2. warmes Bier

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Heute war der Tag an dem ich den Mietvertrag endlich unterzeichnet hatte. Die Wohnung D07 in Den Haag gehörte ab heute mir.

Es war ein völlig anderes Gefühl, zu wissen, dass ich gerade aus einer Großstadt ausgezogen war. Wirklich realisieren tat ich es noch nicht.
Berlin war riesig. An jeder Ecke befanden sich Läden. Der öffentliche Nahverkehr funktionierte einwandfrei. Überall liefen Menschen entlang.
Es gab keine Sekunde in der Berlin schlief.
Du hattest eine riesige Auswahl an Clubs, Cafés und Bars.
In Berlin war für jeden irgendetwas dabei. Es war gerade zu ironisch, dass ich, der sowas sagte, die Stadt ab jetzt hinter mir ließ.
Doch auch wenn Berlin so viel zu bieten hatte, hielt mich dort nichts mehr fest. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl dort unterzugehen. Erdrückt zu werden.
Mir fehlte die Luft zum Atmen und während die Winter jedes Jahr ihren Lauf nahmen, versetzten sie unsere Stadt immer wieder in eine emotional kalte, Epoche des Lebens.

Ich hatte die Schlüssel meiner neuen Wohnung bereits abgeholt und stand nun vor der großen Haustür, die ins Treppenhaus führte. Die Möbel aus meiner alten Wohnung in Berlin, würden die Tage nach und nach hier ankommen. Martin brachte mir heute noch meine Matratze vorbei. Auf mein Herzstück musste ich allerdings noch einige Tage warten.

Ich schloss die Tür auf und betrat das Treppenhaus. Direkt zog der Geruch von modrigem Holz in meine Nase.
Es erinnerte mich irgendwie an alte, vergilbte Romane, die du zu irgendeinem Zeitpunkt in deinem Leben wirklich gerne gelesen hast und diese nun versteckt und staubig in deinem Bücherregal lagen, darauf wartend, endlich wieder von dir geöffnet zu werden.

Oben in der Wohnung angekommen ließ ich mich auf auf die alten, knarrenden Dielen im Wohn- Essbereich nieder, besah die Wände und die schlichten Verzierungen an der Decke.
Ich hatte eine Altbauwohnung ergattert, dementsprechend waren die Wände relativ hoch. Der Klang, der dadurch entstand, würde mir sicherlich zugute kommen.

Während ich durch das große Fenster auf den grau bewölkten Himmel starrte und einige Vögel an meinem Blick vorbeizogen, schweiften meine Gedanken allmählich ab. Mein neues Leben hier in Den Haag würde anders werden als in Berlin, so viel stand fest.

Auf einmal klingelte es durch die Wohnung. Ich schreckte kurz zusammen, ehe ich schnell aufstand und die Tür öffnete. Das ging ja schnell, dachte ich mir und wartete bis Martin die Treppen hoch kam. Amüsiert zog ich eine Augenbraue nach oben, als ich Martin mit meiner 1,40 großen Matratze die Treppen hochstiefeln sah und er dabei mürrisch schnaufte und verärgert vor sich hin fluchte. Es war keine Seltenheit, dass er meckerte. Im Gegenteil, er hatte schon seit ich ihn kenne - und das war eine wirklich lange Zeit- daran Spaß sich aufzuregen.

Und auch heute sollte es nicht anders sein. "Ian alter, ich hab sowas von was gut bei dir", war seine Begrüßung als er vor mir stand, doch als ich ansetzen wollte, ihn zu begrüßen, hob er abwehrend den Finger und ließ seiner Wut weiterhin Luft. "Hätte ich gewusst, dass du in eine Bruchbude gezogen bist mit einem Treppenhaus aus dem 18. Jahrhundert, in dem du bei jedem Schritt um dein Leben bangst und Klaustrophobie entwickelst, dann hätte ich mich nicht dazu bereit erklärt deine dämliche Matratze hier hoch zu schleppen. Das ist eine Zumutung, Freundchen!" Martin stemmte seine Hände in die Hüfte und atmete schwer. Wenn ich sagen würde, dass Martin hin und wieder die Rolle einer Diva spielte, dann würde ich vermutlich untertreiben- hin und wieder war ehrlicherweise ganz weit entfernt von der Realität.

"Ach Martin, ich danke dir, dass du dein Leben für mich riskiert hast. Jetzt komm erstmal rein". Schmunzelnd nahm ich ihm die Matratze ab und brachte sie in mein kleines, quadratisches Schlafzimmer, in dem sie für das Erste auf dem Boden liegen müsste.

Martin stand in der Küche und sah sich skeptisch um. Ich lief auf ihn zu und fragte ihn, ob er etwas trinken wolle.
"Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht, aber so wie ich sehe hast du hier noch ungefähr gar nichts. Gar nicht erst anzufangen von einer Kaffeemaschine", schlussfolgerte er, während er ironisch präsentierend seinen Arm nach vorne streckte und sich einmal im Raum drehte.

"Ich kann dir ein warmes Bier anbieten", grinste ich ihm provozierend zu doch er grinste nur belustigt zurück und entgegnete mir, "warmes Bier ist besser als gar kein Bier".
Vor einigen Jahren hatte Martin mit seinen Mitbewohnern eine WG-Party geschmissen. Das einzige was sie ihren Gästen anbieten konnten war warmes Bier oder Radler, doch das wollten noch weniger Leute trinken, als das warme Bier. Das war natürlich ein wirkliches Armutszeugnis, selbst für Studenten wie wir es waren. Doch wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht zu sorgen. Das hatte auch Martin die Jahre nach dieser Party immer wieder feststellen dürfen. Ich lief in mein neues Schlafzimmer, in dem ich meine braune Ledertasche stehen hatte und holte aus dieser 2 Flaschen heraus.

"Na dann lass uns mal auf deine neue Bude und dein neues Leben hier anstoßen. Hoffentlich findest du hier endlich mal einen Freund. Sonst klebst du mir mit 60 noch am Hintern", verkündete er feierlich und nahm den ersten Schluck. Ich verdrehte genervt die Augen und sah dabei zu, wie sich sein Gesicht verzog, bevor ich überhaupt den ersten Schluck trinken konnte. Sein Anblick schrie förmlich 'was eine ranzige Plörre ist das denn', doch er sagte dieses mal nichts und so trank ich dann letztendlich auch einen Schluck.

𝐒𝐲𝐦𝐩𝐡𝐨𝐧𝐢𝐞 𝐝𝐞𝐬 𝐋𝐞𝐛𝐞𝐧𝐬Where stories live. Discover now