry hatte so realistisch ausgesehen und hatte gesprochen.
Und selbst jetzt, wo er gegangen war, roch es noch nach ihm.

Louis stellte sämtliche Aktivitäten ein, die ihn in eine Situation hätten bringen können, dass er eine Nacht außer Haus verbrachte. Er wollte Harry nicht verpassen. Wollte noch einmal so tief in diese Illusionen abtauchen können und für einen Moment das Gefühl haben, ihn zu fassen zu kriegen zu können, wenn er nur die Hand ausstreckte.

Er erzählte niemandem davon. Wollte nicht, dass Medikamente ihn davon anhielten Harry zu sehen und fragte sich gleichzeitig auf wie viele Arten er wohl in welcher Intensität krank war. Aber war krank nicht ein Leiden? Er litt weniger unter den Illusionen, als unter der Abwesenheit, wenn er sie nicht hatte. Jemanden so sehr zu vermissen...

-

"Brauchst du noch was?", fragte Liam und trat auf Louis zu, der in seiner Einkaufszettel-App Sachen kleine Häkchen gab.

"Ja. Deo.", stellte Louis nach einem Moment fest und Liam, ebenfalls einen Einkaufswagen schiebend, begleitete ihn.

Liam seufzte ganz leise, als er sah, dass Louis wieder zwei Dosen kaufte. Seine Sorte und Harrys Sorte. Er wollte seinem besten Freund so gern helfen. Aber er hatte keine Ahnung wie. Sämtliche "das wird schon wieder" halfen doch nicht. Er hatte kein Problem damit, mit Louis zu schweigen. Konnte diese Stille zwischen ihnen ertragen. Aber er hatte nicht den Eindruck, dass irgendwas half. Sein Freund litt und er saß daneben. Er machte sich so große Sorgen um ihn. Er hatte Angst gehabt, Louis könnte Harry folgen wollen und selbst wenn Louis sagte, dass er das nicht tun würde, so war da trotzdem diese Angst. Auch davor, dass Louis innerlich sterben würde. Noch anwesend. Aber eben innerlich kalt. Nicht mehr erreichbar. Ein Teil von Liam liebte Louis. Weit über eine Freundschaft hinaus. Und er konnte sich schon seit Jahren nicht mehr einreden, es wäre eine Art von brüderlicher Liebe. Harry hatte es gewusst. Von Anfang an. Schon als Louis sie beide einander vorgestellt hatte, hatte Harrys Blick Liam gezeigt, dass er ihn durchschaut hatte.
So oft hatte er sich gefragt, was gewesen wäre, wenn Louis Harry nicht kennengelernt hätte.

Er bedauerte Harrys Tod dennoch. Aufrichtig. Harry war keines natürlichen Todes gestorben und lange vor seiner Zeit. Und... Wie könnte er auch nur einen Hauch Freude empfinden, wenn er doch sah, wie sehr Louis litt?
Er hatte versucht, ihm näher zu kommen. Bei den Partys. Aber Louis verstand Liams Gefühle nicht. Hatte er nie. Für ihn war das alles nur eine Freundschaft. Er hatte auch nicht verstanden, dass Liam bisexuell war. Sonst hatte Louis was sowas anging eine feine Antenne. Aber nicht bei ihm.

"Wollen wir heute Abend ins Kino gehen?", fragte er Louis, der wieder in seiner App guckte, was noch fehlte. Es gab Menschen die gingen ohne Einkaufszettel und mit Hunger strukturierter einkaufen, als Louis mit einer Liste.

"Klar. Können wir machen.", kam es zurück.
Er sollte es Louis vielleicht sagen. Er könnte Harry vielleicht nicht ersetzen. Aber... Liam würde sich mit einem winzigen kleinen Platz in Louis' Herz zufrieden geben.

Vielleicht sollte er es ihm wirklich langsam sagen....

-

Es vergingen wieder einige Nächte allein. Aber dann war er wieder da. Und Louis schlug die Augen auf und lächelte ihn an.

"Endlich", flüsterte Louis sanft.
Wieder wurde Harrys Blick von leer zu erschrocken, als der sein Gesicht fixierte.

Statt wie beim letzten Mal nach ihm zu greifen, entschied sich Louis, es einfach so lang zu genießen, wie es dieses Mal gehen würde.
Er kuschelte sich ein wenig zurecht und sah ihn an.

"Wieso hast du keine Angst?", fragte Harry argwöhnisch.
"Wieso sollte ich? Du bist eine Projektion meines Hirns. Ich vermisse dich so sehr, dass mein krankes Hirn dich mir schickt. Ich bin dankbar. Nicht ängstlich. Hab viel drüber nachgedacht."

Okay. Die Reflektion konnte auch ziemlich dumm aus der Wäsche gucken. Das hätte Louis jetzt nicht gedacht.

"Ahja... Nur eine Reflektion...", murmelte Harry und sah nun beinahe amüsiert aus.

"Kannst du nicht jede Nacht her kommen? Diese unregelmäßigen Zeitfenster...", murmelte Louis und überlegte, inwiefern er wohl Ansprüche stellen konnte.

"Du solltest schreien, wenn du mich siehst. Du solltest Angst haben. Du solltest jede Nacht drei Mal kontrollieren, ob du alles sicher abgeschlossen hast. Du lässt das Fenster extra offen.", stellte Harry fest.
"Ja... Ich muss mir noch was für den Winter überleg-"
"Ich bin gefährlich für dich, Louis. Allein meine Anwesenheit hier ist... Unendlich gefährlich."
Louis zuckte mit den Achseln und flüsterte: "Nichts, was du sagst, könnte mir Angst machen. Nichts könnte mich verschrecken, oder mich dazu bringen, mich behandeln zu lassen, damit ich dich nicht mehr sehe."
"Louis... Ich bin keine Reflektion... Ich bin echt.", sprach Harry und sah ihm starr in die Augen.

"Wie sehr ich mir das doch wünschen würde...", flüsterte Louis und setzte sich nun auch etwas auf.

"Ich sollte nicht hier sein.", murmelte Harry mehr zu sich, als zu Louis und sah aus, als wolle er aufstehen.

"Oh, es gibt keinen Platz auf der Welt, wo du besser hinpasst, als bei mir.", lächelte Louis voller Überzeugung.
"Ich hoffe so sehr, dass du damit falsch liegst, mein Herz...", flüsterte Harry und eine Träne suchte sich ihren Weg über seine Wange nur um dann im Laken zu landen. Louis betrachtete den kleinen Fleck und als er wieder Harry fixieren wollte, war er weg.

Bis dann
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanWhere stories live. Discover now