∞8 Ein Verräter in unserer Mitte

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Wie erstarrt stand ich da, nicht in der Lage mich zu regen, die Augen auf den Lauf gerichtet. Er qualmte und ich wusste was passiert war.
Der Mann hatte geschossen.
Auf mich.
Langsam sah ich an mir hinunter, während Aiden ein rasendes Knurren entfuhr er bebte während Leonie die Hände vor den Mund geschlugen hatte.
"Angriff!"
Brüllte er und Hass funkelte in seinen Augen.
"Und tötet sie alle..."
Seine Stimme hallte über den Platz, die Leute reagierten ohne den kleinsten Zweifel in ihr Vertrauen zu ihm.
Sofort begann der Kugelhagel, Knälle vermischten sich zu einem Feuerwerk aus Kugeln.
Schnell schlossen sich die Reihen vor mir, ich sah bloss noch Rücken, ab und zu fiel einer um und ein Anderer nahm seinen Platz an.
Wir alle waren ungeschützt, doch sie auch.
Es war ein Massaker, schnelle Schüsse und viele Tote.
Doch sollte ich nicht auch tot sein?
Langsam neigte ich den Kopf, mein Herz hatte aufgehört so schnell zu schlagen, und ich spürte keinen Schmerz. War das vielleicht so wenn man starb? Oder wieso fühlte ich mich noch putz munter?
Vor mir stand die kleine alte Frau.
Ihre hellen Augen direkt in meinen verhakt und die Hände an meinen Oberarmen.
Sie hustete.
Eine dünne rote Spur lief aus ihrem Mund, ein noch grösserer Fleck machte sich auf ihrer silbernen Bluse breit.
Meine Augen weiteten sich.
"Wieso haben sie das getan, nein...nein nein."
Flüsterte ich, der Gedanke dass jemand anderes für mich starb machte mich verrückt, so etwas hatte ich nie gewollt.
Sie sackte zusammen und ich fing sie gerade so auf, ihr typischer Geruch, den ich mir bei Grosseltern immer vorgestellt hatte, umhüllte mich, während ich langsam in die Knie ging.
Sie war so zerbrechlich und ich konnte ihren rasselnden Atem an meinem Ohr hören.
Vorsichtig legte ich ihren Kopf auf den Boden, sodass sie angespannt da lag, die rote Lache erreichte meine Schuhe.
Ich hielt ihren Blick fest, wenigstens sollte sie nicht alleine sein, wenn sie ging.
So viel war ich ihr schuldig.
Wieso hatte sie das getan, ihre Liebe hatte unmöglich so weit gehen können...oder doch?
Vielleicht war ihr Gebet wahr geworden und sie hatte Jemandem ein Leben geschenkt dessen Leben eigentlich vorbei war.
Ich war zu durcheinander und verwickelt in die Schlacht meines Lebens, ich konnte nicht klar denken was es sein mochte.
Doch sie schien keine Angst zu haben, Furcht vor dem Ungewissen das sie erwarten würde, wenn sie ihren letzten Atemzug tat.
Ihr Blick war ins Leere gerichtet, sie schien durch mich hindurch zu sehen, doch lächelte.
Dann spürte ich ihre kühle Hand an meiner Wange, beinahe wäre ich zurück gewichen, als ich die Warme Flüssigkeit auf meiner Haut spürte.
"Amber.."
Sie klang schwach, doch eine Liebe schwang in ihrer Stimme mit, die mich zusammenzucken liess.
Ich wusste dass sie mich für ihre Tochter hielt und wusste nicht was ich tun sollte.
Sie freute sich, sie schien glücklicher als vor ihrer tödlichen Verletzung, die Schmerzen schien sie nicht mehr zu spüren.
Ich wünschte mir bei meiner eigenen Mutter dass ich die Möglichkeit gehabt hätte mich von ihr zu verabschieden. Und es hatte nicht geklappt, es zerfrass mich bis heute.
Und diese Frau hatte ihr Leben für mich hingegeben ohne mich wirklich zu kennen.
Ich wollte dass sie sich von ihrer Tochter verschieden konnte, damit sie nicht so gehen musste wie mein Mutter.
"Ja."
Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen und ihre Augen erstrahlten in einem seltsamen Glanz.
Sie stand an der Schwelle des Todes und bewegte noch mühsam die Lippen.
"Ich wusste dass du kommen würdest, meine Kleine."
Sie strich mir über die Haare.
So inbrünstig als müsste sie längst vergangene Zeit aufholen. Ich zwang mich, stockend einzuatmen.
"Nun kann ich auch zu euch kommen.
Ich habe dich so vermisst, mein Gebet wurde erhört.
Nun können wir endlich wieder vereint..."
Ihre Hand rutschte von mir herab und ihr Blick wurde glasig, mit Schaudern nahm ich ihr letztes Ausatmen wahr.
Ihre Augen richteten sich in die Ferne, der Funke der bis zu letzt die Wärme darin erhalten hatte verschwand.
Flog zu ihrem Mann und ihrer Tochter, weg von ihrem leeren Körper, der nun in meinen Armen lag wie eine tote, kalte Hülle eines leuchtenden Sterns, der diese Welt verlassen hatte.
Und ich war schuld daran.
Ich taumelte etwas zurück und schüttelte den Kopf.
Ich war nicht Amber, die Frau war tot und ich musste weiter machen. Ich musste es wenn ich leben wollte. Und ihr Opfer sollte nicht umsonst gewesen sein.
Ich richtete meine Augen auf das Geschehen, bereits viele Körper lagen reglos auf dem Boden.
Das Blut tropfte ins Wasser, es färbte sich dunkler und das rot schwappte auf den feinen Wellen hin und her.
Verteilte sich langsam wie Gift, immer weiter verschluckte es das tiefe Blaugrün, bis es nur noch Blutrot leuchtete. Und immer mehr tropfte darauf, begleitet von den leeren Blicken der Toten.
Es war ein Friedhof, ein grausamer.
Das war der Preis um Leute zu befreien; Tote.
Die Schüsse hallten wieder laut in meinen Ohren und ich hob automatisch die Waffen um ab zu drücken.
Doch dann hörte ich Aidens Stimme in meinem Headset.
"Sie haben Verstärkung!
Rückzug zu den Motorrädern, unsere Verstärkung soll bleiben wo sie ist!"
Ich sah zu den Containern, ab und zu sah man einige unserer Leute umher huschen, doch ansonsten war es still dort oben. Sie hielten sich daran auch wenn es ihnen schwer zu fallen schien.
Doch bei den Bullen war mehr los, aus angefahrenen Autos die schlitternd auf den Platz einbogen, strömten sie Massenweise heraus.
Der Platz füllte sich mit Männern in Uniformen und mir wurde klar dass die Regierung uns bloss aus einem Grund angefordert hatten.
Weil sie sich sicher gewesen waren, uns zu besiegen.
Es war immerhin die Regierung, ihre Mittel waren unbegrenzt, sie hatten die Falle zuschlagen lassen.
Aus purem Stolz hätten wir bleiben können, bis zum letzten Mann kämpfen, doch Aiden hatte richtig entschieden.
Die Verstärkung blieb wo sie war, wir traten den Rückzug an und würden uns etwas ausdenken.
Es lohnte sich nicht den Ehrentod zu sterben, denn die Mitglieder hätten das zwar getan, aber nicht verdient.
Es war blödsinnig und ganz im Gegenteil ehrlos, wenn man dachte sein Tod konnte einem auf diese Weise Ehre einbringen. Sowas tat er höchstens bei Jemandem wie dieser alten Frau.
Langsam bewegte sich unsere Reihe nach hinten, ich machte ebenfalls rückwärts einen Schritt über den Leichnam der Frau.
Gigantische Umstände unter denen wir hier gerade standen. Und es war das alles nicht wert, in dem Moment fragte ich mich wieso. Wieso wir das hatten tun müssen. Und ich wusste keine Antwort darauf.
Dann hörte ich ein leises metallisches klicken, was nicht normal bei Motorrädern war.
Ich erstarrte in der Bewegung und mein Blick flog zu den Maschinen.
"Zurück!"
Schrie Jake und hechtete weiter weg.
Die meisten taten es ihm gleich und hasteten zurück.
Aiden riss mich zu Boden, noch im Fall schob er sich unter mich und rollte sich dann nach oben, sodass ich vollständig von seinem Körper geschützt wurde.
Kurz darauf knallte es, meine Ohren dröhnten und mein Herz setzte aus.
Die kleinen Steinchen gruben sich in meine Hände, meine Beine, doch der Schmerz war bloss taub.
Langsam rollte sich Aiden weg von mir und ich hob den Kopf.
Ein lautes Piepen war zu hören, doch kein Ton drang zu mir durch.
Meine Sicht war verschrommen, doppelt sah ich die Motorräder.
Flammen leckten an ihnen hoch, blau und orange verschlangen sie die monströsen Maschinen, immer wieder flog eine in die Luft und glühend heisse Teile regneten auf den Boden hinab.
Wir hätten sie nicht unbeaufsichtigt lassen dürfen...nicht eine Sekunde lang. Dummer Fehler! Tödlicher Fehler!
Schwankend richtete ich mich auf, etwas heisses traf mich am Arm und ich zuckte zurück.
Mein Blick wanderte langsam in das Geschehen.
Die Bullen standen da, uns überlegen und die Waffen auf uns gerichtet, ihre Verstärkung hatte sich vollkommen eingeordnet.
Hinter uns standen die brennenden Maschienen, Zeitbomben die immer wieder los gehen würden soviel war mir bewusst.
Schreiende Leute wanden sich auf dem Boden, bloss wenige waren von den Stücken getroffen worden.
Einer lag unter der Maschine, das Feuer breitete sich auf ihm aus, doch er war schon tot.
Schnell sah ich weg. Es sah schrecklich aus.
Noch immer war da nur das Piepen, alles um mich herum schien sich zu drehen.
Dann ergab alles Sinn.
Im Flugzeug hatten sie Bomben montiert, sie hatten uns die Fluchtmöglichkeit genommen, die Falle war zugeschnappt.
Mein Atem rasselte und ich sah bloss Aiden vor mir, der Leonie stützte, die hustend vom Boden aufstand.
Jake und Sam halfen Kenan und Leon, Lucas hielt sich den blutüberströmten Arm
Es war alles schief gelaufen.
Mein Gefühl hatte recht behalten, etwas schlimmes war passiert.
So fühlte man sich also, wenn man in der Falle sass.
Aufgeben war dennoch keine Option, denn erst wenn wir unsere letzte Karte ausgespielt hätten, hätten wir wirklich verloren.
Das gab mir den Anstoss, mein Hirn das gefüllt mit Rauch und stummen Entsetzen gefüllt war, wurde wieder klar.
Ich war unverletzt und als einzige stand ich nicht bei jemand anderem.
Schlagartig hörte der lange Ton auf, ich hörte das Brennen, da waren wieder die Schreie und die Bullen, deren Waffen wieder schossen. Und eine Kugel die meinen Arm streifte der heiss zu brennen begann. Doch nicht so schmerzhaft wie ich dachte. Dank dem Adrenalin.
Wenn wir nicht alle auf dem Serviertablett erschossen werden wollten, musste ich jetzt handeln.
Sofort.
Meine Hand zitterte, als ich sie hob und an mein Headset drückte.
Ich war nicht die Anführerin. Aber ich war seine Freundin, und er hatte genug zu tun.
Jetzt würde ih entscheiden.
Entweder uns alle gefährden oder uns raus holen.
Ich spielte auf Risiko.
"An alle!
Schickt sofort die Fluchtwagen her, bewegt euch nach Rechts!
Und die Verstärkung, zugreifen!
Jetzt!"
Es dauerte keine fünf Sekunden, bis man meinem Befehl gehorchte.
Keine Uneinigkeiten, es wurde sofort alles in Bewegung gesetzt.
Wir waren geschockt, Adrenalin versorgte uns mit genügend Kraft, aber dennoch taten sie es.
Mit Geschrei erhoben sich unsere Leute.
Es waren weniger als die Bullen, doch es musste reichen.
Das Gebrüll war laut genug um den Verletzten den Anstoss zu geben, sich weiter zu kämpfen.
Mein Blick wanderte die roten Container entlang, mit ununterbrochen schiessenden Waffen kamen unsere Mitglieder hervor, gaben ihre Deckung auf den Dächern auf und schossen. Einige richteten sich aus ihren Verstecken auf und schossen von da weiter, wo sie die beste Deckung hatten.
Es knallte ununterbrochen und ich konnte nichts anderes mehr schmecken als Rauch und Blut.
Die blauen Männer fielen, die Schüsse hallten und die Kugeln flogen.
Wir rannten los, weg aus der Teufelsfalle, auf die schützenden Reihen der Verstärkung zukommend.
Ich schoss hinter mich, wie oft die Kugeln trafen wusste ich nicht, meine Schuhe knallten auf den Beton und meine Beine schmerzten.
Doch ich lief weiter, ich war eine von den Wenigen die Nichts davon getragen hatten.
Die Bullen folgten uns, einige Gruppen jedenfalls.
Die Angst in mir war wieder da, sie machte sich in mir breit und drohte meine Glieder zu lähmen.
Doch ich erhielt die Gedanken in meinem Kopf aufrecht.
Wirre Gedanken, doch sie halfen mir weiter zu laufen.
Die Worte der Frau, Aiden, das Blut überall, die Verantwortung und der Wille hier raus zu kommen und zu überleben.
Dann hörte ich das heulen von Motoren und das Quietschen von dutzenden Reifen, als unsere Fluchtwagen um die Kurve schlitterten. Es waren viele. Gott sei Dank.
In einem Drift um uns herum hielten sie vor uns an, die wärme des Metalls war bis zu mir zu spüren.
Meine Haare hingen mir unordentlich ins Gesicht und ich hielt an um mich schnell atmend um zu drehen.
Nun trennten uns die Wagen von den Bullen, die noch immer in Position verharrten und den Kugelhagel unserer Verstärkung auf dem Dach stand hielt.
"Sie sind abgelenkt, alle in die Autos!
Die Verletzten zuerst, Verstärkung die ausser der Gefahrenzone ist, zieht euch selbstständig zurück!"
Als ich Jakes Stimme in meinem Ohr hörte schloss ich kurz die Augen, helle Blitze zuckten davor herum. Er lebte also noch, das verlieh mir Kraft.
Dann öffnete ich sie wieder.
Nun zählte jede Sekunde, je mehr Zeit die da oben uns verschafften, desto schneller kamen wir weg.
Wir hätten auch bloss die Gesunden nehmen und verschwinden können.
Doch es war eine Familie, die Black Angels hielten zusammen und so machten wir es auch jetzt.
Die Türen sprangen auf und die Fahrer halfen den humpelnden oder das Gesicht schmerzvoll Verzogenen in die überfüllten Wagen zu steigen.
Hektisch begann ich blutverschmierte oder beinahe zusammen klappende Leute in Richtung der Fahrzeuge zu bugsieren.
Dabei hielt ich immer wieder Aussicht nach den Gesichtern, die ich so sehr hoffte zu sehen.
Zwischen den Massen die in die Autos strömten und den Leuten auf dem Dach, von denen ab und zu einer runter fiel konnte ich Jake ausmachen, Leonie war bei ihm.
Aiden war gleich neben mir und half einem Jungen ein zu steigen, bevor er die Tür schloss.
Einige gesundere Mitglieder kletterten auf die Dächer der Wagen und Aiden klopfte stark auf die Haube.
Das Zeichen für den Wagen, los zu fahren.
Mittlerweile zogen sich die Verstärkungstruppen etwas zurück, die Ersten verschwanden schon zwischen den Dächern und die Bullen rückten näher an uns.
Immer mehr Leute strömten in die Wagen und immer mehr Autos fuhren mit quietschenden Reifen weg und verteilten sich in alle Winde, fuhren weg sodass sie in Sicherheit waren. Je mehr verschwanden desto kleiner wurde die Last auf meinen Schultern.
niemand nahm die Verfolgung auf, was mich aber nicht kümmerte.
Doch damit schwand auch die Wand, die uns vor den Reihen der Polizisten schützten.
Aber der Gedanke daran wie viele nun schon auf dem Weg zurück waren, noch lebten, erhielt den Glauben in mir aufrecht, hier noch weg zu kommen.
Mir ging es soweit gut, deshalb sass ich nicht in einem der ersten Autos.
Auch der Rest des inneren Kreises stand an den Autos und half die Leute unter zu bringen.
Alle ausser Lucas.
"Scheisse."
Murmelte ich und reckte den Kopf über die ziemlich Letzten Leute, die nun noch hier waren.
So verstreut wie Lucas gewirkt hatte, war es gut möglich dass er nicht so gut arbeitete wie sonst immer. Ich hätte besser darauf achten sollen verdammt.
Die Cops konnten nicht näher kommen, sie waren damit beschäftigt die Kugelhagel von allen Seiten ab zu wehren.
"Jessy steig ein!"
Rief Aiden gegen den Lärm und zeigte auf den zweitletzten Wagen.
Er stand davor, seine Haare peitschten in sein Schönes Gesicht und winkte mich zu sich.
In den Anderen quetschten sich gerade die letzten Mitglieder, doch viele lagen am Boden und rührten sich nicht.
"Lucas ist nicht hier!"
Schrie ich zurück, die Waffe in meiner Hand schlotterte unnatürlich stark.
Egal wie er sich gerade verhielt, egal was in ihm vor ging dass er mich auf Abstand hielt, er war im Innersten Kreis.
Er war in meiner Familie.
Und ich sah ihn nicht bei Leon und Jake, die gerade einstiegen.
"Steig ein!"
Aiden hielt die Türe auf und sah mich drängend an.
Er schien mich nicht gehört zu haben, auch ich verstand ihn bloss mit grosser Mühe.
"Verdammt."
Fluchte ich und machte einen Schritt auf der Stelle, bevor ich mich umdrehte und los rannte, mit einer Geste bedeutete ich dass ich gleich wieder da war.
Aiden rief mir etwas hinterher, wurde aber von den Einsteigenden Leuten aufgehalten.
Ich hatte gerade entschieden dass ich nicht zu Aiden lief und wieder in Sicherheit war, sondern dass ich einem Freund half. Und das war auch gut so, denn ich wusste dass Aiden und mein Bruder überlebt hatte und das verlieh mir Erleichterung.
Ih stiess einige taumelnde Polizisten unachtsam zur Seite und versuchte unter dem Getümmel von Körpern und der Masse an Heulern etwas zu erkennen.
Ich liess meinen Blick gehetzt über den Platz schweifen, meine Augen suchten nach seinen allbekannten hellen Augen.
Dann sah ich ihn.
Er lehnte an einem Container, flach an das unebene Metall gedrückt und hielt den Arm eng an den Körper gepresst, seine Haut war blutüberströmt.
"Lucas!"
Schrie ich aus voller Kehle, mein Hals brannte und meine Stimme war rauer als sonst. Vielleicht wegen dem Rauch und der Luft die ich fast nicht einatmen konnte, so verpestet war sie.
Vielleicht aber auch wegen der Angst die mir den Atem abschnürte.
Sein Kopf hob sich und seine wasserblauen Augen bohrten sich in meine.
Er schüttelte den Kopf, und sah dann auf den Boden vor mir.
Ich wusste was er damit sagen wollte, ich sollte bleiben wo ich war.
Konnte er sich gründlich abschminken.
Ich liess ihn nicht im Stich und egal wie stolz er war, ich hatte meinen sicheren Platz hergegeben, also war ich jetzt da, ob er wollte oder nicht.
Also rannte ich trotzdem weiter.
Denken tat ich nichts dabei, ich lief einfach auf ihn zu, die Kugeln die über mir flogen nahm ich nicht mehr wahr.
Er fluchte, das konnte ich mittlerweile hören, während meine Füsse mich mit stechenden Muskeln zu ihm trugen.
Ich sah viele Emotionen in Lucas Blick flackern, als ich ihn erreichte.
"Scheisse man Jessy was machst du?"
Fluchend rieb er sich über das Gesicht.
"Komm, die Wagen sind fast voll, wir schaffen es noch."
Ich klang viel zu zuversichtlich, als das es in solch einer Situation angemessen wäre.
Ich fühlte es nicht, obwohl ich sie ausstrahlte.
Doch Lucas nickte zweifelnd, ich sah in seinem Blick nicht die brennende Entschlossenheit wie sonst, als würde er sich längst damit abgefunden haben nicht mit zu kommen.
Keine Ahnung wieso, aber das liess ich mit Sicherheit nicht zu.
Ruckartig drehte ich mich wieder um und lief los, Lucas dicht hinter mir, ich konnte seinen schweren Atem hören.
Beruhigend, denn solange wir überhaupt atmeten war das sehr gut.
Ich konnte bereits Aiden sehen, er stand vor der Offenen Tür und sah angespannt zu mir, während er jeden meiner Schritte beobachtete.
Als würde er jeden Meter zwischen
Uns verfluchen.
Doch dann schreckte sein Blick hoch hinter mich.
Sofort reagierte mein Körper für mich, dank Aidens Warnung und ich fuhr herum.
Lucas strauchelte und es dauerte einen kurze Moment bis er sich wieder gefangen hatte.
Doch dieser Moment war viel bedeutender als er zuerst schien. Ein Moment konnte vieles Verändern.
Eine Entscheidung die man einmal traf konnte viel stärkere Konsequenzen mit sich tragen.
In diesem Moment, als ich anhielt zogen sich die Schützen vollständig zurück, das Feuergefecht verstummte langsam und der zweitletzte Wagen fuhr los.
Die Bullen wurden nun nicht mehr abgehalten.
Ich sah sie hinter Lucas, sie standen in geordneten Reihen, die Waffen nun auf uns Beide gerichtet.
Nein fuhr es mir durch den Kopf.
Es hämmerte dort, und liess keinen anderen Gedanken zu.
Da standen wir also.
Die Bullen schrieen Dinge und unzählige Läufe waren auf uns gerichtet, das Letzte Auto mit Aiden und dem inneren Kreis stand dreissig Meter von uns entfernt.
Und wir in der Mitte.
Es wurde kalt, als könnte ich spüren wie weit ich von der Rettung entfernt war, und wie nahe sie dennoch zu sein schien.
Doch nicht mit Lucas.
Er stand schwer atmend da, den Arm an sich gepresst und etwas gebeugt. Doch seine Augen zeigten nicht die Verzweiflung die er unter diesen Umständen eigentlich haben müsste.
"Verschwinde Jessy!
Jetzt lauf los!"
Schrie er und versuchte mich los zu scheuchen.
Doch die Worte hallten in meinem Kopf und lösten etwas aus.
Eine Erinnerung.
Ich war schon einmal an diesem Punkt gewesen.
Mit Markus.
Auch er war da gestanden, nicht Imstande weiter zu gehen. Er hatte gewollt dass ich weiter rannte, und das hatte ich getan.
Ich bereute die Entscheidung noch heute, denn ich hatte ihn zurück gelassen.
Und mein Versprechen ihn raus zu holen, hatte ich nicht einmal einhalten können, weil die Blutvergiftung sein Leben gekostet hatte.
Und schon wieder stellte mich das Leben vor eine grausame Entscheidung.
Ich krallte die Hände in den Saum meines Shirts.
Ich sah noch immer auf Aiden.
Er regte sich nicht, sein Blick schien zu brennen und bohrte sich tief in mich hinein. Ich wusste dass er gerade all seine Kraft zusammen nahm um nicht los zu stürmen, aber dann wären wir einfach alle tot gewesen.
Seine Haare hingen ihm in die Stirn, die Waffe hatte er sinken lassen.
Ich wusste dass er es spürte.
Das er spürte wie ich dachte.
Bei Markus war ich gelaufen, weg gelaufen, hatte ihn alleine gelassen. Ich dachte ich bekomme ihn zurück.
Hatte ich auch. Aber tot, und nun stand ich schon wieder vor so einer Wahl.
Egal wie ich mich entscheiden würde es schien falsch zu sein.
Für mich nicht tragbar.
Zu entscheiden ob ich jemanden alleine liess um mich zu retten, oder jemanden den ich liebte dort stehen zu lassen, ohne mich.
Ich brauchte die Freiheit, ich wollte zu Aiden, jede Faser meines Körpers schrie nach seinen Armen die mich umarmen könnten.
Doch ich brachte es nicht ums Herz, als ich Lucas nochmals ansah, wie er sich auf die Knie stützte und versuchte mich los zu scheuchen.
"Lauf endlich!"
Keuchte er immer wieder.
Und dann erkannte ich dass ich tief in meinem Innern bereits wusste was richtig war.
Ich atmete ruhiger und ich liess die Arme an mir hinunter gleiten.
Ich konnte es nicht.
Ich konnte nicht noch einmal weg laufen, ich wollte es zwar.
Ich wollte zu Aiden rennen.
Doch ich schaffte es nicht mich zu bewegen, sah ihn bloss an.
Schmerz blitze in seinen grünen Augen auf.
Ich schrie mich innerlich an mich zu bewegen.
Doch noch immer spürte ich Lucas hinter mir.
Ich konnte nicht beschreiben was mich dort hielt, doch ich konnte nicht weiter laufen.
Die Bullen rückten nach, sie kamen uns etwas näher und noch immer stand er da.
Beinahe eine Ewigkeit sah ich Aiden an, versuchte mir alles ein zu prägen.
Den Schmerz der in mir hoch kam zu vergessen und nicht an die Angst zu denken die mich gleich überkommen würde. Denn dann würde ich einen Rückzug machen. Und ich wollte ihn nochmals ansehen. Wollte Jake nochmals ansehen, der mich wie erstarrt ansah, seine Augen geschockt und leer.
Ich liebte die beiden und das so sehr.
Nun wusste ich auch, wieso es so wichtig war, sie anzusehen.
Ich versuchte ihre Bilder in meinem Kopf zu speichern und sie so lange an zu sehen wie es ging.
Ich wusste dass Aiden nicht gehen würde, und es war egoistisch von mir, ihn so lange stehen zu lassen.
Doch ich brauchte es, ihm in die Augen zu sehen und sie nie wieder zu vergessen.
Erst als die Ersten Kugeln an uns vorbei auf den Wagen fielen, löste ich mich aus meiner Erstarrung.
Es war das Schwerste was ich jemals getan hatte.
Ich hatte diesen Satz schon oft gesagt, doch dieses Mal toppte alles.
Ich hatte gedacht es war die Entscheidung stehen zu bleiben. Dass die so unglaublich schwer war. Aber das war sie nicht gewesen.
Das war Nichts im Gegensatz zu dem was ich nun tat.
Ich liess ihn gehen, ich wusste dass er sich nicht bewegen wollte, doch er würde sterben wenn nicht.
Ich musste meinen Bruder loslassen, damit er überlebte und wurde schon wieder von ihm getrennt.
Und ich musste Aiden loslassen bevor er mich holen kam und ich womöglich sein Leben zerstören würde.
Ich musste es schnell tun, denn es war der schlimmste Schmerz seit langem, den ich spürte.
Und er war nicht körperlich.
Mein Herz krampfte sich zusammen und Tränen stiegen mir in die Augen.
Ich liebe dich Aiden, schoss es durch meinen Kopf, warme salzige Tränen tropften von meinen Lippen.
Es kostete mich alles was ich noch aufbringen konnte, doch ich wandte den Blick von Aiden ab und sah zu Knut und Fabio, die hinter ihrem Anführer standen.
Ich sah sie bloss an, doch sie schienen es zu verstehen.
Sie sahen was ich wollte und sie verstanden es, dafür war ich ihnen unendlich dankbar.
Langsam traten sie vor, ich kannte Aiden gut genug um zu wissen was er tun wollte.
Doch das liess ich nicht zu.
In dem Moment als er los stürzen wollte, packten die beiden ihn und hielten ihn mit Mühe zurück.
Sein Blick war pures Feuer, es vermischte sich mit Verzweiflug und Schmerz, doch so sehr er sich auch wehrte, die beiden blieben Standhaft.
Es zerbrach mir das Herz ihn so zum Gehen zu zwingen, doch ich wollte nicht dass er noch länger blieb.
Ich könnte dann das was mir bevor stand nicht tragen.
Und das musste ich.
Und sie auch, sie mussten ihren Anführer vor einer Dummheit bewahren, sie brauchten ihn.
Ich brauchte ihn mehr, doch das tat Nichts mehr zur Sache.
Während sie ihn weg zerrten und die Türe hinter ihm schlossen, konnte ich ihm noch einmal in die Augen sehen.
"Ich werde dich Finden!
Auch wenn ich dafür die ganze Stadt niederbrennen muss!"
In seiner Stimme klangen so viele Emotionen mit und ich schloss schmerzhaft die Augen, Tränen strömten über meine Wangen.
Als ich die Augen wieder öffnete sah ich wie der Wagen weg fuhr, als Letzter den Anderen hinterher, die kleine Wolke des Auspuffs stieg langsam in den Himmel empor. Verlor sich darin wie meine gesamte Hoffnung.
Ich stand nun alleine vor den Bullen, mit Lucas.
Und wir hatten beide verloren.
Doch es war ein fairer Tausch. Das Leben vieler gegen unseres.
Ich atmete langsam aus als der Wagen um die Kurve verschwand. Sie waren nun in Sicherheit.
Das war der Moment in dem ich los gerissen wurde.
Als ich ihn nicht mehr sah.
Die Trauer und die Wut, die Verzweiflung schlossen sich in mir ein.
Ich wusste dass es nun kein Zurück mehr gab, spätestens als sich ein Kreis aus Bullen um uns schloss, während sie sich immer weiter vor wagten.
Meine Waffen lagen lose in meinen Händen, heiss vom vielen Abdrücken.
Nun musste ich überleben, und dafür konnte ich all die Gefühle nicht zulassen.
Ich zwang mich dazu, mit aller Willenskraft, zu vergessen dass Aiden weg war, dass ich alleine war.
Dann baute ich die Mauer auf.
Stein um stein verdeckte sie die Geschehnisse, und ich baute sie weiter, bald wurden meine Gefühle taub. Jeder Stein wurde schmerzlicher und strenger, doch irgendwann hatte ich es vollbracht und es tat gut.
Dann stand ich ,umringt von den Leuten die ich am meisten Hasste, da, gefangen und vollständig abgegrenzt von jeglicher Freiheit.
Von allem was ich mir immer wünschte. Von meiner Familie. Aber daran dachte ich jetzt nicht mehr.
Für mich gab es nun im Moment nur etwas an dem ich mich fest hielt.
Mich niemals brechen zu lassen.

Street: Fight or Die *beendet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt