∞ 19 What he really wants

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Wir sassen im Café an der Strassenecke.
Ein kleines Eckchen an der Kreuzung. Schmutzig und mit einigen vergilbten Schirmen und Klappstühlen vor dem Lokal.
Innen sah es auch nicht viel besser aus. Es war ganz einfach und schlicht eingerichtet.
Die Theke bot nichts ausser einigen wässrigen Milchshakes und die Sitze der Bänke waren abgenutzt und nicht mehr sonderlich weich. Aber damit kam ich klar. Es genügte.
Ungefähr fünf unserer Leute sassen ebenfalls hier. Allerdings etwas weiter weg von uns an anderen Tischen. Sie würden uns im Notfall beschützen, hatte mir Jake versichert. Denn  sicher war es hier ganz und gar nicht. Aber auch sonst fand man in den Bronx nicht wirklich viele sichere Flecken.
Zudem standen wir bisher auch nicht auf der Prioritätenliste der Polizei. Die gefährlichste Gang aus der Sicht der Bullen waren noch immer die Survivors. Das kam ins indirekt zugute.
Die gelben vergilbten Schirme wehten im warmen Wind und die Leute die eilig durch die Strassen marschierten, waren alle schweissüberströmt.
Ich selbst trug auch nur ein bauchfreies Top und kurze Jeans. Hätte ich nicht das kühle Getränk in meiner Hand, wäre ich bestimmt auf dem schmutzigen Stuhl zerflossen.
Ich blickte aua dem Fenster, auf der Strasse häuften sich die heruntergekommenen Taxis und lautes Hupen verfolgte den Verkehr.
Farblos lagen die kleinen Häuser in den inneren Kreisen der Bronx und ich fuhr mit einem Finger die beschlagene Scheine entlang.
Warm und nass.
Neben mir sass Jake und vor mir Aiden.
Ab heute sollte ich für eine Woche bei Aiden wohnen, was mir eigentlich hätte Sorgen bereiten müssen. Vor allem weil im Bus auf der Rückreise von Long Island das letzte Mal gewesen war, als ich mit ihm gesprochen hatte. Und wir waren nicht im Guten auseinander gegangen.
Doch momentan hatten wir grössere Sorgen. Wir hatten uns nämlich hier getroffen, weil Aiden angeblich eine Idee hatte, wie wir Markus aus der Polizeistation retten konnten.
Ich wandte den Blick von der Aussenwelt ab und starrte auf den Tisch.
Staubig, dafür dass es hier eines der beliebtesten Cafés war. Aber die Standards waren ja auch nicht sonderlich hoch gesetzt.
Ich nippte ich an meine kalten Getränk und genoss es, wie es meinen Hals hinunter lief und mich innerlich abkühlte.
Heute Morgen hatte Jake beschlossen beschlossen, ein öffentliches Treffen zu wagen. Nicht zuletzt, um den anderen Mitgliedern zu zeigen, dass wir uns nicht vor den Survivor fürchteten.
Es war neben der Macht Demonstration auch schön, wieder raus zu kommen. Denn zuerst hatte ich keinen Fuss raus setzte wollen. Den gesamten Sonntag hatte ich in meinem Zimmer verbracht und mich selbst gehasst.
Ich hatte aber akzeptieren müssen dass ich mich nicht verstecken konnte.
Ich war der Anker und ich war Schuld dass Markus gefangen war. Das musste ich jetzt eben wieder gut machen. Ich wollte ihn da wieder raus holen. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.
Ich konnte nicht einen Krieg mit dem General beginnen und dann einen Rückzieher machen.
Vielleicht kannte ich erst die Spitze des Eisbergs, aber ich wollte tiefer tauchen und das Ganze sehen.
Ich wollte dazu gehören in diese Familie und diese Stadt in ihren anderen Formen kenne lernen.
"Und du bist dir sicher, dass das klappt?"
Erst jetzt nahm ich wieder die Gespräche wahr, die die beiden jungen Männer neben mir führten. Sie diskutierten schon die ganze Zeit über Aidens Vorhaben. Und Jake war ganz und gar nicht begeistert von seinem Vorschlag gewesen.
Ich richtete den Blick auf Aiden. Er sah mich nicht an, hatte meinen Bruder fixiert. Er trug ein schwarzes Shirt, die Ärmel waren abgerissen und einige Fäden hingen an seinen Oberarmen hinab. Stark und gebräunt. Ach du scheisse, wie konnte er so locker da sitzen und trotzdem aussehen wie ein verdammter Gott.
„Ich denke schon."
Der Junge mit den blitzenden grünen Augen zuckte die Schultern. „Wenn wir ihnen das geben, was sie wollen, werden sie unachtsam."
Jake mahlte mit dem Kiefer und zerbrach das Schirmchen, das er zuvor aus seinem Milchshake gefischt hatte.
"Nochmals im Klartext. Du schlägst ernsthaft vor, dass Jessy sich absichtlich von den Bullen schnappen lässt?"
Jake knirschte mit den Zähnen.
„Jep."
Aiden wirkte nicht sonderlich beeindruckt. Jake hingegen wirkte äusserst angepisst. Wir waren zwar jetzt offiziell eine Gang, doch viele der Gemüter waren noch immer gespalten.
„Sie befreit Markus, während wir die Bullen ablenken. Wenn wir genug Freiwillige sind, werden sie alle Hände voll zu tun haben mit uns."
Einer unserer Jungs spielte mit dem Henkel der Kaffetasse, während sich ein anderer unter seinem Hut am Kopf kratze und sich auf dem roten knalligen hohen Stuhl zurecht rückte. Alles in allem war heute ein entspannter Tag.
"Du spinnst doch, Parker. Weisst du eigentlich wie riskant das ist? Du gefährdest Jessys Leben!"
Aiden wirkte auf einmal sehr angespannt.
„Das gefällt mir auch nicht. Aber Garrison ist nunmal scharf auf eine Revanche an ihr, seit sie ihn angeschossen hat."
Jake schüttelte nur schnaubend den Kopf. Ich legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm.
Die Situation wirkte zum zerreissen angespannt. Und ich musste sie wohl wider entschärfen.
Was auch immer das Geheimnis war, dass die beiden Männer hüteten, es musste eine tiefe Schlucht zwischen ihnen geschlagen haben, worin das tosende graue Wasser noch immer die Erinnerungen daran durch trug und sie einander nicht verzeihen liess.
„Ich weiss nicht, Jessy. Vielleicht sollten wir das ganze Abblasen und uns was neues ausdenken. Und bis dahin bleibst du bei mir."
Aiden verschränkte die Arme.
„Es war Teil des Deals, Black, dass sie bei uns wohnt. Leonie hat schon alles vorbereitet. Ich will sie nicht enttäuschen."
Erwiderte Aiden scharf.
Und ich hatte mich heute extra rasiert, doch ich redete mir ein, dass es nicht für Aiden war, sondern dass ich es einfach wieder nötig gehabt hätte.
Vor allem wenn ich kurze Hosen trug.
Meinen Koffer hatte ich zwischen meine Füsse geklemmt. Es war alles bereit für den Einzug. Nur Jake nicht.
„Ist mir scheiss egal..."
Setzte Jake an und machte Anstalten, sich zu erheben.
Ich zog ihn zurück auf den Stuhl.
„Jetzt ist gut Jake. Beruhige dich."
Meinte ich möglichst gelassen. Jemand musste hier ja den kühlen Kopf bewahren.
„Ich finde, als Anker sollte ich meiner Pflicht nachkommen und mich nicht drücken. Ausserdem freue ich mich auf Leonie. Sie ist meine beste Freundin und ich hab sie doch so lange nicht mehr gesehen."
Jake zuckte die Schultern, wirkte aber nicht überzeugt.
„Wenn du meinst. Aber mir gefällt es nicht."
Ich lächelte ihn an.
„Aber das war doch überhaupt alles deine Idee."
Das wollte er nicht hören.
„Na gut. Dann schläfst du halt bei ihnen aber das mit  Parkers krankem Plan kannst du vergessen. Das lasse ich nicht zu."
Aidens Blick schweifte zu mir, unsere Blicke trafen sich. Er legte den Kopf schief.
Ich schluckte.
Hatte Jake vielleicht Recht?
Wollte ich wirklich ohne jegliche Erfahrung in ein Polizei-Revier spazieren und ein gefährliches Rettungsmanöver starten?
Ich hatte vielleicht einige illegale Dinge angestellt seit den bald zwei Monaten, die ich hier war, aber das war alles nur passiert, weil ich keine Wahl gehabt hatte. Und es war nie geplant gewesen. Und nie war es darum gegangen, Jemanden zu retten, dem ich die Freiheit schuldete.
Aber jetzt ging es darum.
Und es war richtig, Markus da raus zu holen.
Egal welchen Zweifel ich an mir oder an dieser Lebensweise haben mochte, ich musste ihn rausholen. Und dafür musste ich eben ein Risiko eingehen. Würde ich es nicht tun, würde ich Markus im Stich lassen.
"Ich möchte es aber machen."
Entschlossen blickte ich auf. Jake und Aiden wirkten ehrlich überrascht.
„Ich schulde es ihm."
Ergänzte ich hastig.
Jake stöhnte und fasste sich mit seinen Händen an die Schläfen.
„Das ist ein scheiss Plan."
„Hast du eine bessere Idee?"
Kam es prompt von Aiden zurück. Die beiden blitzten sich gegenseitig herausfordernd an. Doch es kam keine bessere Idee. Wie erwartet.
"Also wenn das die einzige Möglichkeit ist, dann bin ich dabei. Ende der Diskussion."
Ich konnte Aidens Reaktion darauf nicht deuten. Er liess sich bloss in den Stuhl zurücksinken.
Seine Smaragd grünen Augen wurden von seinen langen Wimpern verdeckt, die beinahe die Wangenknochen berührten.
Sein zerzaustes Haar hing ihm in die Stirn.
"Wenn ihr irgendetwas passiert Parker, dann schwöre ich dir..."
Murmelte Jake und Aidens Oberarme spannten sich an.
„Ich lasse nicht zu, dass ihr was passiert."
Meinte er knapp. Doch diese kühlen Worte brachten mein Herz zum Flattern und färbten meine Wangen ganz rosig.
Jake sagte nichts dazu. Dann war es still.
Ich beobachtete meinen Bruder von der Seite. Wieder fiel mir auf, wie sehr ich jede Sekunde mit ihm genoss. Es kam mir so vor, als müsste ich die elf Jahre aufholen, in denen mir mein Bruder verwehrt gewesen war.
Sichtlich angepisst sah er zu mir. Ich erkannte aber auch Besorgnis in den blauen Augen. Ich versuchte, ihn mit einem zuversichtlichen Lächeln aufzumuntern.
"Mir wird nichts passieren. Ich bin ja nicht allein."
Damit sprach ich aber eher mir selbst zu.
Denn egal ob ich jetzt dieses Leben gewählt hatte und mich entschlossen hatte, das durchzuziehen, Angst machte sich dennoch in mir breit.
Ein Mensch, der keine Angst empfand, konnte eine gefährliche Situation nicht einschätzen. Und das endete dann tödlich.
Aber auch wenn ich mich damit zu beruhigen versuchte, dass ja noch jede Menge Gangmitglieder draussen für Markus und meine Freiheit kämpfen würden, wurde mir Übel.
Mein Bauchgefühl riet mir davon ab die Rettungsaktion durchzuziehen. Eigentlich hörte ich meistens ziemlich genau auf mein Bauchgefühl, weil es genau wusste, wann etwas nicht in Ordnung war.
Aber dieses Mal musste ich es ignorieren.
Ob man Furchtlos war oder nicht konnte man sich nicht aussuchen, aber ob man mutig genug war, alles zu riskieren, das konnte man selbst entsceiden.
Und ich wollte mein Leben so leben, dass ich wenn ich alt war sagen konnte, dass ich mich wann immer möglich richtig entschieden hatte.
Für mich und meine Freiheit. Anstatt mich wie so viele andere in die Erwartungsnormen der Gesellschaft zu zwängen.
Ich wollte fliegen, über all die Regeln hinweg. Aber was ich noch viel mehr wollte, war Rache. Rache an den Bullen und dafür was sie meiner Familie und jetzt Markus angetan hatten. Es war meine ganz persönliche Rebellion. „Gut. Dann führen wir den Plan In drei Tagen durch."
Verkündete Aiden und erhob sich.
Meine Augen weiteten sich.
„Was? Wieso erst dann? Wir müssen Markus heute noch rausholen!"
Protestierte ich und unsere Beschützer an den Nachbartischen drehten sich alarmiert zu uns um.
Aiden bedachte mich mit einem vielsagenden Blick.
„Du hast keine Ahnung wie das hier läuft. Ich kann das nicht alles an einem Nachmittag organisieren."
Ich verschränkte die Arme und stellte mich ihm in den Weg. Jake stand hinter mir.
„Ach nein? Dann erklär es mir. Erklär mir, wieso wir Markus noch drei Tage allein und schutzlos im einer Zelle verrotten lassen sollen?"
Blaffte ich unfreundlich. Ja mag sein, dass noch immer unser Gespräch im Reisbus an mir und meinem Stolz nagte. Es war eben schwer, ihn zu mögen und sich gleichzeitig jegliche Gefühle für ihn zu verbieten.
Aidens Kiefer spannte sich an.
Ihm gefiel nicht, wie ich mit ihm redete, das war nie aber piep egal.
„Weil ich zuerst genug Freiwillige auftreiben muss, weil ich den Bauplan der Polizeistation studieren muss, weil ich den Ablauf ihrer Schichtwechsel einplanen muss und den Angriff koordinieren muss. Wenn ich nicht will das mitten drin ein unkontrolliertes Chaos ausbricht und alles schief läuft, dann sollte ich mir Zeit nehmen."
Ich sagte nichts. Er hatte Recht. Ich hatte es völlig unterschätzt.
„Also. Können wir?"
Aiden wies auf meinen Koffer.
Ich nickte.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt