1. instabile Veranda

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2020 ; März

"Die Küche können Sie so übernehmen. Es gibt natürlich einige Mängel, wie Sie sehen. Im Allgemeinen finden Sie hier jedoch keine bessere Wohnung zu diesem Preis." Ich sah mich einmal in der Wohnung um. Sie hatte natürlich Recht.
Die Wohnung war nicht in ihrem besten Zustand. Sie war auch nicht unbedingt groß. Die leicht gewölbten Holzdielen erzeugten leise Geräusche, wenn man auf ihnen lief.
Durch die Fenster pfiff es leise und es entstand ein leichter Zug in der Wohnung. Die Wände sahen nicht mehr wirklich frisch aus. Ein paar Lampen waren defekt.

Ich schaute aus den riesigen Fenstern des offenen Ess- und Wohnbereichs.
Gegenüber, auf der anderen Straßenseite stand ein junger Mann im Bademantel an eine, wenig stabil erscheinende, Veranda gelehnt. In seiner Hand hielt er eine Zigarette.
Ich sah dabei zu wie der Rauch in der Luft verflog und der Mann erneut einen kräftigen Zug einatmete.

"Mir gefällt es hier. Ich werde die Wohnung nehmen." Lächelnd drehte ich mich zu meiner Wohnungsmaklerin. Ihr Blick zeigte mir eine deutliche Erleichterung.
Ein wenig Skepsis und vielleicht einen Hauch von Abschätzung konnte ich allerdings ebenfalls herauslesen.
Ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden. Ihr Hosenanzug, glatt gebügelt. Einwandfrei. Dazu dezenter Schmuck, der teuer aussah.

Vermutlich würde Sie in eine Wohnung wie diese hier, nicht einziehen. Jedenfalls verriet mir das ihr Blick. In Kombination mit ihrem äußeren Erscheinungsbild war das eine logische Schlussfolgerung.

"Schön. Dann werde ich den Mietvertrag fertig stellen und Sie hören in den nächsten Tagen nochmal von mir. Viel Erfolg." Sie gab mir die Hand, ein fester, kurzer Händedruck, bevor sie sich wieder distanzierte und mir noch einmal einen letzten Blick schenkte, ehe sie sich elegant umdrehte und zur Wohnungstür lief.

Ich folgte ihr durch die Tür ins Treppenhaus. Die Wohnung lag im 3. Stockwerk. Es gab keinen Aufzug und das Treppenhaus war ziemlich schmal gebaut. Die Stufen waren ungewöhnlich hoch und ich musste mich schon etwas konzentrieren, nicht zu stolpern. Ich hoffte, dass das gut gehen würde, doch mit Sicherheit konnte ich es nicht sagen.

Wir betraten den Gehweg. Für ein paar Sekunden standen wir schweigend nebeneinander. Sie hatte nichts mehr zu sagen und mir ging es nicht anders. Mit einer distanzierten Höflichkeit verabschiedete sie sich also von mir und lief die Straße hinab. Ich blieb noch ein paar Sekunden stehen, schaute noch einmal nach oben und betrachtet die großen, schönen Fenster meiner neuen, zukünftigen Wohnung. Ich konnte damit definitiv zufrieden sein. Im Vergleich zu den letzen Wohnungen, in denen ich gelebt hatte, war diese hier ein ungeschliffener Diamant.

Zufrieden steckte ich meine Hände in die Taschen meines Mantels, grub meine Nase in den hohen Kragen und genoss die frische Luft. Es ging mit großen Schritten auf den Winter zu und während ich daran dachte und losgehen wollte, bemerkte ich im Augenwinkel die Veranda, auf die ich von meiner Wohnung aus einen guten Blick werfen konnte. Neugierig stoppte ich in meiner Bewegung.

Von hier unten wirkte sie noch mitgenommener, als von meinen Fenstern. Etwas Morsch. Ziemlich Instabil.
Ein trostloser Kastanienbaum stand unmittelbar daneben, hatte schon einige Blätter verloren, die sich wie ein weiches Bett auf dem Boden ansammelten.
Der Anblick gab mir das Gefühl von Nostalgie, die zu Staub zerfallen, vor deinen Füßen lag.

Der junge Mann, der vorhin dort stand und eine Zigarette geraucht hatte, war fort.

𝐒𝐲𝐦𝐩𝐡𝐨𝐧𝐢𝐞 𝐝𝐞𝐬 𝐋𝐞𝐛𝐞𝐧𝐬Where stories live. Discover now